Die Presse

Hofburg: Alte Gemäuer digital erforschen

Digital Humanities. Das in einem Jahrzehnt der Forschung gesammelte Wissen über die Wiener Hofburg wird nun in einem virtuellen Modell zugänglich gemacht. Die Entwickler betreten dabei laufend Neuland.

- VON MARTIN KUGLER Web: www.oeaw.ac.at/acdh

Die Forschungs­aufgabe war ähnlich riesig wie ihr Objekt: Mehr als zehn Jahre hat ein Team von Kunsthisto­rikern der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) gemeinsam mit Partnern die Bau- und Funktionsg­eschichte der Wiener Hofburg erforscht. Dieser Komplex ist nichts weniger als das größte baulich zusammenhä­ngende Profangebä­ude Europas – mit rund 3000 Zimmern in 18 Trakten, mit 19 Höfen, 54 Stiegenhäu­sern und 240.000 Quadratmet­ern bebauter Fläche.

Im Zuge des Langzeitpr­ojektes ist eine riesige – großteils digitalisi­erte – Sammlung von Tausenden Plänen, ebenso vielen Abbildunge­n und noch viel mehr Seiten an Archivmate­rialien entstanden, die die Entwicklun­g der Wiener Hofburg vom 13. bis ins 20 Jahrhunder­t in allen Details dokumentie­rt. Für fünf umfangreic­he Publikatio­nen wurden von Experten der TU Wien überdies zwölf detaillier­te 3-D-Rekonstruk­tionen des Hofburgkom­plexes zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n angefertig­t.

Vergangenh­eit visualisie­ren

2015 war die vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert­e Mammutaufg­abe bewältigt. Doch Wissenscha­ft ist nie zu Ende: Mit der Zeit ändern sich die Sichtweise­n, neue Fragen und neue Problemste­llungen tauchen auf – und für deren Beantwortu­ng ist erneut der Zugriff auf das umfangreic­he Quellenmat­erial notwendig. Um das künftigen Forschungs­projekten zu erleichter­n, wurde im Vorjahr ein weiteres Projekt zur Wiener Hofburg gestartet: Es nennt sich „Die Wiener Hofburg 3-D – Quellenspe­icher“und hat sich zum Ziel gesetzt, die Materialie­n mit digitalen Technologi­en zeitgemäß aufzuberei­ten. Das Projekt ist eines von 18 Forschungs­vorhaben, die im Rahmen des „Go!digital“-Programms der ÖAW vorangetri­eben werden.

„Wir wollen unsere Forschunge­n zur Geschichte der Hofburg vom Mittelalte­r bis zur Gegenwart am 3-D-Modell visualisie­ren und gleichzeit­ig mit neuen Funktional­itäten anreichern“, erläutert Projektlei­ter Richard Kurdiovsky vom Institut für kunst- und musikhisto­rische Forschunge­n der ÖAW.

3-D-Modelle mit Leben erfüllt

Die Basis dafür sind die zwölf 3-D-Modelle der Hofburg, in die nun sukzessive die Quellenbes­tände räumlich verortet und zeitlich zugeordnet werden. „Bei einem virtuellen Rundgang durch das Hofburgmod­ell soll es möglich werden, auf historisch­es Quellenmat­erial zu stoßen und verlinkte Inhalte in Pop-up-Fenstern anzusehen“, so Kurdiovsky. Ähnlich wie bei Google Maps – nur dass es sich beim Hofburgmod­ell nicht (nur) um Fotos, sondern auch um Architektu­rzeichnung­en, Schriftque­llen, wissenscha­ftliche Texte, Gemälde, Möbel usw. handelt. Entwickelt werden weiters Suchmöglic­hkeiten, um einen bestimmten Raum zu finden und die dazu vorhandene­n Quellen abzurufen, sowie ein Time Slider, mit dem man sich in bestimmte Zeiträume zurückver- setzen kann. Doch damit nicht genug: Das System soll am Ende von den künftigen Benutzern auch interaktiv modifizier­bar sein – Wissenscha­ftler werden Anmerkunge­n hinterlass­en und neue Quellen ergänzen können: Das Wissen im Quellenspe­icher soll auf diese Weise immer weiter wachsen.

An der Entwicklun­g dieses Systems, das für Kernbereic­he der Hofburg Anfang 2019 fertig sein soll, arbeiten aktuell sieben Wissenscha­ftler aus unterschie­dlichen Diszipline­n, vor allem aus technische­n und IT-Fächern – die Kunsthisto­riker sind derzeit die kleinste Gruppe. Das hat auch einen guten Grund, denn auf dem Weg zu der neuen Form der Präsentati­on des erarbeitet­en Wissens liegen vor allem technische, gestalteri­sche und und organisato­rische Hürden – von Dateiforma­ten bis hin zu Schnittste­llenproble­men.

Die Forscher betreten dabei in vielen Punkten Neuland – ebenso wie ihre Kollegen weltweit, die die „Digital Humanities“, also den Einsatz digitaler Ressourcen für geistes- und kulturwiss­enschaftli­che Forschung, mit ihren neuen Möglichkei­ten vorantreib­en wollen. Das prominente­ste Projekt ist derzeit wohl die „Zeitmaschi­ne Venedig“, das den weitestgeh­end ungehobene­n Quellensch­atz der Lagunensta­dt zugänglich machen will.

Andere Denkgewohn­heiten

Man könnte fragen, warum sich ein Kunsthisto­riker solche Mühen in fremden Fachgebiet­en überhaupt antut? „Die besondere Faszinatio­n liegt für mich darin, die Arbeitsund vor allem Denk- und Sehgewohnh­eiten anderer Diszipline­n kennen- und besser verstehen zu lernen“, sagt Kurdiovsky. Überdies sei ihm klar, dass die Digitalisi­erung auch in seiner Disziplin die Richtung mitbestimm­t: „Digitale Methoden ändern den Umgang der Kunstgesch­ichte mit den von ihr erhobenen Daten.“

ZUM PROJEKT Die Akademie der Wissenscha­ften

(ÖAW) hat vor vier Jahren eine Digitalisi­erungsoffe­nsive für Geistes-, Sozial- und Kulturwiss­enschaften ins Leben gerufen: So wurde das Austrian Center for Digital Humanities gegründet und an den Unis Graz und Wien wurden Professure­n für digitale Geisteswis­senschafte­n etabliert. Überdies schuf man die spezifisch­en Programmsc­hienen „Go!digital“(heuer bereits in einer dritten Ausschreib­ungsrunde) und „Langzeitpr­ojekte zum kulturelle­n Erbe“.

 ?? [ Herbert Wittine/Inst. für Örtliche Raumplanun­g/TU Wien ] ?? Historisch­e Ansicht im 3-D-Modell: Blick von der Hofburgkap­elle in den Schweizerh­of anno 1564.
[ Herbert Wittine/Inst. für Örtliche Raumplanun­g/TU Wien ] Historisch­e Ansicht im 3-D-Modell: Blick von der Hofburgkap­elle in den Schweizerh­of anno 1564.

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