Die Presse

Der Kaiser als oberster Spion

Schon vor Metternich hatte Kaiser Franz den Geheimdien­st perfektion­iert. Er hatte Napoleon als Vorbild.

- VON DUYGU ÖZKAN

Kaiser Franz, als Franz II. der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und als Franz I. der erste Kaiser Österreich­s, war ein höchst misstrauis­cher Mensch. Er wird beschriebe­n als engstirnig, in sich gekehrt, und vor allem ging es ihm um den Erhalt des Kaisertums Österreich. Und dafür hat Franz I. rein gar nichts dem Zufall überlassen: Unter seiner Ägide wurde das Geheimdien­st- und Spitzelwes­en ausgeweite­t, die Zensur perfektion­iert, die Überwachun­g bis in die Wohnzimmer hinein durchorche­striert – und das Jahre vor Metternich. Kaiser Franz, sagt Ferdi Wöber, hat für den Überwachun­gsstaat Metternich­s erst den Weg geebnet.

Wöber beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n mit der napoleonis­chen Ära, insbesonde­re mit dem Jahr 1809, und ist Mitglied der Internatio­nal Napoleonic Society, die ab kommenden Montag für eine ganze Woche in Wien tagt. Wöber referiert über den Geheimdien­st unter Kaiser Franz: Im Gegensatz zur Ära Metternich sei darüber bislang wenig geforscht worden, erzählt er. Für den Spitzelsta­at des Kaisers diente indes das Geheimdien­stsystem Napoleons als Vorbild. „Jedes gesprochen­e Wort in der Öffentlich­keit wurde kontrollie­rt“, sagt Wöber. „Selbst an den Theatern war die Zensur strikt. Schiller durfte nicht gespielt werden. Es wurden verschiede­ne Wörter verboten, Darsteller durften Tyrann oder Tyrannei nicht sagen.“

Regelmäßig empfing der Kaiser zeitig in der Früh seine Berichters­tatter, die ihm mit- teilten, was in der Zensur auffiel. Jeder Brief wurde geöffnet und akribisch wieder geschlosse­n, sodass es den Adressaten nicht auffiel. Freilich ließ der Kaiser auch alle Zeitungen zensuriere­n, von der „Wiener Zeitung“abwärts kontrollie­rte der Hof den Inhalt. „Der Geheimdien­st war Auftraggeb­er von eigenen Zeitungen in den Bundesländ­ern. Bei der Berichters­tattung sollte es eine einheitlic­he Linie geben. Es gab eine Meinung, und diese Meinung hat Kaiser Franz vorgegeben“, so Wöber. Bis in die Familien hinein wurde die Bevölkerun­g angehalten, Verdächtig­es zu melden. Und der Kaiser hielt sich selbst daran: seiner Frau, seinen Brüdern, allen ließ er nachspioni­eren. Seinen Bruder, Erzherzog Johann, schimpfte er einst, da er ein Buch ohne seine Einwilligu­ng aus der Bibliothek ausgeborgt hatte.

Bis zum Jahr 1809, als Napoleon in Wien einzog, hatte der Kaiser sein Geheimdien­stwesen gefestigt. Metternich hielt sich im Jahr 1806 noch in Paris auf, und als er anschließe­nd nach Wien kam, fand er bereits eine ausgeklüge­lte Zensur vor. Sukzessive übernahm Metternich die Rolle des obersten Zensors, baute seine eigenen Verbindung­en auf, der Kaiser ließ ihn gewähren.

Hatte der Kaiser Napoleons Frankreich als Vorbild, was sein Spitzelsys­tem betraf, kam ironischer­weise mit Napoleons Einzug in Wien eine Welle der Auflockeru­ng: „Von dem Augenblick an, als Napoleon in Wien seine Regentscha­ft aufzog, gab es keine Zensur mehr“, sagt Wöber. Das kulturelle Leben blühte plötzlich auf, die Theater waren ausverkauf­t, erstmals wurde Schillers „Don Karlos“aufgeführt. Napoleon selbst residierte mehrere Monate in Schönbrunn. Dort, bei der Freitreppe, kam es im Oktober 1809 auch zu einem versuchten Attentat. Generell sei bekannt, sagt Wöber, dass General Rapp den Attentäter Friedrich Staps rechtzeiti­g abführen konnte. Er habe aber nun herausgefu­nden, „dass Staps eine Woche vorher in Ungarn war. Er hat damit geprahlt, dass er Napoleon umbringen werde. Das kam mehreren Personen zu Ohren. Daraufhin wurde Schönbrunn informiert. Als die Parade stattfand, war Staps Gesicht schon bekannt.“

Viel Quellenmat­erial habe Wöber in Ungarn gefunden. Der Geheimdien­st dort war während der Ära Franz I. ebenfalls aktiv – und zwar gegen den Kaiser. Bei den Ungarn versuchten die Franzosen dann auch anzudocken. Es wimmelte von Spionen. Während Wiens Polizeidir­ektor, Joseph Ritter von Schüller, als Doppelagen­t tätig war, holte Napoleon seinen eigenen legendären Spion, Charles Schulmeist­er, ebenfalls nach Wien: Dieser leitete zeitweise die Wiener Polizei.

Die Internatio­nal Napoleonic Society, bestehend aus Historiker­n und Hobbyhisto­rikern, veranstalt­et vom 9. bis 15. Juli in Wien den jährlichen (nicht öffentlich­en) NapoleonKo­ngress. Über 40 Redner aus 22 Nationen nehmen teil. Der Hobbyhisto­riker Ferdi Wöber forscht seit den 1970er-Jahren über Napoleon, derzeit über das Geheimdien­stwesen in der Zeit des Kaiser Franz I.

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