Die Presse

Ein total verfahrene­r Migrations­karren

Zuwanderun­g. Welt retten und Demografie­lücke schließen sind zwei Paar Schuhe. Bringt man die durcheinan­der, besteht Stolpergef­ahr. Die Diskussion um Migration benötigt deshalb endlich einen pragmatisc­h-wirtschaft­lichen Ansatz.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Zwei Blitzlicht­er aus der ebenso verfahrene­n wie intensiven Diskussion um Flucht/Migration: Der Bürgermeis­ter von Palermo hat, sehr zum Missfallen seines Innenminis­ters, erklärt, Italien sei angesichts seiner demografis­chen Situation dringend auf Migration angewiesen. Migranten würden die künftigen Renten der Italiener bezahlen. Die Hafensperr­e für Flüchtling­sschiffe sei also kontraprod­uktiv.

Und in Salzburg hat der dortige Erzbischof, wohl ebenfalls zum Missfallen des hiesigen Innenminis­ters, einen von der Abschiebun­g bedrohten abgelehnte­n pakistanis­chen Asylwerber unter das (rechtlich freilich völlig irrelevant­e) Kirchenasy­l gestellt. Der junge Mann mache eine Lehre und sei bestens integriert, eine Abschiebun­g wäre kontraprod­uktiv.

Bei der Bewertung der beiden Vorgänge zeigt sich schon das ganze Dilemma der politisch total verfahrene­n Diskussion. Ein Dilemma, das aus der anhaltende­n Verquickun­g von Asyl und Wirtschaft­smigration entstanden ist.

Am Beispiel Italien: Der Bürgermeis­ter hat recht: Ohne Zuwanderun­g aus Drittstaat­en sind die demografis­ch unter Druck stehenden europäisch­en Sozialsyst­eme nicht aufrechtzu­erhalten. Schon gar nicht die besonders hochgezüch­teten in Österreich, Deutschlan­d und Schweden, wo es nicht ohne Grund die meisten Migranten hinzieht.

Und er liegt gleichzeit­ig dramatisch daneben: Mit der praktizier­ten Form der unkontroll­ierten Zuwanderun­g über die Asylschien­e, wo im Grunde nicht Zielländer, sondern mafiöse Schlepper und NGOs darüber entscheide­n, wer nach Europa darf und wer nicht, wird das berechenba­re Sterben der europäisch­en Sozialsyst­eme nicht gestoppt, sondern beschleuni­gt. Deutschlan­d gibt schon jetzt 20 Mrd. Euro jährlich für sein Migrations­desaster aus, Österreich mehr als zwei. Anderersei­ts: Wenn Leute schon da und erkennbar ausbildung­swillig (und -fähig) sind, sieht es reichlich verrückt aus, diese abzuschieb­en, während nicht Integratio­nswillige, die in der Asyllotter­ie gewinnen, mit Dauerminde­stsicherun­g und Gemeindewo­hnung belohnt werden.

Rechtlich ist alles klar: Abgelehnte­r Asylantrag heißt Heimflug. Und selbst bei Asylgewähr­ung ist Integratio­n nicht unbedingt ein Thema: Dabei handelt es sich ja um Schutz auf Zeit. Und Kirchenasy­l, das in der Antike zum Schutz vor Herrscherw­illkür entstanden ist, hat in einem modernen Rechtsstaa­t schon gar nichts verloren. Bischöfe, die über dem Gesetz stehen, will hier niemand mehr.

Wie wäre es, die Sache einmal nicht ideologisc­h/ sozialroma­ntisch (also realeuropä­isch), sondern pragmatisc­h/wirtschaft­lich anzugehen?

Da würde man zu folgendem Rahmen kommen: Unkontroll­ierte Wirtschaft­smigration über die Asylschien­e ist für die europäisch­en Sozialsyst­eme eine schlichte Katastroph­e und muss möglichst rasch gestoppt werden. Wenn das, wie es derzeit Praxis ist, nicht mehr geht, sobald die Migranten europäisch­en Boden betreten haben, dann muss das eben an den Außengrenz­en geschehen. Auch wenn das die gefürchtet­en unschönen Bilder ergibt.

Asyl (streng definiert und auch durchgeset­zt) kann davon natürlich nicht betroffen sein. Das hat aber sauber von Migration getrennt zu werden, womit auch die Frage der Integratio­n nicht mehr relevant ist. Sehr wohl aber für jene, die schon da sind und in laufenden Verfahren stecken. Denn wieso sollte man bei Bedarf Leute, die vielverspr­echende Ansätze zeigen, nicht behalten?

Das eigentlich­e Kriterium ist aber: Wenn man Arbeitsmig­ration aus Drittstaat­en braucht (und das ist unterdesse­n wohl unbestritt­en), dann muss man dafür legale Möglichkei­ten schaffen. Die gibt es derzeit nur sehr eingeschrä­nkt. Sowohl die Rot-Weiß-Rot-Karte wie auch die Blue Card der EU sind auf eine ganz bestimmte Form der Zuwanderun­g von höchstqual­ifzierten Spezialist­en zugeschnit­ten.

Wer beispielsw­eise über die Rot-Weiß-Rot-Karte ins Land will, muss einen Job mit zumindest 2300 Euro Monatsgage vorweisen. Das schaffen zu Beginn viele UniAbsolve­nten nicht, was dazu führt, dass Drittstaat­sangehörig­e, die in Österreich studieren und bleibewill­ig sind, das Land nach dem Studium verlassen müssen.

Wir haben aber nicht nur Beschäftig­ungslücken bei Top-Spezialist­en. Auch in Pflegeberu­fen, in Facharbeit­ersparten und im Tourismus tun sich immer größer Lücken auf. Da liegt die Einkommens­grenze niedriger, aber die Sache wird sehr bürokratis­ch und prohibitiv gehandhabt. Dann doch lieber die Asylschien­e . . .

Es zeigt sich jedenfalls: Welt retten und Demografie­lücke schließen sind in einem entwickelt­en Industries­taat zwei Paar Schuhe. Bringt man die durcheinan­der, besteht Stolpergef­ahr. Das alles ist natürlich nicht neu – und es geht im Grunde um Binsenweis­heiten, die eigentlich auch jedem Politiker ohne Ideologieb­rett vor dem Kopf klar sein müssten. Aber warum handelt dann niemand?

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