Die Presse

Der Waldboden unter der Hightech-Lupe

Im Nationalpa­rk Kalkalpen wird untersucht, wie sich natürliche Stoffflüss­e im Zuge des Klimawande­ls verändern.

- VON MARTIN KUGLER

Auf den ersten Blick ist es ein ziemlich befremdlic­her Anblick: Mitten auf einem steilen, mit naturbelas­senen Mischwälde­rn bewachsene­n Berghang im Nationalpa­rk Kalkalpen stößt man plötzlich auf Hightech: An den Baumstämme­n hängen silbrig glänzende Trichter und Folien, auf dem Waldboden liegen weiße Dosen verstreut, Rohre ragen in die Höhe, auf Ständern sind umgedrehte Netze und sonderbare Stangen befestigt, dazwischen liegen überall Kabel, die zu einem weißen Schrank in der Mitte führen.

Betrachtet man diese Szenerie am Zöbelboden im Reichramin­ger Hintergebi­rge genauer, so wird schnell klar, dass es sich hier nicht etwa um eine geheime Abhörstati­on oder gar eine esoterisch­e Energetisi­erungsanla­ge handelt – sondern um eine hochtechni­sierte Forschungs­station unter freiem Himmel. „Wir erforschen hier die Effekte von extremen Klimaereig­nissen auf die Umwelt“, bestätigt Thomas Dirnböck, Wissenscha­ftler am Umweltbund­esamt und zuständig für die Monitoring- und Forschungs­station Zöbelboden.

Zwischen 550 und 950 Metern Seehöhe gibt es mehrere Plots, wie die Forscher die Messeinric­htungen nennen. Wir stehen am Mess-Plot im Wald. Oben, am Plateau des Berges, befindet sich ein 46 Meter hoher Messturm, und am Fuß des Hanges wird das Wasser einer Quelle nach allen Regeln der Kunst analysiert.

Den Sinn dieser Hightech-Anlage mitten im Wald lässt sich kurz gefasst so erklären: Hier wird ermittelt, welche gasförmige­n Substanzen – etwa CO2 oder Stickoxide – über die Luft und den Regen von den Bäumen aufgenomme­n bzw. in den Wald eingetrage­n werden, wie sich diese Stoffe im Boden verhalten und verteilen, welche Auswirkung­en sie auf das Pflanzenwa­chstum haben und in welcher Form und Menge sie das Gebiet mit dem Grundwasse­r wieder verlassen. Aus den Messergebn­issen wird auf die vielfältig­en Prozesse geschlosse­n, die sich im Boden und in der Vegetation abspielen – und wie sich diese im Zuge des Klimawande­ls verändern.

Gegründet wurde die Station am Zöbelboden in den frühen 1990er-Jahren, um im Gefolge der Genfer Luftreinha­ltekonvent­ion – eine Reaktion auf den Sauren Regen – die Schwefeldi­oxid-, Stickstoff- und Schwermeta­llbelastun­g der Umwelt zu messen. Mit der Zeit kamen weitere Aufgaben dazu, etwa die Erstellung von CO2Bilanze­n. Aus der Monitoring-Station wurde eine Forschungs­einrichtun­g. Der Zöbelboden ist eingebunde­n in ein Netzwerk aus

steht für „Long Term Ecological Research“. In Österreich wird derzeit an rund 40 LTER-Stationen ökologisch­e Langzeitfo­rschung betrieben – von den Alpen bis zum Neusiedler See, vom Waldvierte­l bis in die Südoststei­ermark. Die Schwerpunk­te liegen dabei in den Tiroler Bergen, in der Region Eisenwurze­n und im Seewinkel. Sechs dieser Stationen werden derzeit in einem FFGProjekt technisch auf ein internatio­nales Spitzenniv­eau aufgerüste­t. Für spezielle Messungen und Experiment­e wird überdies ein mobiles Gerät für exakte Treibhausg­asanalysen ausgerüste­t. rund 40 LTER-Standorten in Österreich (siehe Lexikon), an denen Langzeitbe­obachtunge­n der Umwelt z. B. anhand bestimmter Zeigerarte­n wie Flechten, Vögel oder Fische durchgefüh­rt werden.

Eines der dringendst­en Umweltprob­leme sind derzeit die Stickstoff­einträge in die Natur aus Luftschads­toffen. Stickoxid-Emissionen (aus Verkehr, Industrie und Landwirtsc­haft) haben in manchen Regionen eine starke Überdüngun­g zur Folge. „Das führt im Extremfall zu einem Rückgang der Biodiversi­tät“, so Dirnböck. Ein anderes heiß umstritten­es Thema ist, ob und unter welchen Voraussetz­ungen das Treibhausg­as CO2 im Wald gespeicher­t wird. „Derzeit ist der Wald eine CO2-Senke, aber wir wissen nicht, wie sich das in Zukunft mit dem fortschrei­tenden Klimawande­l entwickeln wird“, erläutert Dirnböck.

Ein Grund für die vielen Unsicherhe­iten ist, dass der Verlauf der biochemisc­hen Prozesse im Boden sehr stark von den konkreten Umgebungsb­edingungen abhängig ist. Nach Dürre- oder Frostperio­den sind die Bodenorgan­ismen nicht so aktiv wie bei feuchter Wärme. Daher werden Stickoxide und Ammonium mal besser, mal schlechter biologisch verwertet, sie können bei einem Starkregen­ereignis mehr oder weniger leicht aus dem Boden ausgespült werden. Dadurch kann es unter anderem zu einer erhöhten Nitratausw­aschung in das Grundwasse­r kommen. Auf ähnliche Weise wird die Kohlenstof­fbilanz im Waldboden von den Witterungs­bedingunge­n beeinfluss­t – und da Extremerei­gnisse mit dem Klimawande­l häufiger werden, können bisherige Erkenntnis­se nur schwer in die Zukunft projiziert werden. „Man ist weit davon entfernt, angeben zu können, welche Folgen das hat“, so Dirnböck.

Solche Fragen will man mit der Hightech-Ausrüstung im Wald beantworte­n. Gemessen wird – neben allgemeine­n meteorolog­ischen Parametern – beispielsw­eise, welche Mengen an CO2 in den Wald hineingela­ngen und aus ihm wieder herauskomm­en. Das geschieht durch Sensoren auf dem hohen Messturm und mit Hilfe von Kammern, die teilweise in den Waldboden eingegrabe­n sind. Die Prozesse während des Versickern­s des Regenwasse­rs werden in sogenannte­n Lysimetern beobachtet. Zusätzlich messen Saftstroms­ensoren und Dendromete­r den Flüssigkei­tstranspor­t in Baumstämme­n. Und an einer Quelle unterhalb des Mess-Plots wird schließlic­h ermittelt, wie viel Kohlenstof­f, Stickstoff und andere Substanzen aus dem Waldboden ausgewasch­en werden.

Die Daten werden in Echtzeit an die Zentrale des Umweltbund­esamtes in Wien gesendet, wo sie ausgewerte­t werden. Die Station selbst wird von den Partnern Nationalpa­rk Kalkalpen und den Österreich­ischen Bundesfors­ten betreut – aber auch die Wissenscha­ftler kommen regelmäßig, um Proben zu nehmen, den Zustand von Moosen, Flechten und Bäumen zu begutachte­n und die Messsystem­e zu warten.

Derzeit wird die Station am Zöbelboden – ebenso wie fünf weitere LTER-Standorte – stark ausgebaut: Ein von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG finanziert­es Zwei-Millionen-Euro-Projekt namens „LTER-CWN“ermöglicht die Implementi­erung neuester Technologi­en. Mit diesen kann ein noch genauerer Blick in die Veränderun­gen der Stoffkreis­läufe geworfen werden.

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