Der Waldboden unter der Hightech-Lupe
Im Nationalpark Kalkalpen wird untersucht, wie sich natürliche Stoffflüsse im Zuge des Klimawandels verändern.
Auf den ersten Blick ist es ein ziemlich befremdlicher Anblick: Mitten auf einem steilen, mit naturbelassenen Mischwäldern bewachsenen Berghang im Nationalpark Kalkalpen stößt man plötzlich auf Hightech: An den Baumstämmen hängen silbrig glänzende Trichter und Folien, auf dem Waldboden liegen weiße Dosen verstreut, Rohre ragen in die Höhe, auf Ständern sind umgedrehte Netze und sonderbare Stangen befestigt, dazwischen liegen überall Kabel, die zu einem weißen Schrank in der Mitte führen.
Betrachtet man diese Szenerie am Zöbelboden im Reichraminger Hintergebirge genauer, so wird schnell klar, dass es sich hier nicht etwa um eine geheime Abhörstation oder gar eine esoterische Energetisierungsanlage handelt – sondern um eine hochtechnisierte Forschungsstation unter freiem Himmel. „Wir erforschen hier die Effekte von extremen Klimaereignissen auf die Umwelt“, bestätigt Thomas Dirnböck, Wissenschaftler am Umweltbundesamt und zuständig für die Monitoring- und Forschungsstation Zöbelboden.
Zwischen 550 und 950 Metern Seehöhe gibt es mehrere Plots, wie die Forscher die Messeinrichtungen nennen. Wir stehen am Mess-Plot im Wald. Oben, am Plateau des Berges, befindet sich ein 46 Meter hoher Messturm, und am Fuß des Hanges wird das Wasser einer Quelle nach allen Regeln der Kunst analysiert.
Den Sinn dieser Hightech-Anlage mitten im Wald lässt sich kurz gefasst so erklären: Hier wird ermittelt, welche gasförmigen Substanzen – etwa CO2 oder Stickoxide – über die Luft und den Regen von den Bäumen aufgenommen bzw. in den Wald eingetragen werden, wie sich diese Stoffe im Boden verhalten und verteilen, welche Auswirkungen sie auf das Pflanzenwachstum haben und in welcher Form und Menge sie das Gebiet mit dem Grundwasser wieder verlassen. Aus den Messergebnissen wird auf die vielfältigen Prozesse geschlossen, die sich im Boden und in der Vegetation abspielen – und wie sich diese im Zuge des Klimawandels verändern.
Gegründet wurde die Station am Zöbelboden in den frühen 1990er-Jahren, um im Gefolge der Genfer Luftreinhaltekonvention – eine Reaktion auf den Sauren Regen – die Schwefeldioxid-, Stickstoff- und Schwermetallbelastung der Umwelt zu messen. Mit der Zeit kamen weitere Aufgaben dazu, etwa die Erstellung von CO2Bilanzen. Aus der Monitoring-Station wurde eine Forschungseinrichtung. Der Zöbelboden ist eingebunden in ein Netzwerk aus
steht für „Long Term Ecological Research“. In Österreich wird derzeit an rund 40 LTER-Stationen ökologische Langzeitforschung betrieben – von den Alpen bis zum Neusiedler See, vom Waldviertel bis in die Südoststeiermark. Die Schwerpunkte liegen dabei in den Tiroler Bergen, in der Region Eisenwurzen und im Seewinkel. Sechs dieser Stationen werden derzeit in einem FFGProjekt technisch auf ein internationales Spitzenniveau aufgerüstet. Für spezielle Messungen und Experimente wird überdies ein mobiles Gerät für exakte Treibhausgasanalysen ausgerüstet. rund 40 LTER-Standorten in Österreich (siehe Lexikon), an denen Langzeitbeobachtungen der Umwelt z. B. anhand bestimmter Zeigerarten wie Flechten, Vögel oder Fische durchgeführt werden.
Eines der dringendsten Umweltprobleme sind derzeit die Stickstoffeinträge in die Natur aus Luftschadstoffen. Stickoxid-Emissionen (aus Verkehr, Industrie und Landwirtschaft) haben in manchen Regionen eine starke Überdüngung zur Folge. „Das führt im Extremfall zu einem Rückgang der Biodiversität“, so Dirnböck. Ein anderes heiß umstrittenes Thema ist, ob und unter welchen Voraussetzungen das Treibhausgas CO2 im Wald gespeichert wird. „Derzeit ist der Wald eine CO2-Senke, aber wir wissen nicht, wie sich das in Zukunft mit dem fortschreitenden Klimawandel entwickeln wird“, erläutert Dirnböck.
Ein Grund für die vielen Unsicherheiten ist, dass der Verlauf der biochemischen Prozesse im Boden sehr stark von den konkreten Umgebungsbedingungen abhängig ist. Nach Dürre- oder Frostperioden sind die Bodenorganismen nicht so aktiv wie bei feuchter Wärme. Daher werden Stickoxide und Ammonium mal besser, mal schlechter biologisch verwertet, sie können bei einem Starkregenereignis mehr oder weniger leicht aus dem Boden ausgespült werden. Dadurch kann es unter anderem zu einer erhöhten Nitratauswaschung in das Grundwasser kommen. Auf ähnliche Weise wird die Kohlenstoffbilanz im Waldboden von den Witterungsbedingungen beeinflusst – und da Extremereignisse mit dem Klimawandel häufiger werden, können bisherige Erkenntnisse nur schwer in die Zukunft projiziert werden. „Man ist weit davon entfernt, angeben zu können, welche Folgen das hat“, so Dirnböck.
Solche Fragen will man mit der Hightech-Ausrüstung im Wald beantworten. Gemessen wird – neben allgemeinen meteorologischen Parametern – beispielsweise, welche Mengen an CO2 in den Wald hineingelangen und aus ihm wieder herauskommen. Das geschieht durch Sensoren auf dem hohen Messturm und mit Hilfe von Kammern, die teilweise in den Waldboden eingegraben sind. Die Prozesse während des Versickerns des Regenwassers werden in sogenannten Lysimetern beobachtet. Zusätzlich messen Saftstromsensoren und Dendrometer den Flüssigkeitstransport in Baumstämmen. Und an einer Quelle unterhalb des Mess-Plots wird schließlich ermittelt, wie viel Kohlenstoff, Stickstoff und andere Substanzen aus dem Waldboden ausgewaschen werden.
Die Daten werden in Echtzeit an die Zentrale des Umweltbundesamtes in Wien gesendet, wo sie ausgewertet werden. Die Station selbst wird von den Partnern Nationalpark Kalkalpen und den Österreichischen Bundesforsten betreut – aber auch die Wissenschaftler kommen regelmäßig, um Proben zu nehmen, den Zustand von Moosen, Flechten und Bäumen zu begutachten und die Messsysteme zu warten.
Derzeit wird die Station am Zöbelboden – ebenso wie fünf weitere LTER-Standorte – stark ausgebaut: Ein von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanziertes Zwei-Millionen-Euro-Projekt namens „LTER-CWN“ermöglicht die Implementierung neuester Technologien. Mit diesen kann ein noch genauerer Blick in die Veränderungen der Stoffkreisläufe geworfen werden.