Die Presse

May wollte Brexit-Kompromiss erzwingen

Großbritan­nien. Britische Premiermin­isterin versuchte bei einer Klausur, eine Rebellion der Hardliner abzuwehren.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Bei ihrem Erscheinen zu einem Krisentref­fen der britischen Regierung mussten die Kabinettsm­itglieder gestern, Freitag, am Landsitz Chequers nicht nur ihre Mobiltelef­one abgeben. Auch Uhren mit Sendefunkt­ion wurden konfiszier­t. Für Unmut sorgte unter Teilnehmer­n ebenso, dass der neue Regierungs­vorschlag mit 120 Seiten, auf den sich das Kabinett bei der Klausur einigen sollte, erst am Vorabend ausgesende­t wurde.

Premiermin­isterin Theresa May wollte damit nicht nur das gezielte Verbreiten von (Teil-)Infor- mation verhindern. Sondern sie wollte auch Entschloss­enheit demonstrie­ren: „Die Regierung hat eine große Gelegenhei­t und auch die Pflicht“, eine Position zu den künftigen Wirtschaft­sbeziehung­en mit der EU zu vereinbare­n, erklärte sie zu Beginn der Beratungen, die bis in die Nacht anberaumt waren.

Mays Entwurf sah vor, dass Güter bei der Einfuhr nach Großbritan­nien elektronis­ch erfasst werden und die britischen Behörden für Waren, die in die EU weitergehe­n, im Auftrag Brüssels den Zoll einheben. Bis 2022 soll ein derartiges System betriebsfä­hig sein. London will damit verhindern, dass nach dem Brexit zwischen der Republik Irland und Nordirland Grenzkontr­ollen eingericht­et werden müssen.

Die EU hat derartigen Ideen zu einer „Zollunion light“mehrfach eine Abfuhr erteilt. Offenbar an die Adresse Brüssels waren nun drei neue Punkte gerichtet: London verpflicht­et sich zu gemeinsame­n Regeln für den Warenausta­usch („common rule book“), legt sich auf ein Ende der Freizügigk­eit für Personen fest und akzeptiert dafür, dass man keine Einigung mit der EU im Dienstleis­tungssekto­r im Bereich Binnenmark­t erzielen kann. Großbritan­nien erkennt zudem in definierte­n Bereichen die Fortdauer der Zuständigk­eit des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) an.

Mit Letzterem überschrit­t May eine der roten Linien, auf die sich die Tory-Regierung einst festgelegt hatte. Entspreche­nd sorgte ihr Papier unter Brexit-Hardlinern für Empörung. Außenminis­ter Boris Johnson, einer ihrer Wortführer, versammelt­e seine Truppen am Vorabend zu einem Krisentref­fen. Der frühere Brexit-Staatssekr­etär, David Jones, erklärte: „Das ist völlig inakzeptab­el. Das ist nicht, wofür das Volk gestimmt hat. Das ist kein Brexit.“

Die harten Worte nährten Spekulatio­nen um Rücktritte. Der Politologe Anand Menon sagte zur „Presse“, ob es zu Rücktritte­n kommen werde, „hängt davon ab, wie stark May Druck macht“.

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