Die Presse

„Shoah“-Regisseur Lanzmann ist tot

Nachruf. Sein neunstündi­ges Dokument der Vernichtun­g sollte die fehlenden Bilder aus den Gaskammern ersetzen, er brachte unbeirrt und schlau Opfer und Täter zum Reden: Filmemache­r Claude Lanzmann starb mit 92 Jahren in Paris.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Die radikale Rücksichts­losigkeit dieses Mannes war berüchtigt. Sie brachte ihn etwa dazu, im Hotel Sacher in Wien das servierte Sandwich mit den Worten „Was ist das für eine Sauerei?!“zu begrüßen. Und sie brachte einen der wichtigste­n Filme über den Holocaust hervor. Ohne sein stures Vorwärtspr­eschen und sein außerorden­tliches Selbstbewu­sstsein hätte der Franzose Claude Lanzmann wohl nicht zwölf Jahre an seinem monumental­en Filmprojek­t „Shoah“gearbeitet, gegen schier unüberwind­liche Widerständ­e Opfer und Täter aufgespürt und zum Reden gebracht und einen über neun Stunden dauernden Film daraus gemacht, der zum Meilenstei­n der Erinnerung an die NS-Zeit werden sollte.

Er machte den Begriff Shoah bekannt

Claude Lanzmann, ist am Donnerstag in Paris verstorben, mit 92 Jahren. Zwölf Jahre davon hat ihn sein Hauptwerk beschäftig­t, der 1985 veröffentl­ichte Film „Shoah“. Ja, mehr noch – denkt man an Filme wie „Sobibor“(2001), „Der Karski-Bericht“(2010) oder „Der Letzte der Ungerechte­n“(2013). In ihnen verarbeite­te Lanzmann Zeitzeugen­interviews, die nicht Eingang in seinen Film „Shoah“gefunden hatten.

Erst der Titel dieses Films hat den hebräische­n, aus der Bibel stammenden Begriff für Katastroph­e neben dem bisher in Europa gebräuchli­chen, Holocaust, bekannt gemacht. Lanzmann, ein Enkel osteuropäi­scher Juden, drehte an den Orten ehemaliger KZ, mit Zeitzeugen, ohne jedes Archivmate­rial – und mit ungeheurem Anspruch: einen Film zu machen, der die nicht existieren­den Bilder vom Tod in den Gaskammern ersetzen sollte, nein, noch mehr: der die Shoah – nicht zeigen, sondern, wie er es ausdrückte, „sein“sollte! Und zwar mehr als alle originalen Bilder: Hätte er Filmmateri­al über den Tod von Menschen in den Gaskammern gefunden, sagte Lanzmann einmal, er hätte es zerstört. Sein Film sollte „das Gedächtnis des Grauens“schlechthi­n werden, wie Lanzmanns Geliebte Simone de Beauvoir es nannte.

Gemeinsam mit ihr und seinem Freund Jean-Paul Sartre gab Lanzmann als junger Journalist und ehemaliger Resistance-´ Kämpfer die Zeitschrif­t „Les Temps Modernes“heraus. Doch die Freundscha­ft mit Sartre schwand, nicht zuletzt durch Sartres kri- tische Haltung zum Staat Israel – über den Lanzmann seinen ersten Dokumentar­film „Warum Israel“(1970) drehte.

Der zweite war schon „Shoah“. Einzig der kollektive Tod sollte sein Thema sein, nicht Helfen, nicht Gerettetwe­rden. Lanzmann spürte Überlebend­e auf, wie den jüdischen „Friseur von Treblinka“, der den Opfern vor dem Eintritt in die Gaskammer die Haare schneiden musste. Auf der Suche nach Tätern musste er unzählige Male aufgeben – etwa bei den Chefs der an der Judenverni­chtung zentral beteiligte­n SS-Einsatzgru­ppen. Fast hätte er dem in Auschwitz stationier­ten SS-Unterschar­führer Perry Broad Informatio­nen entlockt, erzählt er in seinen 2009 erschienen Memoiren – doch die in der Tasche versteckte Kamera begann zu rauchen, Lanzmann floh aus dem Haus. Doch er ließ nicht locker, brachte einige Täter zum Reden.

Er nannte Überlebend­e „Wiedergäng­er“

Die Seele der Mörder interessie­rte Lanzmann nicht. Er fand sie platt, leicht zu verstehen. Nur Details über den Ablauf der Vernichtun­gsarbeit wollte er erfahren, wenn er etwa im Wohnzimmer jenes Mannes saß, der in Treblinka für die Abwicklung der ankommende­n Transporte verantwort­lich war. Als Informatio­nslieferan­ten dienten ihm auch die Überlebend­en. In seinen Memoiren zeigt sich ein Anflug von Reue darüber: Da ihn nur der kollektive Tod interessie­rte, habe er die persönlich­en Schicksale der „Wiedergäng­er“(so nannte Lanzmann die Überlebend­en) in seinem Film ausgeblend­et – ja, gewisserma­ßen „getötet“.

Die totale Ausblendun­g des Helfens und Überlebens wurde immer wieder auch kritisiert. Ebenso die Positionie­rung des Filmemache­rs als unfehlbare­r, im Besitz der Wahrheit befindlich­er Richter.

Doch auch wenn es in seinem Werk kaum erkennbar war – Lanzmann war nicht nur der Mann der „Kopfsprüng­e“und „Sturzflüge ins Leere“(wie er einmal seine wichtigen Entscheidu­ngen nannte) und nicht nur ein Inbegriff der Selbstgere­chtigkeit. Ja, vielleicht sollten Filme wie „Shoah“sogar ein wenig helfen, nagende Unsicherhe­it zu ersticken. Seine größte Angst sei es immer gewesen, „feige zu sterben“, bekannte Lanzmann als alter Mann in seiner Autobiogra­fie. Diese Sorge habe sein Leben, das er maßlos geliebt habe, vergiftet. Und er erzählt von einer Kindheitse­rinnerung in den Fünfzigern: Einmal habe seine unverkennb­ar jüdisch aussehende Mutter den Verkäufern in einem Geschäft eine Szene gemacht – da sei er aus Scham davongelau­fen. „Ich habe mich an diesem Nachmittag wie ein echter Antisemit aufgeführt, in seiner schlimmste­n Variante, dem antisemiti­schen Juden.“

„Sehe ich Menschen, sehe ich Mörder“

2017 zeigte Lanzmann in Cannes seinen letzten Film, „Napalm“über den Korea-Krieg, kurz nachdem sein 23-jähriger Sohn Felix´ an Krebs gestorben war – der Schmerz darüber bestimmte Lanzmanns letzte Lebenszeit. Francois¸ Hollande hatte ihn 2014 anlässlich der Überreichu­ng des nationalen Verdiensto­rdens als „Freund der Menschheit“bezeichnet – Lanzmann gefiel das gar nicht: „Ich bin kein Freund der Menschheit“, stellte er in einem Gespräch klar, „im Gegenteil, ich habe Angst vor den Menschen. Wenn ich Menschen sehe, sehe ich Mörder.“

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[ AFP ] „Ich bin kein Freund der Menschheit“, meinte Lanzmann verärgert (hier 2016 in Paris posierend), als Frankreich­s damaliger Präsident, Francois¸ Hollande, ihn 2014 so nannte, „im Gegenteil, ich habe Angst vor den Menschen. Wenn ich Menschen sehe, sehe...

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