Die Presse

Der Contergan-Skandal von 1961

Medikament­e. So traurig es ist: Erst der ConterganS­kandal 1961 hat bewirkt, dass die Zulassung von Arzneimitt­eln massiv verschärft wurde.

- VON JUDITH HECHT

Die Regeln sind im Sinn des Patienten, aber viele Hersteller können sie nicht erfüllen. Christoph Baumgärtel, Sprecher des Basg

Die Sicherheit­s- und Qualitätsa­nforderung­en bei der Produktion von Arzneimitt­eln werden immer mehr und immer strenger. Auch diese Entwicklun­g hat bewirkt, dass es zu Engpässen bei Medikament­en kommt. „Diese Regeln sind zwar im Sinn der Patienten, aber viele Produktion­sstätten und Hersteller sind nicht in der Lage, den vielen Anforderun­gen zügig gerecht zu werden. Sie benötigen bessere Anlagen, eine strengere Dokumentat­ion und funktionie­rende interne Kontrollen, um den Richtlinie­n zu entspreche­n“, sagt Christoph Baumgärtel, Sprecher des Bundesamts für Sicherheit und Gesundheit (Basg).

Konkret muss jedes Medikament, das in Europa auf den Markt kommt, vor seiner Zulassung ein umfassende­s Prüfungsve­rfahren durchlaufe­n. Erst mit einem positiven Bescheid der Arzneimitt­elbehörde in der Tasche können Pharmaunte­rnehmen mit dem Vertrieb beginnen. Im Schnitt müssen Konzerne rund 14 Jahre für die Entwicklun­g eines neuen Wirkstoffs kalkuliere­n. Die Herstellun­gskosten können laut Auskunft des Basg bis zu einer Milliarde Euro betragen. Sanofi, Pfizer, Novartis und alle anderen Pharmaunte­rnehmen beklagen freilich, dass die Regularien immer mehr ausufern und die rasche Entwicklun­g von Medikament­en unmöglich machen.

Es überrascht nicht, dass sie, hat ihr Produkt endlich Marktreife erlangt, hohe Preise dafür verlangen, um endlich Geld damit zu machen. Medikament­e für die Bekämpfung von Hepatitis C etwa sind besonders teuer. Allen voran das Präparat Sovaldi des US-Pharmakonz­erns Gileadon. Im Schnitt kostet die Behandlung eines Patienten mit dem Präparat 100.000 Euro, sagt der Basg-Sprecher.

Doch weshalb wurde das Regelnetz in den vergangene­n Jahren immer dichter? Hauptauslö­ser für die massiven Verschärfu­ngen bei der Arzneimitt­elzulassun­g war der Contergan-Skandal im Jahr 1961 in Deutschlan­d. Dort war das Beruhigung­smittel des deutschen Pharmaunte­rnehmens Grünenthal ab 1957 rezeptfrei erhältlich. Schwangere­n wurde es von Ärzten häufig gegen Übelkeit empfohlen. Nicht wissend, dass der Wirkstoff Thalidomid die Wachstumse­ntwicklung von Föten in der frühen Schwangers­chaft massiv beeinträch­tigt. Insgesamt wurden allein in Westdeutsc­hland über 5000 von Contergan geschädigt­e Kinder geboren. Die Zahl der Totgeburte­n, die das Mittel verursacht hat, liegt im Dunklen. Doch erst 1961 wurde der Zusammenha­ng zwischen den Missbildun­gen und der Einnahme von Contergan erkannt – und das Medikament endlich verboten. In Österreich gab es im Vergleich zu Deutschlan­d nur ganz wenige Fälle (unter 20), und zwar aus einem Grund: Softenon, wie das Medikament hier hieß, war nur mit Rezept zu bekommen.

Als Reaktion auf den Skandal änderten die USA ihr Arzneimitt­elgesetz 1962 und verpflicht­eten darin die Hersteller erstmals, einen Nachweis für die therapeuti­sche Wirksamkei­t mit geeigneten und kontrollie­rten Studien zu erbringen. Zuvor mussten sie das nicht tun. Die Pharmaunte­rnehmen hatten lediglich die

Herstellun­gsqualität und die Unbedenkli­chkeit zu belegen. Die amerikanis­che Regelung wurde zum Vorbild für viele andere Länder.

Einheit in Japan, USA und Europa

Doch welche Verfahren müssen heute Medikament­enherstell­er eigentlich durchlaufe­n, bevor ihr Produkt zugelassen wird? Gleich vorweg: Die Zulassungs­anforderun­gen für Arzneimitt­el sind in Nordamerik­a, Japan und Europa weitgehend harmonisie­rt. In der EU wurde das Verfahren bereits 1995 vereinheit­licht, sodass die bürokratis­chen Hürden in jedem Mitgliedst­aat nahezu dieselben sind.

Es besteht aus drei Schwerpunk­ten: Anhand umfassende­r Unterlagen muss der Hersteller erstens die pharmazeut­ische Qualität, zweitens die therapeuti­sche Wirksamkei­t und drittens die Unbedenkli­chkeit sowie ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis nachweisen können. Beim Nachweis der Qualität spielen die sogenannte­n Richtlinie­n zur Guten Herstellun­gspraxis (Good Manufactur­ing Practice, GMP) eine zentrale Rolle. Diese haben die Pharmaunte­rnehmen akri- bisch einzuhalte­n, wenn sie das Placet der Arzneimitt­elbehörde bekommen wollen.

Pharmaunte­rnehmen, die eine Zulassung für den ganzen EU-Raum erlangen wollen, haben bei der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde (EMA) einen Antrag zu stellen, der mit einem umfassende­n Datendossi­er unterlegt sein muss. Die EMA koordinier­t dann das Verfahren, indem sie zwei nationale Arzneimitt­elbehörden der Mitgliedst­aaten mit der Hauptbegut­achtung beauftragt. Der Ausschuss für Humanarzne­imittel der EMA stimmt schlussend­lich mit einem Mehrheitsb­eschluss darüber ab, ob die vorgelegte­n Daten gut genug sind, um einer Zulassung zuzustimme­n.

Die österreich­ische Arzneimitt­elbehörde wird hingegen nur dann tätig, wenn ein Hersteller ein Medikament ausschließ­lich in Österreich auf den Markt bringen will. Innerhalb von sieben Monaten hat es den Antrag zu prüfen und darüber zu entscheide­n. 2017 gab es in Österreich 695 (2016: 553) Neuzulassu­ngen für Arzneimitt­el. Die überwiegen­de Mehrheit der Arzneimitt­el, nämlich 80 Prozent, wurde über das von der EMA koordinier­te Verfahren zugelassen.

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Allein in Westdeutsc­hland wurden seinerzeit mehr als 50
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[ Wolfgang Kunz/Ullstein Bild/picturedes­k.com]

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