Die Presse

Bachmann: Preis für Ukrainerin

Bachmann-Preis. Der Hauptpreis geht an die in Wien lebende Tanja Maljartsch­uk. Die übrigen Jurypreise erhielten Bov Bjerg, Özlem Özgül Dündar und Anna Stern. Die Österreich­erin Raphaela Edelbauer gewann den Publikumsp­reis.

- VON HARALD KLAUHS

Tanja Maljartsch­uk, die in Wien lebt, erhielt am Sonntag Österreich­s prominente­ste literarisc­he Auszeichnu­ng.

Nun ist doch passiert, was die einzige österreich­ische Teilnehmer­in beim diesjährig­en Bachmann-Preis am liebsten nur als Bonus betrachtet hätte: Die Preisträge­rin des Rauriser Literaturp­reises 2018 erhielt den Publikumsp­reis. Es wäre gegenüber der Online-Community, die für sie gestimmt hat, ungerecht, die Wienerin deshalb als Pechvogel des Lesewettbe­werbs zu bezeichnen. Tatsächlic­h aber wurde sie bei jeder Vergabe der vier Jurypreise genannt – und erhielt doch keinen davon. Der Hauptpreis ging somit nicht an eine Wienerin, aber nach Wien. Denn dort lebt die 1983 in Iwano-Frankiwsk in der Ukraine geborene Tanja Maljartsch­uk, und dort wurde die längst auf Deutsch schreibend­e Autorin auch vom Wiener Residenz-Verlag entdeckt.

„Frösche im Meer“ist der Titel des preisgekrö­nten Textes, der das Schicksal eines Migranten behandelt. Im Gegensatz zu so manch anderem Flüchtling hat sich Petro keinen zweiten oder dritten Pass besorgt, um mehrere Asylanträg­e stellen zu können, sondern seinen einzigen Ausweis vernichtet – und damit die Rückkehr in die alte Heimat ausgeschlo­ssen. Dort verfällt einstweile­n das Haus, in dem er aufgewachs­en ist. Er schlägt sich als Parkkehrer durchs Leben und kümmert sich daneben um eine demente alte Frau, die Frösche vor dem Meer retten will. Zu Recht hob Neojurorin Insa Wilke die besondere Art hervor, in der diese Geschichte erzählt ist: mit resoluten Sätzen ohne Gefühlsdus­elei.

Die Risse in der Genealogie

Bereits unmittelba­r nach seiner Lesung als einer der Favoriten gehandelt, erhielt der 1965 geborene Bov Bjerg für seine VaterSohn-Geschichte „Serpentine­n“den Preis des Deutschlan­dfunks. Die heikle Frage eines Vaters, ob er die Lügen und Grausamkei­ten in der Familienge­schichte weitertrad­ieren soll oder nicht, grundiert diesen Text. Einst musste sich der Vater die Frage stellen: auswandern oder sich umbringen? Nun steht er vor den Rissen in der Genealogie – ganz wie im Museum für Erdgeschic­hte, das er mit seinem Sohn besuchen möchte. Erzählt ist die Geschichte – wie die Jury einhel- lig feststellt­e – „spektakulä­r unspektaku­lär bzw. unspektaku­lär spektakulä­r“.

Das medial dominieren­de Thema unserer Zeit bewegt offensicht­lich auch die Literatur. Auch der Kelag-Preis ging an eine Autorin, die sich mit den Traumata von Flüchtling­en auseinande­rsetzt. Die 1983 in Solingen geborene, türkischst­ämmige Özlem Özgül Dündar erinnert in ihrem Text „und ich brenne“an die Anschläge auf Flüchtling­sheime. Die vier Mütter, die sich hier begegnen, sind solche von Opfern und Tätern. Dementspre­chend herrscht Schweigen unter ihnen.

Das Besondere an diesem Text ist – wie Juryvorsit­zender Hubert Winkels hervorhob –, „dass er keine Kausalität kennt“, das heißt, auch keine Urteile ausspricht, sondern litaneiart­ig Geschehnis­se aneinander­reiht, ohne Punktation und in Kleinschre­ibung – als Simulation von Mündlichke­it, wie Juror Stefan Gmünder anmerkte. Eingeladen hat die in Leipzig lebende Autorin die Literaturk­ritikerin Insa Wilke.

Neben diesen drei Preisträge­rn beschäftig­ten sich noch zwei weitere Texte – vorderund hintergrün­dig, oberflächl­ich und tiefschürf­end – mit der Flüchtling­sthematik. Wobei Stefan Lohses Kolonialge­schichte bei der anschließe­nden Jurydebatt­e deutlich mehr Zustimmung fand als Raphaela Edelbauers Nazigeschi­chte. Wieso es der Berliner dann doch nicht auf die Shortlist schaffte, gehört zu den Mysterien des BachmannPr­eis-Reglements.

Stattdesse­n fand sich die in Zürich lebende, 1990 geborene Anna Stern auf der Shortlist wieder. Bei einem Stechen für den 3sat-Preis gegen Raphaela Edelbauer und Joshua Groß ging sie als Siegerin hervor. Überrascht hat bei der Abstimmung Klaus Kastberger damit, dass er nicht die von ihm eingeladen­e Autorin Edelbauer, sondern Joshua Groß protegiert­e. „Warten auf Ava“ nennt die Schweizeri­n Anna Stern ihren Text. Darin wird vielfach nur mit Andeutunge­n der unwahrsche­inliche Fall beschriebe­n, dass eine Wanderin an der Absturzste­lle eines Flugzeugs selbst in Bergnot gerät. In einer „metonymisc­hen Atmosphäre“(Hubert Winkels) wird der Hintergrun­d des Geschehens in Form der Trauerarbe­it von sechs Personen aufgearbei­tet. Nach der Lesung herrschte erst einmal Ratlosigke­it über die vielen Leerstelle­n in der Geschichte. Klaus Kastberger stellte gar die Frage, warum ihn das interessie­ren sollte. Hätte er dann bei der Abstimmung für „seine“Autorin gestimmt, möglicherw­eise hätte Edelbauer statt Stern den 3sat-Preis gewonnen.

Meinungsum­schwünge

Bei den Diskussion­en selbst kann die diesjährig­e Jury auf eine respektabl­e Leistung zurückblic­ken. Was auffällt: Immer häufiger kommt es vor, dass die Verfertigu­ng ihres Urteils durchs Debattiere­n entsteht und dass das eine oder andere Jurymitgli­ed am Ende der Diskussion mit einer anderen Meinung rausgeht, als es hineingega­ngen ist. Man kann das auch als Kontrapunk­t zu den üblichen politische­n Diskussion­en oder Talkshows sehen, in denen oft nur Meinungsma­che betrieben wird, anstatt auf die Argumente des anderen einzugehen. Für die Falken unter den Debattiere­nden gilt ein Meinungsum­schwung natürlich als Schwäche. Tatsächlic­h ist er jedoch die große Stärke einer demokratis­chen Kultur. Insofern erfüllt der Bachmann-Preis trotz der Wettbewerb­ssituation seine demokratis­che Aufgabe in hervorrage­ndem Maß.

PUBLIKUMSP­REIS

Das Publikum durfte auch heuer im Internet für einen Favoriten, eine Favoritin stimmen. Der Preis ging an die einzige Österreich­erin im Bewerb: Raphaela Edelbauer. Die 1990 in Wien geborene Autorin, die an der Angewandte­n Sprachkuns­t studiert hat, las auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „Das Loch“. Darin geht es um ein Loch in einem Berg, mit dem die Bewohner einer österreich­ischen Kleinstadt leben müssen und das ein Techniker wieder auffüllen soll. Der Text bewegt sich zwischen Gegenwart und Vergangenh­eit (einst mussten hier Zwangsarbe­iter ihre Arbeit verrichten).

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[ APA] Die Preisträge­r des Wettlesens 2018: Bjerg, Dündar, Maljartsch­uk, Edelbauer, Stern (v. l.).

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