May wollte Brexit-Kompromiss erzwingen
Großbritannien. Britische Premierministerin versuchte bei einer Klausur, eine Rebellion der Hardliner abzuwehren.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Bei ihrem Erscheinen zu einem Krisentreffen der britischen Regierung mussten die Kabinettsmitglieder gestern, Freitag, am Landsitz Chequers nicht nur ihre Mobiltelefone abgeben. Auch Uhren mit Sendefunktion wurden konfisziert. Für Unmut sorgte unter Teilnehmern ebenso, dass der neue Regierungsvorschlag mit 120 Seiten, auf den sich das Kabinett bei der Klausur einigen sollte, erst am Vorabend ausgesendet wurde.
Premierministerin Theresa May wollte damit nicht nur das gezielte Verbreiten von (Teil-)Infor- mation verhindern. Sondern sie wollte auch Entschlossenheit demonstrieren: „Die Regierung hat eine große Gelegenheit und auch die Pflicht“, eine Position zu den künftigen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU zu vereinbaren, erklärte sie zu Beginn der Beratungen, die bis in die Nacht anberaumt waren.
Mays Entwurf sah vor, dass Güter bei der Einfuhr nach Großbritannien elektronisch erfasst werden und die britischen Behörden für Waren, die in die EU weitergehen, im Auftrag Brüssels den Zoll einheben. Bis 2022 soll ein derartiges System betriebsfähig sein. London will damit verhindern, dass nach dem Brexit zwischen der Republik Irland und Nordirland Grenzkontrollen eingerichtet werden müssen.
Die EU hat derartigen Ideen zu einer „Zollunion light“mehrfach eine Abfuhr erteilt. Offenbar an die Adresse Brüssels waren nun drei neue Punkte gerichtet: London verpflichtet sich zu gemeinsamen Regeln für den Warenaustausch („common rule book“), legt sich auf ein Ende der Freizügigkeit für Personen fest und akzeptiert dafür, dass man keine Einigung mit der EU im Dienstleistungssektor im Bereich Binnenmarkt erzielen kann. Großbritannien erkennt zudem in definierten Bereichen die Fortdauer der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an.
Mit Letzterem überschritt May eine der roten Linien, auf die sich die Tory-Regierung einst festgelegt hatte. Entsprechend sorgte ihr Papier unter Brexit-Hardlinern für Empörung. Außenminister Boris Johnson, einer ihrer Wortführer, versammelte seine Truppen am Vorabend zu einem Krisentreffen. Der frühere Brexit-Staatssekretär, David Jones, erklärte: „Das ist völlig inakzeptabel. Das ist nicht, wofür das Volk gestimmt hat. Das ist kein Brexit.“
Die harten Worte nährten Spekulationen um Rücktritte. Der Politologe Anand Menon sagte zur „Presse“, ob es zu Rücktritten kommen werde, „hängt davon ab, wie stark May Druck macht“.