EU-Asylpolitik im Schleichmodus, aber sie bewegt sich wenigstens
Einen Durchbruch wird es am Donnerstag beim Innsbrucker Gipfel der Innenminister nicht geben. Zu groß sind Nationalismen – und Egos der Hauptakteure.
W ir werden ab heute, Montag, auf Zeitreise geschickt. Es geht retour in den Status vor dem EU-Beitritt, genauer in die Vor-Schengenphase. Knapp mehr als 20 Jahre ist es her, dass Österreich nach zähem Widerstand vor allem Bayerns endlich in den privilegierten Klub jener Staaten eingelassen wurde, innerhalb derer es keine Personenkontrollen mehr an den Grenzen gibt. Jetzt ist damit Schluss.
Temporär und örtlich begrenzt, das schon. Bis Freitag dieser Woche kann an den Tiroler Grenzen zu Deutschland und Italien bei der Fahrt nach Österreich wieder kontrolliert werden. Und wird es auch. Grund sind die im Rahmen der EU-Präsidentschaft geplanten informellen Treffen aller Justiz- und Innenminister der Mitgliedstaaten am Donnerstag und Freitag in Innsbruck. Damit ist der Reisepass innerhalb der EU plötzlich wieder gefragt. Staus im Autoverkehr sollen verhindert werden, heißt es beruhigend. Inmitten der Sommerurlaubssaison wird das Versprechen unter Anwendung eines gewissen Realitätssinns nicht einzuhalten sein.
Realitätssinn braucht es auch bei dem Meeting der Innenminister am Donnerstag in der Tiroler Landeshauptstadt, die aus Furcht vor Demonstrationen von Hunderten Polizisten zerniert werden wird. Asylpolitik und Schutz der EU-Außengrenzen lauten die wenig überraschenden Stichwörter. Schon am Mittwoch wollen Italiens Innenminister, Matteo Salvini, und sein deutscher Kollege, Hort Seehofer, zusammentreffen. Zu sagen hätten die beiden einander einiges. Immerhin will die CSU ja zwischenstaatliche Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen, für die sich Deutschland nicht zuständig sieht. Einen Tag später soll es dann am Rande des EUMinisterrats einen Dreiergipfel mit dem österreichischen Innenminister, Herbert Kickl, zu genau demselben Thema geben. Nur nach außen scheinen Wien, Berlin bzw. München und Rom an einem Strang zu ziehen. Erst am Sonntag hat Kickl festgehalten, „in hundert Jahren“werde er kein Abkommen abschließen, das zum Nachteil Österreichs sei. Salvini hat eines draufgesetzt. Der italienische Innenminister erklärt, Häfen nicht nur für private Flüchtlingsschiffe sperren zu wollen, sondern auch für internationale Missionen.
Dabei sind die Erwartungen nach dem mühsam und wohl nur oberflächlich beigelegten Streit innerhalb der deutschen Regierung und nach Aussagen österreichischer Politiker insgesamt relativ hochgeschraubt. Ressortchef Kickl hat sogar von nichts Geringerem als einer kopernikanischen Wende in der europäischen Asylpolitik gesprochen. Nun gut, Derartiges darf getrost in den Bereich politisches Marketing eingeordnet werden. S elbst Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Sonntag dazu beigetragen, die Erwartungen zumindest nicht zu dämpfen. Als viel beschäftigter Mann hat er, wie es heißt, aus Zeitgründen, der Austria Presse Agentur ein E-Mail-Interview gewährt. Das allein ist ungewöhnlich genug. Ohne gemeinsame EU-Migrations- und Asylpolitik und Bekämpfung der Fluchtursachen werde es nicht gehen, meint er. Und wörtlich weiter: „Wenn wir irreguläre Migration verhindern wollen, müssen wir legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen.“Das ist leichter gesagt als getan. Noch dazu in einem Land wie Österreich, wo erst am Sonntag der burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, (wie die Gewerkschaft seit Längerem) eher einer Abschottung des Arbeitsmarkts das Wort geredet hat als einer Öffnung.
Von einer wirklich großen Lösung, einer echten Wende in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu sprechen ist derzeit zumindest verfrüht. Zu groß sind allein die Unwägbarkeiten rund um die drei Innenminister aus Deutschland, Italien und Österreich. Das Trio eint nicht nur ihr Amt, sondern auch ihre ausgeprägte Neigung zu rational nicht immer leicht nachvollziehbaren Ankündigungen.
Aber immerhin, das muss anerkannt werden: Europa schickt sich an, aus den Vorkommnissen des Jahres 2015, das als das „Jahr der Flüchtlingskrise“in die Geschichte eingegangen ist, zu lernen. Getrieben durch den Willen der Bürger, wie er per Wahl zum Ausdruck gebracht wurde. Nicht zuletzt in Österreich.