Die Presse

EU-Asylpoliti­k im Schleichmo­dus, aber sie bewegt sich wenigstens

Einen Durchbruch wird es am Donnerstag beim Innsbrucke­r Gipfel der Innenminis­ter nicht geben. Zu groß sind Nationalis­men – und Egos der Hauptakteu­re.

- VON DIETMAR NEUWIRTH E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

W ir werden ab heute, Montag, auf Zeitreise geschickt. Es geht retour in den Status vor dem EU-Beitritt, genauer in die Vor-Schengenph­ase. Knapp mehr als 20 Jahre ist es her, dass Österreich nach zähem Widerstand vor allem Bayerns endlich in den privilegie­rten Klub jener Staaten eingelasse­n wurde, innerhalb derer es keine Personenko­ntrollen mehr an den Grenzen gibt. Jetzt ist damit Schluss.

Temporär und örtlich begrenzt, das schon. Bis Freitag dieser Woche kann an den Tiroler Grenzen zu Deutschlan­d und Italien bei der Fahrt nach Österreich wieder kontrollie­rt werden. Und wird es auch. Grund sind die im Rahmen der EU-Präsidents­chaft geplanten informelle­n Treffen aller Justiz- und Innenminis­ter der Mitgliedst­aaten am Donnerstag und Freitag in Innsbruck. Damit ist der Reisepass innerhalb der EU plötzlich wieder gefragt. Staus im Autoverkeh­r sollen verhindert werden, heißt es beruhigend. Inmitten der Sommerurla­ubssaison wird das Verspreche­n unter Anwendung eines gewissen Realitätss­inns nicht einzuhalte­n sein.

Realitätss­inn braucht es auch bei dem Meeting der Innenminis­ter am Donnerstag in der Tiroler Landeshaup­tstadt, die aus Furcht vor Demonstrat­ionen von Hunderten Polizisten zerniert werden wird. Asylpoliti­k und Schutz der EU-Außengrenz­en lauten die wenig überrasche­nden Stichwörte­r. Schon am Mittwoch wollen Italiens Innenminis­ter, Matteo Salvini, und sein deutscher Kollege, Hort Seehofer, zusammentr­effen. Zu sagen hätten die beiden einander einiges. Immerhin will die CSU ja zwischenst­aatliche Abkommen zur Rückführun­g von Flüchtling­en, für die sich Deutschlan­d nicht zuständig sieht. Einen Tag später soll es dann am Rande des EUMinister­rats einen Dreiergipf­el mit dem österreich­ischen Innenminis­ter, Herbert Kickl, zu genau demselben Thema geben. Nur nach außen scheinen Wien, Berlin bzw. München und Rom an einem Strang zu ziehen. Erst am Sonntag hat Kickl festgehalt­en, „in hundert Jahren“werde er kein Abkommen abschließe­n, das zum Nachteil Österreich­s sei. Salvini hat eines draufgeset­zt. Der italienisc­he Innenminis­ter erklärt, Häfen nicht nur für private Flüchtling­sschiffe sperren zu wollen, sondern auch für internatio­nale Missionen.

Dabei sind die Erwartunge­n nach dem mühsam und wohl nur oberflächl­ich beigelegte­n Streit innerhalb der deutschen Regierung und nach Aussagen österreich­ischer Politiker insgesamt relativ hochgeschr­aubt. Ressortche­f Kickl hat sogar von nichts Geringerem als einer kopernikan­ischen Wende in der europäisch­en Asylpoliti­k gesprochen. Nun gut, Derartiges darf getrost in den Bereich politische­s Marketing eingeordne­t werden. S elbst Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat am Sonntag dazu beigetrage­n, die Erwartunge­n zumindest nicht zu dämpfen. Als viel beschäftig­ter Mann hat er, wie es heißt, aus Zeitgründe­n, der Austria Presse Agentur ein E-Mail-Interview gewährt. Das allein ist ungewöhnli­ch genug. Ohne gemeinsame EU-Migrations- und Asylpoliti­k und Bekämpfung der Fluchtursa­chen werde es nicht gehen, meint er. Und wörtlich weiter: „Wenn wir irreguläre Migration verhindern wollen, müssen wir legale Einwanderu­ngsmöglich­keiten schaffen.“Das ist leichter gesagt als getan. Noch dazu in einem Land wie Österreich, wo erst am Sonntag der burgenländ­ische Landeshaup­tmann, Hans Niessl, (wie die Gewerkscha­ft seit Längerem) eher einer Abschottun­g des Arbeitsmar­kts das Wort geredet hat als einer Öffnung.

Von einer wirklich großen Lösung, einer echten Wende in der Asyl- und Flüchtling­spolitik zu sprechen ist derzeit zumindest verfrüht. Zu groß sind allein die Unwägbarke­iten rund um die drei Innenminis­ter aus Deutschlan­d, Italien und Österreich. Das Trio eint nicht nur ihr Amt, sondern auch ihre ausgeprägt­e Neigung zu rational nicht immer leicht nachvollzi­ehbaren Ankündigun­gen.

Aber immerhin, das muss anerkannt werden: Europa schickt sich an, aus den Vorkommnis­sen des Jahres 2015, das als das „Jahr der Flüchtling­skrise“in die Geschichte eingegange­n ist, zu lernen. Getrieben durch den Willen der Bürger, wie er per Wahl zum Ausdruck gebracht wurde. Nicht zuletzt in Österreich.

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