Die Presse

Der Spanier, der alle Belgier eint

Viertelfin­ale. Teamchef Roberto Mart´ınez hat die Zeiten der Zweiteilun­g in der belgischen Auswahl endgültig beendet. Flamen und Wallonen haben der Mannschaft gemeinsam eine neue Identität verpasst, nun aber stehen De Bruyne, Hazard und Co. vor ihrer bish

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Kasan. In Belgiens Nationalma­nnschaft spielen keine Flamen und Wallonen mehr, sondern nur noch Belgier. Vorbei die Zeiten von zwei getrennten Gruppen und Sprachtisc­hen, von gesellscha­ftlichen Rissen, die sich von der Kultur und der Bevölkerun­g bis ins Nationalte­am zogen. „Wenn sie zusammen sind, dann sind die Jungs in allererste­r Linie Fußballer“, erklärte Trainer Roberto Mart´ınez. Der Spanier ist nicht nur als belgischer Teamchef, sondern auch als Kulturen-Moderator gefordert. Seine Antwort auf die Frage flämisch oder französisc­h lautet: Englisch!

Vor dem vielleicht wichtigste­n Spiel der goldenen Generation um Eden Hazard (Wallone) und Kevin De Bruyne (Flame) hat Belgiens Fußball die größte gesellscha­ftliche Herausford­erung bereits bewältigt. Im Viertelfin­ale gegen Brasilien wartet nun die bisher größte sportliche Aufgabe. Und ganz Bel- gien ist optimistis­ch, was nicht nur am großen Potenzial der Mannschaft, sondern auch an ihren Versöhnern liegt: der ehemalige Trainer Marc Wilmots, der das Team vor Jahren zusammenge­führt hat, und dessen Nachfolger Mart´ınez, der ein unabhängig­er Manager des hungrigen Kollektivs ist.

„Vielleicht liegt es auch daran, dass ich neutral bin. Aber ich habe nie einen Unterschie­d festgestel­lt“, beteuerte Mart´ınez jüngst in der „Welt“. Die Prägung und die gelernte Sprache nehmen für sein Dafürhalte­n weit weniger Einfluss ein als früher. „Wenn man mit dieser Gruppe wirklich zusammenle­bt, dann erkennt man viel eher, welchen Weg jeder Einzelne gegangen ist, als seine sprachlich­en Wurzeln“, sagt Mart´ınez.

Anders als in taktischen Belangen profitiert der 44-Jährige aber auch von der jahrelange­n Arbeit seines Vorgängers. Wilmots formte in seinen Jahren als Chefcoach eine Einheit mit einer neuen Identität. „Die Flamen und die Wallonen verstehen sich sehr gut. Tatsächlic­h existiert diese Teilung in der Gruppe nicht mehr“, erzählte auch Verteidige­r Toby Alderweire­ld einmal. Er rechnet dies vor allem Wilmots an.

So scheint es auch nicht übertriebe­n, wenn der frühere Teamchef trotz harscher Kritik nach dem EM-Aus 2016 gegen Wales seine Verdienste betont. „Wir haben die Fußballtra­dition wiederbele­bt. Flamen und Wallonen gehen wieder gemeinsam zum Fußball, alle mit der belgischen Flagge.“Nun wird dem Elf-Millionen-Einwohner–Land sogar zugetraut, Rekordwelt­meister Brasilien zu schlagen und erstmals seit 1986 in ein WM-Halbfinale einzuziehe­n.

Brüssel als Vorbild

Noch aber sind die Klischees über beide Volksgrupp­en weit verbreitet. Die Flamen gelten im Alltag als fleißiger, effiziente­r und erfolgsori­entierter, die Wallonen haben hingegen den Ruf, sozialer und kommunikat­iver zu sein als ihre Mitbürger aus dem Norden. Sie sind näher an der französisc­hen Lebensart, die Flamen orientiere­n sich mehr an den Niederland­en. Das Nationalte­am allerdings wirkt ein wenig wie die offiziell zweisprach­ige Multikulti-Hauptstadt Brüssel. Ein Raum, in dem Flamen und Wallonen zusammen mit vielen anderen auf engem Raum zusammenle­ben. Ein Raum, in dem beide Seiten miteinande­r klarkommen müssen, damit das große Ganze funktionie­rt. Tatsächlic­h wirkt es im Team von Trainer Mart´ınez so, als ob den Spielern die Gemeinscha­ft große Freude bereitete.

Sportliche Erfolge der „Roten Teufel“gelten ganz besonders als verbindend­es Element. Der Fußball schafft seit Jahren immer wieder, was der Politik nicht gelingt: Bei Flamen und Wallonen das Gefühl hervorzuru­fen, Belgier zu sein. Denn selbst in den Hochburgen der flämischen Nationalis­ten und Unabhängig­keitsbefür­worter flattern nach Siegen unzählige belgische Trikoloren. (DPA/red.)

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[ Reuters ] Erfolgscoa­ch Roberto Mart´ınez.

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