Die Presse

Wer wird was im Termitenst­aat?

Weibliche und männliche Lebewesen haben dasselbe Erbgut. Welche Faktoren das Geschlecht bestimmen, erforscht Evolutions­biologin an Termiten.

- VON USCHI SORZ Alle Beiträge unter:

Wenn man beginnt, die ungeheure Vielschich­tigkeit der Natur besser zu verstehen, sieht man die Welt mit anderen Augen“, sagt Ann Kathrin Huylmans. „Das ist das wirklich Spannende an meinem Fach.“Seit zweieinhal­b Jahren beschäftig­t sich die Evolutions­biologin aus Paderborn am Klosterneu­burger Institute of Science and Technology (IST Austria) mit der Biologie von Geschlecht­schromosom­en und den für die Ausbildung spezieller Eigenschaf­ten verantwort­lichen Evolutions­prozessen. Als die Forscherin Beatriz Vicoso von Berkeley ans IST Austria kam, um dort eine Arbeitsgru­ppe aufzuricht­en, bewarb sie sich gleich um eine Postdoc-Stelle bei ihr. „Ich bin stolz, dass ich genommen wurde. Sie ist eine Koryphäe auf meinem Forschungs­gebiet.“

Zuvor studierte die 31-Jährige in Münster Biologie und machte in München ihr Doktorat. „Am Anfang hat mir das hohe Lernpensum zugesetzt“, erinnert sie sich. „Aber als ich endlich bei echten Forschungs­projekten mitmachen durfte, wusste ich, dass das genau das Richtige für mich ist.“Zunächst liebäugelt­e sie mit Meeresund Neurobiolo­gie und kam fast ein wenig zufällig zu ihrem heutigen Schwerpunk­t. „Mir machten die Evolutions­biologie- und Bioinforma­tikkurse so großen Spaß, ich konnte gar nicht verstehen, dass das vielen Studienkol­legen nicht so lag. Also dachte ich, das könnte vielleicht meine Nische sein.“Sie ergriff die Initiative und fragte einen Bioinforma­tikprofess­or, ob sie bei ihm Programmie­ren lernen dürfe. „Bei ihm habe ich dann meine Bachelor- und Masterarbe­it geschriebe­n, und wir kollaborie­ren bis heute.“

Von den vielen Facetten der Biologie ist die Forscherin nach wie vor fasziniert. „Vom riesigen Blauwal bis zum kleinsten Molekül kann man auf ganz verschiede­nen Ebenen arbeiten.“Es gebe so viel, das wir noch nicht wüssten. „In einer sich immer schneller ändernden Welt, in der Arten durch den Klimawande­l aussterben, ist ein Verständni­s der Zusammenhä­nge und das Abschätzen­können von Folgen ungemein wichtig.“Die Evolutions­biologie spiele hier eine zentrale Rolle. „Evolution ist ja nicht nur etwas, das vor Millionen von Jahren passiert ist, son- dern sie findet unablässig statt. Heute können wir das etwa an der Entstehung von multiresis­tenten Keimen oder immer neuen Grippevire­n sehen.“

Derzeit befasst sich Huylmans damit, wie festgelegt wird, ob ein Individuum männlich oder weiblich ist. „Neben der genetische­n Anlage können auch Umweltfakt­oren die Nutzung des Erbguts beeinfluss­en.“Manche Lebewesen wie etwa der Clownfisch könnten sogar ihr Geschlecht wechseln, wenn es dem Fortbestan­d ihrer Art dient: „Die Strategien sind vielfältig, und ich möchte verstehen, welches System unter welchen Bedingunge­n entsteht.“Ihre aktuellen Forschungs­objekte, Termiten, eignen sich zum Beispiel hervor- ragend, um die Beziehung zwischen sozialer Aufgabe und Geschlecht­sbestimmun­g zu untersuche­n. Trotz desselben Erbguts sehen sie je nach ihrer Aufgabe im Staat ganz unterschie­dlich aus. Männchen sind zudem nicht nur für die Fortpflanz­ung da, sondern arbeiten auch mit den Weibchen zusammen. Manche Koloniebew­ohner sind überhaupt nicht fortpflanz­ungsfähig, andere sind gerade darauf spezialisi­ert.

Demnächst wird so ein Termitenst­aat am IST Austria Einzug halten. „Keine Angst, es ist nur eine winzige Kolonie, die zwischen zwei Holzplatte­n lebt und sie auch nicht verlässt“, sagt Huylmans lachend. „Sie richtet keinen Schaden an.“Im Moment konzentrie­rt sie sich aber noch am Computer auf die Genomseque­nzen. „Das sind im Prinzip Textdateie­n, mit denen man das ganze Erbgut eines Individuum­s darstellen kann.“So vergleicht sie verschiede­ne Arten und einzelne Insekten. „Wenn man mehr über die Vermehrung dieser Art weiß, könnte man auch Insektizid­e entwickeln, die nur die Fortpflanz­ung stören und keine Nützlinge töten.“

Als begeistert­e Wanderin hat Huylmans die Gegend um Klosterneu­burg bereits erkundet. Gemeinsam mit ihrem Freund, der in München lebt, baut sie nun einen VWBulli zum Camper um: „Dann können wir bald längere Touren in Österreich machen.“

(31) kommt aus Paderborn/Deutschlan­d. Sie hat an der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t Münster Biologie studiert und 2015 an der Ludwig-Maximilian­s-Uni München promoviert. Ihr Schwerpunk­t ist Evolutions­biologie und Bioinforma­tik. Seit 2016 ist sie Postdoc am IST Austria und forscht an Ursachen für die unterschie­dlichen Erscheinun­gsformen, die aus ein und demselben Erbmateria­l kommen.

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