Medikamente werden Mangelware
Medikamente. Engpässe bei Arzneimitteln werden zunehmend zu einem echten Problem für Ärzte und vor allem für Patienten. Ein Grund dafür: Wichtige Wirkstoffe werden an immer weniger Standorten produziert.
Wien. In der EU werden seit gestern Chargen von Arzneimitteln zurückgerufen, deren Wirkstoff Valsartan vom chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical produziert wurde. Diese Medikamente sind verunreinigt und könnten damit krebserregend sein. Nachdem allein in Österreich davon 54 Präparate betroffen sind, ist eine baldige Knappheit an Bluthochdrucksenkern nicht auszuschließen, sagte der Sprecher des Bundesamts für Sicherheit und Gesundheitswesen (Basg), Christoph Baumgärtel. Auch Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Ibuprofen könnten schon bald nicht mehr verfügbar sein. Das Werk des Herstellers BASF im US-Bundesstaat Texas hat die Produktion des Wirkstoffs aufgrund technischer Probleme eingestellt. Wann es wieder in Betrieb genommen werde, sei derzeit noch nicht absehbar, teilte ein Sprecher des Pharmakonzerns der „Presse“mit. Wie sich ein möglicher Ibuprofen-Engpass auswirken wird, damit beschäftigt sich das Amt Basg ebenfalls. Denn Ibuprofen ist äußerst populär: Nach Auskunft des internationalen Informationsanbieters Iqvia wurden 2017 1,9 Millionen Packungen dieses Schmerzmittels in Österreich verkauft. 18 Prozent aller verkauften, nicht verschreibungspflichtiger Schmerzmittel sind Ibuprofen-Präparate. Nur Paracetamol hat einen höheren Marktanteil mit 22 Prozent.
Eine Prognose sei derzeit aufgrund der mangelnden Datenlage schwierig bis unmöglich, sagt Baumgärtel. Eines steht aber fest: Selbst wenn es in Österreich für einige Zeit überhaupt kein Ibuprofen mehr gäbe, gibt es keinen Grund zur Panik. Denn mit vielen anderen Medikamenten können Schmerzen ähnlich effizient wie mit Ibuprofen bekämpft werden.
Entwicklung ist besorgniserregend
Dass die konkrete Situation recht gut bewältigbar ist, heißt nicht, dass die Entwicklung auf dem Medikamentenmarkt nicht besorgniserregend ist: „Wir stehen seit einiger Zeit immer häufiger vor dem Problem, dass wichtige Medikamente plötzlich nicht mehr lieferbar sind. Dafür gibt es eine Unmenge an Beispielen.“Das Basg hat deshalb eine Website (https://medicineshortage.basg.gv.at) eingerichtet, auf der jeder sehen kann, ob und wie lang ein Präparat nicht erhältlich ist.
Weshalb es im Jahr 2018 in Europa überhaupt bei der Medikamentenversorgung Schwierigkeiten geben kann, mag sich mancher fragen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die weltweite Fusionswelle unter Pharmaunternehmen ist einer davon: Standorte werden zusammengelegt, um Synergien zu nutzen und Kosten zu senken. Viele Wirkstoffe werden kostengünstig nur mehr in wenigen Werken konzentriert und kostengüns- tig produziert – häufig in China oder Indien. Läuft dort etwas planwidrig, sind die Auswirkungen massiv. So führte eine Explosion in einem Werk in China im Oktober 2016 zu einem anhaltenden Mangel des Breitbandantibiotikums Piperacillin-Tazobactam.
Ist der Patentschutz weg, wird es eng
Auffallend ist auch, dass es häufig Lieferengpässe bei Substanzen gibt, die schon seit vielen Jahren auf dem Markt sind und daher keinen Patentschutz mehr genießen. Das heißt: Die Hersteller können mit diesen – oft sehr guten – Produkten nichts mehr verdienen und erzeugen sie deshalb gleich gar nicht mehr. Lieber konzentrieren sie sich auf die Herstellung eines neuen Medikaments, auf das sie ein neues Patent anmel-
den können und für das sie hohe Preise verlangen können. Baumgärtel von der Basg bedauert das: „Hier werden häufig Medikamente vom Markt genommen, die sich gut bewährt haben sowie hochwirksam sind, und durch neue, teure ersetzt.“ Für den Patienten hat die Entwicklung weitreichende Folgen. Ein Beispiel: „Bis vor wenigen Tagen war in Österreich der sogenannte Epi-Pen nicht erhältlich. Das ist eine Autoinjektion für Menschen, die auf Bienenoder Wespenstiche mit allergischen Schocks reagieren“, sagt Monika Vögele vom Verband der österreichischen Arzneimittelgroßhändler. „Sie sind durch einen Engpass massiv eingeschränkt, viele trauen sich ohne diese Injektion gar nicht aus dem Haus.“Auch im klinischen Alltag kämpfen Mediziner mit Medikamenten-Engpässen. „Bei Piperacillin-Tazobactam handelt es sich um ein hochwirksames Medikament. Es ist bei Krankenhausinfektionen das Mittel der Wahl“, sagt Christoph Högenauer, Internist an der Uni-Klinik Graz. „In den vergangenen Jahren war dieses Antibiotikum immer wieder über Wochen nicht verfügbar. Selbstverständlich behandeln wir dann die Patienten mit Alternativpräparaten, aber nicht immer sind diese gleich wirksam.“
Nüchtern betrachtet dürften Engpässe in Zukunft nicht leicht zu verhindern sein. Nach Ansicht der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit könnten allerdings mit einer gesetzlichen Meldepflicht viele Schwierigkeiten entschärft werden. „Wären die Hersteller per Gesetz verpflichtet, die Behörden sofort über drohende Lieferschwierigkeiten zu informieren, könnte in vielen Fällen mit Gegenmaßnahmen und guter Planung der Engpassproblematik die Schärfe genommen werden“, sagt Baumgärtel. Das Gesundheitsministerium sieht das ähnlich: Eine Novelle des Arzneimittelgesetzes ist in Vorbereitung. Darin soll eine derartige Verständigungsverpflichtung verankert werden. „Die Begutachtung ist für Herbst geplant“, so die Sprecherin zur „Presse“.
Nicht jede Alternative wirkt gleich gut