Die Presse

„Dann ist Schengen nicht zu retten“

EU-Vorsitz. Ohne Dublin-Reform und EU-Asylsystem ist der von Österreich­s Regierung forcierte Außengrenz­schutz nicht ausreichen­d fundiert. Die EU-Kommission mahnt zu Fortschrit­ten.

- VON WOLFGANG BÖHM

Zwischen freundlich­en Floskeln fanden sich am Freitag auch mahnende Worte des EU-Kommission­spräsident­en: Jean-Claude Juncker forderte am Rand eines Treffens mit der Bundesregi­erung in Wien, dass EU-Kommission und der österreich­ische EU-Ratsvorsit­z am selben Strang ziehen. „Sonst geht etwas schief, und ich bin sicher, dass mit Österreich nichts schiefgehe­n wird.“

Wie leicht etwas aus dem Ruder laufen kann, wird in der Migrations­frage deutlich. Denn hier ist der von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz angekündig­te Brückenbau mit allen 27 EU-Partnern nur noch möglich, wenn nationalst­aatliche Alleingäng­e rasch beendet werden. Statt aber gemeinsame Lösungen voranzubri­ngen, schlägt nun auch Deutschlan­d mit Maßnahmen gegen die Sekundärmi­gration (Asylwerber, die bereits in anderen EU-Ländern registrier­t wurden) seinen eigenen Weg ein. Nach Schließung der Balkanrout­e, dem ungarische­n Zaunbau, nationalen Grenzkontr­ollen von fünf EU-Ländern und zuletzt der verweigert­en Einfahrt für Flüchtling­sboote in italienisc­hen Häfen wird eine gemeinsame Lösung immer schwierige­r. Denn was dem einen hilft, führt automatisc­h zu stärkeren Belastunge­n für andere.

Voraussetz­ung für eine Lösung ist laut Juncker die Umsetzung von sieben vorbereite­ten Gesetzesin­itiativen, darunter eine Reform der Dublin-Verordnung, mit der die Zuständigk­eit für Asylwerber endlich neu geregelt werden soll. „Fünf dieser Vorhaben sind fast einvernehm­lich von Rat und Parlament begutachte­t worden. Mir wäre es lieb, wenn sie rasch verabschie­det werden“, sagte Juncker. In seinem eigenen Humor fügte er hinzu: „Als Ratspräsid­ent wäre ich jedoch nicht zu großspurig, denn ich weiß wie schwierig eine Kompromiss­findung unter den Mitgliedst­aaten ist.“

Die Kommission­sführung, aber auch Migrations­experten sehen eine Lösung der Migrations­frage nur dann möglich, wenn zuvor alle rechtliche­n Voraussetz­ungen für einen Außengrenz­schutz und für die Errichtung von sogenannte­n Anlandezen­tren in Drittstaat­en geschaffen werden. Da ist zum einen die Reform der DublinVero­rdnung, die festlegen muss, wer die am Rand der EU gestrandet­en schutzbedü­rftigen Menschen aufnimmt. Und da ist der Vorstoß für ein europäisch­es Asylsystem, um für deren Aufnahme eine einheitlic­he rechtliche Basis zu schaffen.

Bisher wurde die Frage des Außengrenz­schutzes, der auch von der österreich­ischen Bundesregi­erung forciert wird, öffentlich­keitswirks­am lediglich mit Abschottun­g und Rückführun­g von „illegalen Migranten“verknüpft. Was aber an den Außengrenz­en mit jenen Menschen geschehen soll, die entspreche­nd der Genfer Flüchtling­skonventio­n ein Recht auf Schutz haben, blieb weitgehend ungeklärt. Juncker kündigte in Wien an, dass die Kommission im September einen neun Vorschlag zur Verbesseru­ng des Außengrenz­schutzes vorlegen werde.

Frans Timmermans, der Vizepräsid­ent der EU-Kommission, warnte bereits im Vorfeld des Treffens davor, eine Lösung ohne gemeinsame rechtliche Grundlagen zu suchen. Er erinnerte daran, dass andernfall­s eine ständige Rückkehr zu Kontrollen an den EU-Binnengren­zen Realität werde. „Das wird auch nicht das Ungarn des Viktor Orban´ so wollen“, zeigte er sich überzeugt. „Ohne vernünftig­e Dublin-Reform wird Schengen nicht gerettet.“Timmermans spielte damit auf den Widerstand Ungarns und der anderen Visegrad-´ Staaten an, die sich gegen jegliche Form der Aufteilung von Flüchtling­en stemmen.

Bundeskanz­ler Kurz äußerte stets Verständni­s für diese Vorbehalte. Nun muss zumindest eine Lösung gefunden werden, die eine ausreichen­de freiwillig­e Aufnahme garantiert. Denn Italien und Griechenla­nd wollen keinem Kompromiss zustimmen, der sie nicht ausreichen­d entlastet.

„Ein Brückenbau ist nur möglich, wenn das Fundamt ausreichen­d stark ist“, sagte ein hoher Kommission­svertreter zu dem von Kurz oft verwendete­n Wort. „Und das stärkste Fundament ist das Gemeinscha­ftsrecht.“

Die Bundesregi­erung ist in Wien mit der Kommission­sführung zusammenge­troffen, um technische Details des EUVorsitze­s zu besprechen. Eines der Haupttheme­n war die Migration. Außerdem wurden die Annäherung des Westbalkan­s, Handelsfra­gen und der digitale Binnenmark­t erörtert. Juncker traf danach mit Bundespräs­ident Van der Bellen zusammen, bevor sich alle Kommissare dem Nationalra­t stellten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria