Untragbare Unsicherheit für Projekte
Standort-Entwicklungsgesetz. Die Stoßrichtung des Entwurfs, eine jahrelange Verzögerung von Vorhaben zu verhindern, ist richtig. Doch der Schritt vom gut gemeinten zum guten Gesetz fehlt.
Wien. Das seit einiger Zeit angekündigte Standort-Entwicklungsgesetz (StEntG) liegt nun als Begutachtungsentwurf vor. Mit diesem Vorhaben möchte das Wirtschaftsressort das Übel ausufernder und verschleppter Genehmigungsverfahren für UVP-pflichtige Großprojekte an der Wurzel packen. Die Ausgestaltung ist wahrlich spektakulär: Im Kern sollen Vorhaben, die für den Wirtschaftsstandort Österreich überragende Bedeutung haben, in einer Verordnung der Regierung ausgewiesen werden. Ab der Aufnahme in diese Verordnung bleibt im UVP-Verfahren, das zu diesem Zeitpunkt schon anhängig sein muss, kein Stein auf dem anderen.
Gesetz fingiert Genehmigung
Wird das UVP-Verfahren nicht binnen eines Jahres ab der Eintragung abgeschlossen, gilt das Vorhaben ex lege als genehmigt. Anschließend muss die UVP-Behörde binnen acht Wochen einen Genehmigungsbescheid erlassen. Neben dem Behördenverfahren nimmt der Entwurf auch das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ins Visier: Eine Beschwerde ist nur noch bei wesentlichen Rechtsfragen zulässig, das Gericht darf keine mündliche Verhandlung durchführen und muss binnen drei Monaten entscheiden.
Die Begründung für diese radikale Reform liegt nach den Erläuterungen in der überlangen Dauer von UVP-Genehmigungsverfahren für manche Großprojekte. In diesem Zusammenhang wird ein Fall erwähnt, in dem zwischen Antragstellung und Bescheiderlassung 64 Monate lagen. Gemeint ist offen- bar, dass es gerade die volkswirtschaftlich wichtigsten Projekte sind, die von solchen enormen Verzögerungen betroffen sind.
Dies deckt sich mit der leidvollen Erfahrung der Verfasser: Durch weidliche Inanspruchnahme überbordender Beteiligungsrechte und nahezu schikanöse Rechtsausübung einer Minderheit von Verfahrensbeteiligten ist das System missbrauchsanfällig geworden. Die jahrelange Verzögerung einer Genehmigung bringt aber keinen Zugewinn für Mensch und Umwelt.
Hinzu kommt eine schleichende Aushöhlung der Verwaltung, da Bund und Länder ihre Personaleinsparungen seltsamerweise auf die Hoheitsverwaltung zu konzentrieren scheinen. Ein Gegensteuern ist daher überfällig. Dazu enthalten jüngste Initiativen für Novellen zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz und UVP-Gesetz sehr begrüßenswerte Ansätze einer Verfahrensstraffung. Auch über das Aarhus-Beteiligungsgesetz auf Bundesebene darf sich der Betreibervertreter angesichts der damit gewährleisteten Rechtssicherheit nicht beklagen; die Landesgesetzgeber sollten sich daran, insbesondere im Bereich des Naturschutzes, ein Beispiel nehmen.
Mit dem vorliegenden Entwurf wird allerdings über das legitime Ziel hinausgeschossen, da unauflösliche Widersprüche mit dem Unionsrecht, den Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien nicht bedacht werden.
Die vorgesehene Fallfrist wird vielfach mit den Ermittlungspflichten der UVP-Richtlinie in Bezug auf Umweltauswirkungen des Vorhabens kollidieren, da deren Prüfung „vor Erteilung der Genehmigung“abgeschlossen sein muss (EuGH 17.11.2016, C-348/15). Vor allem aber muss nach der strikten Judikatur des EuGH der betroffe- nen Öffentlichkeit selbst gegen eine auf richtlinienkonformen Ermittlungsergebnissen beruhende Entscheidung ein uneingeschränkter Gerichtszugang offen stehen.
Der zwingende Entfall der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG widerspricht der ständigen Rechtsprechung, wonach eine Verhandlung vor Gericht durchzuführen ist, wenn es, wie im Fall von UVP-Vorhaben, auch um „civil rights“im Sinne des Art 6 EMRK oder die Möglichkeit der Verletzung eingeräumter Unionsrechte (Art 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung getroffen wird. Diese Grundsätze des Unions- und Verfassungsrechts hat der einfache Gesetzgeber zu respektieren.
Auflagen noch möglich?
Schließlich wirft der Entwurf zahlreiche Detailfragen auf, ohne auch nur ansatzweise Antworten bereitzuhalten. Ein Beispiel: Es ist völlig unklar, wie die in § 11 Abs 3 Z 3 normierte Genehmigungsfiktion mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP gemäß § 11 Abs 5 in Einklang zu bringen ist. Können nach Eintritt dieser Fiktion überhaupt noch Auflagen vorgeschrieben werden?
Nochmals: Die Stoßrichtung des Gesetzesvorhabens ist richtig und kommt keinen Tag zu früh. Allerdings beschwört der Entwurf Rechtsunsicherheiten herauf, die für alle Betroffenen untragbar sind. Dies gilt auch und gerade für Projektwerber, denen dadurch eine gesicherte Basis für ihre Investitionsentscheidung verwehrt wird. Der Schritt vom gut gemeinten zum guten Gesetz steht also noch aus.