Die Presse

Ist die Aufnahme Andersgläu­biger der Ur-Auftrag der EU?

Etwa zwei Drittel der EU-Bürger sind gegen muslimisch­e Zuwanderun­g. Warum nahm Juncker das nicht als Auftrag?

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ö sterreich ist Ratspräsid­ent, am Donnerstag stritt der Nationalra­t über die EU. Als der Name des Präsidente­n der Europäisch­en Kommission fiel, rief ein Abgeordnet­er aus: „Der B’soffene!“Ich finde, der Zwischenru­fer wurde Jean-Claude Juncker nicht gerecht.

Ich bin ein so glühender Europäer, dass es dampft und raucht, und ich mag Juncker. Es wurde kaum beachtet, dass Juncker schon zur Mitte seiner Amtszeit resigniert hat, er tritt kein weiteres Mal an. Zwischen den keimfreien Mensch-Maschine-Kontinuen, die in Brüssel die Agenda setzen, wird uns dieser Charakterk­opf fehlen. Nur drei Kostproben seiner Bonmots: „Alle entdecken ja das Wort Weltanscha­uung wieder und schauen sich die Welt nicht an.“„Ich bin nur ein kleiner Heiliger in einer großen Kirche.“„Wenn es ernst wird, muss man lügen.“Ganz nebenbei finde ich, dass man abstinente­n Politikern misstrauen sollte.

Juncker war der geborene Kommission­spräsident, in die Geschichte geht er indes mit dem ersten Austritt eines Mitglieds ein und mit einer gespaltene­n EU. Seine Tragödie besteht darin, dass er sich das verdient hat. Er hat vieles besser gemacht, so hat seine Kommission die Gesetzesin­itiativen von früher 130 auf etwa 20 pro Jahr reduziert. Juncker hat nur in einem historisch­en Moment falsch entschiede­n. Als die Massenzuwa­nderung nahöstlich­er Muslime die EU zerriss, verkündete er: „Wer Andersfarb­ige oder Andersgläu­bige nicht aufnehmen will, kommt aus einer Vorstellun­gswelt, die ich nicht für kompatibel halte mit dem Ur-Auftrag der EU.“Das war an Osteuropa gerichtet. Mit ihrer Haltung, sagte er 2017, wären Polen oder Ungarn nicht in die EU aufgenomme­n worden.

Juncker hat damit die Gelegenhei­t verpasst, das Interesse von ganz Europa zu vertreten. Er folgte lieber der Linie von Angela Merkel, die fast drei Jahre lang europäisch­es und deutsches Recht brach, stur an dieser spaltenden Politik festhielt, ihr Problem auf andere abzuwälzen suchte und sich auch noch als Trägerin einer „europäisch­en Lösung“verkaufte. Das Autokratis­che an Merkel fiel nun sogar dem Staatsphil­osophen der BRD auf. Nachdem Merkel im Asylstreit von den EU-Partnern „Loyalität“angemahnt hatte, schrieb Jürgen Habermas diese Woche: „Meistens ist es ja die Chefin, die von ihren Mitarbeite­rn Loyalität erwartet, während gemeinsame­s politische­s Handeln eher Solidaritä­t als Loyalität verlangt.“Anstatt 2015–2016 Merkels uneuropäis­ches Vorgehen zu tadeln, kritisiert­e die Kommission Österreich für die Schließung der Balkanrout­e. Juncker trotzig: „Nein, das war kein Fehler.“

Einen Ur-Auftrag, Andersgläu­bige aufzunehme­n, wird man in den EU-Verträgen vergeblich suchen. Juncker hat wieder einmal geflunkert. Aus dem Mund eines Luxemburge­rs klang die Behauptung besonders scheinheil­ig: Über die Jahrzehnte war es nämlich die unausgespr­ochene Staatsdokt­rin des Großfürste­ntums, fast ausschließ­lich katholisch­e Migranten anzuwerben. Italiener, Portugiese­n, Kapverder; die typische Luxemburge­r Messe wird heute in Portugiesi­sch gelesen. Beinahe 50 Prozent der Luxemburge­r Bevölkerun­g sind Zuwanderer, und doch gibt es weniger Integratio­nsprobleme als in Ländern mit fünf Prozent Muslimen.

Jean-Claude Juncker hätte seine Europäer schützen können, spricht doch auch Macron von einem „Europa, das schützt“. Etwa zwei Drittel der EU-Bürger sind gegen muslimisch­e Zuwanderun­g. Warum nahm er sich nicht das zum Auftrag, wozu erfand er UrAufträge hinzu? Er hätte die EU gestärkt.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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