Unauffälliger Anführer der Selec˛ao˜
Brasilien. Thiago Silva dirigiert die beste Defensive. Russland war bislang kein guter Boden für ihn, das soll der WM-Titel ändern.
Thiago Silva dirigiert für Brasilien die beste Defensive. Heute wird sich im Viertelfinale gegen Belgien (20 Uhr) zeigen, ob die Abwehrarbeit wieder fruchtet.
Kasan/Wien. Er ist einer ihrer Kapitäne, aber keiner der ganz großen Stars. Dabei hat Thiago Silva, 33 J., als Abwehrchef maßgeblichen Anteil an Brasiliens Erfolg bei der WM in Russland. Vor dem Viertelfinale gegen Belgien hält seine Mannschaft bei erst einem Gegentreffer im bisherigen Turnierverlauf und stellt damit gemeinsam mit Uruguay die beste Defensive. Doch während die Offensivkünstler um Neymar oder Philippe Coutinho für ihre Dribblings und Tore regelmäßig gefeiert werden, ist die blitzsaubere Abwehrarbeit unter Silvas Regie oft nur Randnotiz.
Der Routinier von Paris St. Germain besticht mit gutem Stellungsspiel, Zweikampfpräsenz und trotz 1,83 m auch mit Kopfballstärke. Zudem ist Silva Anführer und Sprachrohr der Selec¸ao.˜ Als Neymar im Gruppenspiel gegen Costa Rica eine Fairplay-Aktion seines Kapitäns wort- und gestenreich kritisierte, schreckte dieser nach dem Schlusspfiff nicht davor zurück, den teuersten Fußballer der Welt öffentlich zu maßregeln.
Zweimal dem Karriereende nah
Aufgewachsen in den Favelas um Rio de Janeiro träumte Silva wie viele andere schon als kleiner Bub davon, Fußballprofi zu werden. Mit 14 Jahren wurde Fluminense auf den damaligen Mittelfeldspieler aufmerksam, in den Auswahlen kam er jedoch kaum zum Einsatz und spielte deshalb bei anderen Klubs vor. Vergeblich. „Es war hart. Viele Vereine lehnten mich ab. Wenn man jung ist, denkt man darüber nach aufzugeben, weil die Leute einem dieses Denken aufzwingen“, erinnerte sich Silva. Er machte weiter, ging in die dritte Liga, schaffte mit 19 Jahren den Sprung zu Erstligist Juventude. Dort rückte er zurück in die Abwehr und wurde bereits in seiner Debütsaison in die Top drei der Verteidiger der Liga gewählt.
Im Jänner 2005 sicherte sich schließlich der FC Porto das Defensivtalent um 2,5 Millionen Euro. In Portugal hatte der Teenager jedoch große Anpassungsschwierigkeiten, kam auch wegen vermeintlich schlechter Kondition nur in der zweiten Mannschaft zum Einsatz und wurde schließlich an Dynamo Moskau verliehen. Erst der dortige Teamarzt ging den anhaltenden Brustschmerzen und Hustenanfällen, die Silva plagten, nach. Die schockierende Diagnose: fortgeschrittene Tuberkulose. Sechs Monate wurde der Brasilianer in einer Spezialklinik in Moskau behandelt, die Ärzte dachten zwischenzeitlich sogar eine teilweise Entfernung der Lunge an.
Silva erholte sich, doch die lange Leidenszeit in einem fremden Land, allein, ohne Sprachkenntnisse stürzte ihn in eine Depression. Gerade 21, wollte er die Fußballschuhe schon an den Nagel hängen, Freundin und Mutter überzeugten ihn aber weiterzumachen. Er kehrte zurück nach Brasilien, wo ihm sein einstiger Juventude-Trainer nun bei Fluminense eine zwei- te Chance gab – die Silva nutzte. Als „O Monstro“(das Monster) machte er sich als kompromissloser Verteidiger einen Namen, wechselte 2009 zum AC Milan, drei Jahre später zu Paris St. Germain, wo er noch heute als Kapitän fungiert.
Sündenbock bei Heim-WM
Im Nationalteam debütierte Silva 2008 unter Teamchef Dunga, doch ausgerechnet die Heim-WM 2014 wurde zur Zäsur. Das 1:7-Debakel gegen Deutschland verpasste der Rechtsfuß wegen einer Gelbsperre, dennoch wurde er zu einem der Sündenböcke gemacht, zunächst als Kapitän abgesetzt und wenige Monate später aussortiert. Erst im Oktober 2016 holte Nachfolger Tite Silva zurück ins Team und installierte ihn neben Inter-Profi Paulo Miranda in der Innenverteidigung. Bei der WM wechselt sich das Duo mit Marcelo als Kapitän ab.
Nach Russland reiste Silva mit bösen Erinnerungen und einem großen Traum an. „Dort, wo ich die schlimmsten Momente durchgemacht habe, könnte ich nun die schönsten erleben“, sagte der Vater zweier Söhne. Brasilien ist auf seiner „Hexa“-Mission zu WM-Titel Nummer sechs bislang souverän unterwegs, und Silva leistet seinen Beitrag. Er räumt in der Abwehr auf und ist dank seiner Spieleröffnung erster Angreifer – nicht umsonst wurde er öfter gefoult, als er selbst zu unfairen Mittel gegriffen hat. „Es ist großartig, wie wir auftreten und mit jedem Spiel wachsen. Ich hoffe, dass ich das Land am Ende als Weltmeister verlassen kann.“