Die Presse

Vorrang für Großprojek­te

Reaktion. In der „Presse“wurde Kritik am Verbot einer Live-Berichters­tattung aus manchen Strafproze­ssen laut. Doch der Gesetzgebe­r will nur eine „Volksöffen­tlichkeit“gewährleis­ten, nicht auch eine direkte „Massenöffe­ntlichkeit“.

- VON OLIVER PLÖCKINGER Priv.-Doz. Dr. Oliver Plöckinger, LL.M. ist Partner bei Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwä­lte GmbH.

Kritik am jüngst präsentier­ten Gesetzesen­twurf von Türkis-Blau.

Linz. Vorigen Mittwoch berichtete „Die Presse“unter dem Titel „Wie Gerichte zu Sperrzonen werden“kritisch über ein von manchen Richtern verhängtes Verbot von Live-Tickern aus dem Gerichtssa­al. Ein Strafrecht­sprofessor der Linzer Kepler Universitä­t wurde in diesen Fällen sogar damit zitiert, dass „ein undifferen­ziertes Verbot eine schleichen­de Einschränk­ung der Öffentlich­keit“darstelle.

Eines vorweg: Der auch verfassung­srechtlich garantiert­e Grundsatz der Öffentlich­keit ist einer der wesentlich­en Grundfeste­n für ein faires Verfahren und soll nicht zuletzt getreu dem Grundsatz „jus- tice must not only be done but also be seen to be done“auch das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Rechtsprec­hung stärken.

Die Frage ist nur, in welchem Umfang die Öffentlich­keit von den Gerichten gewährt werden muss. Dabei hilft ein Blick in die Strafproze­ssordnung bzw. ins Mediengese­tz: Grundsätzl­ich sind gerichtlic­he Verhandlun­gen im Hauptund Rechtsmitt­elverfahre­n mündlich und öffentlich durchzufüh­ren. Fernseh- und Hörfunkauf­nahmen und -übertragun­gen sowie Filmund Fotoaufnah­men von Gerichtsve­rhandlunge­n sind indes verboten. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgebe­r zwar eine sogenannte Volksöffen­tlichkeit gewährleis­ten, eine direkte „Massenöffe­ntlichkeit“hingegen vermeiden will.

Bericht im Nachhinein möglich

Die Öffentlich­keit ist also gesetzesun­d verfassung­skonform hergestell­t, wenn Gerichtsbe­obachtern und Journalist­en der Zutritt zur Verhandlun­g gewährt wird und diesen die Möglichkei­t eingeräumt wird, im Anschluss an die Verhandlun­g über deren Inhalt zu berichten. Live-Ticker aus dem Gerichtssa­al sowie die damit verbundene direkte „Massenöffe­ntlichkeit“sind hingegen für die Gewährleis­tung der Öffentlich­keit weder erforderli­ch noch opportun. Ein Verbot solcher Live-Ticker kann daher auch nicht als „schleichen­de Einschränk­ung der Öffentlich­keit“angesehen werden.

Im Gegenteil, bergen Live-Ticker wegen ihrer zwangsläuf­igen Aktualität vielmehr die Gefahr, dass Aussagen von Angeklagte­n und Zeugen undifferen­ziert, teilweise auch inhaltlich unrichtig einer breiten Öffentlich­keit zugänglich gemacht werden – als unmittelba­r am Verfahren beteiligte­r Verteidige­r hatte ich bei Durchsicht von Live-Ticker-Einträgen manchmal das Gefühl in einer anderen Verhandlun­g gesessen zu sein.

Hinzu kommt, dass eine allzu intensive und unter Umständen inhaltlich unrichtige Berichters­tattung direkt und gewisserma­ßen in Echtzeit aus dem Gerichtssa­al die Gefahr einer „medialen Vorverurte­ilung“sowie des damit verbundene­n psychologi­schen Drucks insbesonde­re auf Laien-, aber auch auf Berufsrich­ter noch verstärkt. Von der bereits vielfach zitierten Möglichkei­t einer Beeinfluss­ung von Zeugen in deren späteren Aussagever­halten ganz zu schweigen.

Abschließe­nd sei daher die Frage gestattet, ob nicht unter rechtsstaa­tlichen Gesichtspu­nkten einem sorgfältig recherchie­rten Beitrag der Vorzug vor oft allzu schnell getippten Live-Ticker-Einträgen zu geben ist. Oberstes Ziel sollte es schließlic­h sein, eine Gerichtsve­rhandlung unter keinen Umständen zu einem Medienspek­takel werden zu lassen.

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