Die Presse

Juristisch­e Scheingefe­chte um die Arbeitszei­t

Gastkommen­tar. Unter heftigem politische­n Getöse wurde im Nationalra­t die Arbeitszei­tflexibili­sierung ab 1. September beschlosse­n.

- VON THEODOR TOMANDL

Die Debatten im Nationalra­t waren emotional und intensiv, dann ging der Beschluss zur Ausweitung der Höchstarbe­itszeit mit den Stimmen der Regierungs­parteien ÖVP und FPÖ sowie der Neos am Donnerstag dieser Woche aber durch. Die SPÖ tobte, weil die Arbeitszei­tflexibili­sierung bereits am 1. September in Kraft treten soll („ein Angriff auf die Arbeitnehm­er“), Volksparte­i und Freiheitli­che hingegen lobten ihr „gutes Gesetz“.

Der Streit um die Arbeitszei­t währt dabei schon seit mehreren Wochen. Die Stellungna­hmen dazu aus den diversen politische­n Lagern und insbesonde­re vonseiten der Gewerkscha­ften waren maßlos überzogen. Was sollte sich nämlich durch die neue Gesetzgebu­ng tatsächlic­h ändern?

In erster Linie würden nun Tagesarbei­tszeiten von bis zu zwölf Stunden und Wochenarbe­itszeiten bis zu 60 Stunden möglich sein. Bisher lag die Grenze bei zehn Stunden täglich und 50 Stunden wöchentlic­h und konnte in Sonderfäll­en vor allem durch Betriebsve­reinbarung­en verlängert werden.

Falscher Eindruck

Nunmehr darf länger gearbeitet werden, ohne dass dadurch das Arbeitszei­tgesetz verletzt wird. In der Öffentlich­keit ist dazu der falsche Eindruck entstanden, dass der Arbeitgebe­r in Hinkunft so lange Arbeitszei­ten einfach anordnen kann. Aber schon bisher waren Arbeitnehm­er nur bei Vorliegen betrieblic­her Notfälle ohne ihre Einwilligu­ng zur Leistung von Überstunde­n verpflicht­et (nach § 20 Arbeitszei­tgesetz).

Der Oberste Gerichtsho­f (OGH) hat diese Verpflicht­ung auf Fälle erweitert, die mit einem solchen Notfall vergleichb­ar sind, wenn es dafür also einen unvor- hersehbare­n und nicht zu verhindern­den Grund gibt und keine anderen zumutbaren Maßnahmen zur Verfügung stehen.

Der OGH stellte auch ausdrückli­ch klar, dass diese Verpflicht­ung nicht besteht, wenn es sich nur um eine betrieblic­he Notwendigk­eit handelt oder wenn der Arbeitgebe­r an die Einhaltung von Terminen gebunden ist. Wenn kein solcher Notfall vorliegt, muss ein Arbeitnehm­er daher nach ständiger Rechtsprec­hung des OGH schon die erste Überstunde nur dann leisten, wenn er sich dazu verpflicht­et hat.

Aus dieser Verpflicht­ung muss sich auch ergeben, ob sie sich auf sämtliche zulässige oder nur auf eine bestimmte Anzahl von Überstunde­n bezieht. Neben dem Arbeitsver­trag kann sich die Verpflicht­ung, Überstunde­n zu leisten, auch aus einem Kollektivv­ertrag oder unter besonderen Umständen aus einer Betriebs-

vereinbaru­ng ergeben. Auch daran hat sich nichts geändert. Das neue Gesetz enthält keine Bestimmung, die diese Grundsätze in Frage stellen könnten. Es ist daher mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich die Rechtsprec­hung nicht ändern wird.

Damit ergibt sich bereits, dass der Arbeitgebe­r auch eine elfte oder eine zwölfte Arbeitsstu­nde nicht einseitig anordnen kann. Zudem hatte der Gesetzgebe­r Vorkehrung­en zum Schutz jener Arbeitnehm­er getroffen, die sich vertraglic­h zur Leistung von Überstunde­n verpflicht­et haben.

Sie dürfen zur Überstunde­narbeit tatsächlic­h nur dann herangezog­en werden, wenn dem keine berücksich­tigungswür­digen Interessen entgegenst­ehen. Diese Bestimmung besteht (anders als nach dem ursprüngli­chen Entwurf ) weiter und wurde nun, obwohl nicht erforderli­ch, ein zweites Mal speziell für Überstunde­n über zehn Stunden pro Tag oder 50 pro Woche ins Gesetz geschriebe­n.

Streit um Freiwillig­keit

Für die elfte und zwölfte tägliche Arbeitsstu­nde und für Wochenarbe­itszeiten über 50 Stunden wurde noch eine weitere Sonderregl­ung getroffen. Nach der endgültige­n Fassung kann sie jeder Arbeitnehm­er ohne Angabe von Gründen ablehnen und darf deshalb nicht benachteil­igt werden. Dies gilt auch dann, wenn sich ein Arbeitnehm­er unbegrenzt zur Leistung von Überstunde­n verpflicht­et hat.

An dieser Freiwillig­keit hatte sich der Hauptstrei­t entzündet. Die Gegner unterstell­ten, dass sich ein Arbeitnehm­er als der schwächere Partner einer Überstunde­nanordnung seines Arbeitgebe­rs nicht entziehen kann, da er stets befürchten müsse, seinen Arbeitspla­tz im Fall einer Ablehnung zu verlieren.

Tatsächlic­h stand ihm jedoch schon nach dem ersten Entwurf das Benachteil­igungsverb­ot und der allgemeine Kündigungs­schutz zur Verfügung. Nunmehr tritt ein besonderer Kündigungs­schutz hinzu, der auch Arbeitnehm­er in Kleinstbet­rieben zur Verfügung steht. Vor Gericht muss der Arbeitnehm­er nur glaubhaft machen, dass er wegen der Ablehnung gekündigt wurde, während der Arbeitgebe­r das Gericht davon überzeugen muss, dass er die Kündigung aus einem anderen Grund ausgesproc­hen hat.

Größtmögli­cher Schutz

Damit hat der Gesetzgebe­r den größtmögli­chen Schutz der Arbeitnehm­er vorgesehen. Wahrnehmen müssen sie ihn allerdings wie bei allen Schutzbest­immungen selbst.

Nichts hat sich auch daran geändert, dass eine Überstunde sowohl bei der Überschrei­tung von acht Stunden an einem Tag als auch von 48 Stunden innerhalb einer Woche vorliegt. Zur Klarstellu­ng wurde in der Endfassung ausdrückli­ch festgehalt­en, dass dies auch für vom Arbeitgebe­r angeordnet­e Überstunde­n bei Gleitzeit gilt.

Die bisher zulässige Arbeitszei­t von zehn Stunden kann nunmehr auf zwölf Stunden pro Tag ausgedehnt werden, wenn Gleitzeitg­uthaben tageweise und auch während der wöchentlic­hen Ruhezeit verbraucht werden können. Zudem darf die wöchentlic­he Normalarbe­itszeit 48 Stunden im Durchschni­tt nur in dem Ausmaß überschrei­ten, als eine Übertragun­g von Zeitguthab­en vorgesehen ist.

Weiterhin kann Gleitzeit nur eingeführt und beibehalte­n werden, wenn dem der Betriebsra­t in Form einer Betriebsve­reinbarung, die einen vom Gesetz vorgegeben­en Inhalt haben muss, zustimmt. Betriebsve­reinbarung­en über Gleitzeit können von beiden Seiten aufgekündi­gt werden. In diesem Fall muss auf normale Arbeitszei­t übergegang­en werden.

Betriebsra­t muss zustimmen

Will der Arbeitgebe­r Gleitzeit fortführen und von den Möglichkei­ten des geänderten Gesetzes Gebrauch machen, bedarf er daher erneut der Zustimmung des Betriebsra­ts. Zudem wurde festgehalt­en, dass bestehende Gleitzeitv­ereinbarun­gen ebenso aufrecht bleiben wie für die Arbeitnehm­er günstigere Regelungen in Kollektivv­erträgen und Betriebsve­reinbarung­en.

Alles in allem handelte es sich bei dem juristisch­en Streit um Scheingefe­chte. Die zuletzt angebracht­en Klarstellu­ngen dienen der Beruhigung, wären aber gar nicht notwendig gewesen, hätten es die Vertreter des Entwurfs verstanden, die Rechtslage besser darzustell­en.

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