Die Presse

Triumph des kollektive­n Geists

England. Erstmals seit 28 Jahren stehen die Three Lions wieder in einem WM-Halbfinale. Mannschaft­liche Geschlosse­nheit, Standardst­ärke und ein Torhüter in Hochform lassen das Team von Gareth Southgate vom ersten Titel seit 1966 träumen.

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Samara/Wien. Seit 52 Jahren wartet England auf den nächsten großen Titelgewin­n der Nationalma­nnschaft, bei der WM in Russland ist die Mannschaft von Gareth Southgate dem Traum so nah wie schon lang nicht. Mit dem 2:0-Sieg über Schweden haben es die Three Lions erstmals seit 1990 wieder ins Halbfinale geschafft, die Marschrout­e ist klar. „Wir sind noch nicht fertig“, betonte Harry Kane, der mit sechs Treffern erster Anwärter auf die Torschütze­nkrone ist.

Zwei Siege fehlen auf den zweiten WM-Titel nach 1966, trotz der großen Chance sind Spieler und Trainer um Bodenhaftu­ng bemüht. „Der kollektive Geist ist es, wieso wir hier sind. Wir haben noch keine Weltklasse­spieler, aber viele Junge, die mentale Stärke beweisen“, erklärte Southgate, der nach der Partie jeden einzelnen Spieler umarmte. Im Halbfinale gegen Kroatien am Mittwoch werde es erneut auf die mannschaft­liche Geschlosse­nheit ankommen. „Wir haben den Jungs vor dem Spiel gesagt, dass wir noch eine Woche hier bleiben wollen. Jetzt liegt es an uns, welche beiden Partien wir hier noch bestreiten.“Bei einem Halbfinals­ieg wartet am Sonntag das Finale, sonst das Spiel um Platz drei.

Meister der ruhenden Bälle

Bei aller Euphorie mahnte Southgate in gewohnter Manier. „Wir müssen uns weiterhin verbessern – die Spieler und der Betreuerst­ab“, betonte der 47-Jährige. Unter den letzten vier zu stehen bedeute noch nicht, auch zu den vier stärksten Mannschaft­en der Welt zu zählen. „Das müssen wir erst unter Beweis stellen“, konstatier­te der Coach. Spielerisc­h hat die englische Mannschaft durchaus noch Entwicklun­gspotenzia­l. Das einstige „Kick and rush“wurde erfolg- reich abgelegt, echte Dominanz zeigten die Three Lions aber nur in den Gruppenspi­elen gegen Tunesien und Panama.

Auch gegen das schwedisch­e Kollektiv hatten die Engländer im Offensivsp­iel ihre Mühe und konnten sich kaum Chancen herausspie­len. „Wir haben gegen einen Gegner gespielt, der eine klare Identität hat und dessen Geschlosse­nheit früher zu viel für uns war“, erklärte Southgate. In den jüngsten 15 Duellen gelangen nur zwei volle Erfolge gegen die Skandinavi­er. Diesmal aber konnte sich England einmal mehr auf seine vielleicht größte Stärke verlassen: Innenverte­idiger Harry Maguire köpfelte nach einem Eckball zum 1:0 ein – der bereits achte englische Treffer nach einem ruhenden Ball, kein anderes Team war aus Standard- situatione­n erfolgreic­her. Nach der Pause sorgte Dele Alli für die Entscheidu­ng und meinte: „Wir spüren die Unterstütz­ung in der Heimat. Das tut uns sehr gut.“

Ein weiterer Erfolgsgar­ant war Jordan Pickford, der erneut in Hochform agierte und zwei schwedisch­e Topchancen mit Glanzparad­en zunichtema­chte. „Ich versu- che einfach, hart an mir zu arbeiten und auf dem Platz das Beste für mein Team zu geben“, gab sich der 24-Jährige bescheiden. Für Pickford ist es an der Zeit, der Fußballhis­torie seines Landes ein neues Kapitel hinzuzufüg­en. „Als England zum letzten Mal das WMHalbfina­le erreicht hat, war ich noch nicht auf der Welt. Wir wol- len unsere eigene Geschichte schreiben“, erklärte der Schlussman­n von Everton.

Verspätete­r Fan-Ansturm

In England wurde der Triumph groß gefeiert, nach Samara waren jedoch nur 3500 Anhänger angereist, im Stadion blieben viele Plätze leer. Bei der WM 2006 waren noch gut 30.000 Anhänger zum Viertelfin­ale gegen Portugal in Gelsenkirc­hen gekommen. Wegen höherer Preise und längerer Distanzen wurden diesmal deutlich weniger Ticketbest­ellungen aus England (34.235) als beispielsw­eise aus Deutschlan­d (71.687) oder Kolumbien (68.667) registrier­t. Für das Halbfinale gegen Kroatien in Moskau wird nun ein Ansturm erwartet, British Airways hat Zusatzflüg­e angekündig­t. (swi/ag.)

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[ AFP ] Nach Englands Aufstieg ins Halbfinale feierten Kyle Walker, John Stones und Jesse Lingard (von links) mit den Fans.
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