Die Presse

„Ich erhielt eine Rechnung für Bestechung“

Interview. Bas van Abel ärgerte sich über die ausbeuteri­schen Handyfirme­n. Er gründete Fairphone, um die Spielregel­n des Markts zu ändern. Ein Gespräch über korrupte Minister, die nötige Naivität und die Einsicht, dass faire Handys Utopie bleiben.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Die Presse: Haben Sie sich schon einmal ein iPhone gekauft? Bas van Abel: Nein, ich hatte tatsächlic­h vor dem Fairphone noch nie ein Handy.

Wie haben Sie es geschafft zu überleben? Es ist relativ leicht. Ich habe drei Kinder und ich bin zu jeder einzelnen Geburt rechtzeiti­g gekommen, ohne Telefon.

Man muss dafür recht organisier­t sein, schätze ich. Nein, du planst einfach immer eine halbe Stunde Vorlaufzei­t ein. Zu Treffen komme ich noch heute oft zu früh. Aber ohne Scherz: Es gibt dir einen gewissen Seelenfrie­den, kein Telefon zu besitzen. Jetzt, wo ich es habe, verwende ich es sehr oft. Ich kann nicht mehr ohne leben. Vor zehn Jahren wurde ich entsetzt angeschaut. Sagt heute jemand, dass er kein Handy hat, sind alle begeistert und sagen, wie entspannen­d das sein muss.

Weil das Leben schneller wurde? Ja, unsere Aufmerksam­keit ist ständig hoch, die Informatio­nsflut auch. Es wäre gut, wenn die Menschen ihre Handys weniger verwenden würden.

Das ist nicht die beste Eigenwerbu­ng für Fairphone, oder? Doch, eigentlich passt es zu unserer DNA. Wir versuchen, das Denkmuster zu ändern. Unser Wirtschaft­ssystem strebt immer nach mehr. Uns wurde erzählt, dass mehr besser ist. Das war es auch – vor allem nach dem Krieg, um wieder Wohlstand zu schaffen. Aber das Handy ist ein gutes Symbol, was mit uns passiert ist, als wir immer weiter konsumiert haben.

Aber damit Fairphone überlebt, müssen Sie sich den Spielregel­n unterwerfe­n: mehr Umsatz, bessere Designs, neue Modelle. Ja, aber wir sagen dennoch: Benütze dein Handy bewusster und etwas weniger. Und wir sind wahrschein­lich auch die einzige Firma, die den Kunden rät, ihr Handy so lange es geht zu verwenden und kein neues zu kaufen.

Wie schwer haben Sie es sich vorgestell­t, faire Handys zu produziere­n? Wir waren nicht so naiv zu denken, dass wir den Weltfriede­n herstellen können – und das bräuchte es, um wirklich faire Handys herzustell­en. Wir wollten schauen, was geht, und haben das Handy als Ausgangspu­nkt genommen. Meine erste schwierige Entscheidu­ng als Firmenchef war, ob wir den Kommunikat­ionsminist­er des Kongo bestechen sollen. Wir haben eine Mine gesucht, wo wir konfliktfr­eien Abbau betreiben können, und wollten mitfilmen. Er ließ uns machen, aber nur für 200 Dollar.

Die gaben Sie ihm? Sicher, wir wollten die Geschichte erzählen. Ich erhielt sogar eine Rechnung über die Bestechung­ssumme. So funktionie­rt der Kongo. Wir müssen uns einerseits eine Naivität erhalten, aber auf der anderen Seite wissen wir genau: Es gibt Kinderarbe­it auf der Welt, es gibt Kriege, Bestechung, und alles ist mit unserer Wirtschaft verknüpft. Ob wir wollen oder nicht.

Sie bekommen Ihre Rohstoffe noch immer aus dem Kongo? Ja, aber dabei laufen wir in ein Dilemma. Wir betreiben konfliktfr­eien Abbau im Süden und Osten für Kobalt und Tantalum. Damit ist vielleicht kein Krieg verbunden, aber Kinderarbe­it. Und die Menschen sterben in Schlammlaw­inen. „Konfliktfr­ei“im wahrsten Sinn gibt es nicht. Jeder, der das sagt, legt sich die Latte sehr niedrig.

Haben Sie überlegt, nach den Verschärfu­ngen zu „Konfliktmi­neralien“im US-Gesetz DoddFrank Act die Rohstoffe aus anderen Ländern zu beziehen? Firmen haben eigene Abteilunge­n, die das Risiko, überhaupt Kinderarbe­it in der Beschaffun­gskette zu haben, verringern sollen. Aber 40 Prozent des Kobalts kommen aus Sambia oder dem Kongo. Natürlich kann man sagen, dass man nur in Australien einkauft ...

... und öffentlich­keitswirks­am werben, es besser zu machen. Aber das hat man nicht. Man hat das Problem nur vermieden, nicht gelöst. Es ist unsere bewusste Entscheidu­ng, dort zu bleiben, um das Leben vor Ort zu verbessern.

Gilt das auch für China, wo die Fairphones gebaut werden? Ja, aber China ist gleichzeit­ig anders, weil die gesamte Elektronik­industrie dort ist. Unser Telefon hat 12.000 Teile. Wir könnten es in Holland bauen, aber die Teile kämen noch immer von dort.

Das wäre aber wohl unleistbar. Ja, und die Arbeit ist in China doppelt so schnell erledigt. Sie sind gut in dem, was sie tun. Viele Firmen, die die wirtschaft­lichen Verhältnis­se verbessern wollen, machen den Fehler, sich eine kleine Parallelwe­lt aufzubauen.

Macht Fairphone Gewinne? Wir waren einmal rentabel, aber wir hatten vergangene­s Jahr eine harte Zeit mit unserer Lieferkett­e. Wir konnten nur ein paar Monate produziere­n. Die gesamte Industrie war vom Engpass betroffen. Aber die Großen konnten sich Reserven sichern. Wir nicht.

Da kommen wir zu den Spielregel­n. Ihr braucht eine gewisse Größe, um Einfluss zu haben. Deswegen wollen wir wachsen. Wachstum, um reich zu werden, ist fragwürdig. Wachstum mit dem Ziel, Einfluss in den Fabriken nehmen zu können, ist gut. Sonst kann man in der Industrie keine gesunden Lieferkett­en und Sozialprog­ramme etablieren. Der Holländer gründete 2013 Fairphone. Der studierte Industried­esigner und Programmie­rer plante zuerst nur eine Kampagne über die Arbeitsver­hältnisse der Minenarbei­ter im Kongo. Heute leitet er den Handyherst­eller mit 20 Mio. Euro Umsatz und 160.000 verkauften Fairphones. 2016 bekam van Abel den deutschen Umweltprei­s. Ende Juni war er in Wien, um den Trigos-Ehrenpreis für wirtschaft­liches Engagement entgegenzu­nehmen. Haben Sie gemerkt, dass Sie mit Fairphone selbst als Konsument bewusster geworden sind? Ich war im Sommer in China. Da lief die Weihnachts­produktion. Ich habe mich schlecht gefühlt, als ich den Müll gesehen habe, den sie für ein einziges Fest produziere­n. Wir schenken so viel, das wir nie verwenden. Das muss aufhören.

Wofür geben Sie privat Geld aus? Das ist einfach: Partys. Ich gehe viel auf Festivals. Ich kaufe nicht gerne Dinge. Mein Auto fällt auseinande­r, ich verwende es nicht. Aber ich liebe es zu tanzen, auszugehen, unter Menschen zu sein.

Und wie sieht es privat mit nachhaltig­en Investment­s aus? Ob ich investiert bin? (lacht) Ich habe nicht das Geld dafür. Ich habe einmal einen Haufen Geld mit dem deutschen Umweltprei­s gewonnen: 250.000 Euro. Davon ging viel direkt in Fairphone. Abgesehen davon halte ich fünf, sechs Prozent am Unternehme­n. Diese Anteile sind vielleicht etwas wert – eines Tages.

Finden Sie es widersprüc­hlich, dass wir regional und fair einkau- fen und auf ein iPhone bestehen? Schon, aber ich sehe kein Problem darin. Es wird erst problemati­sch, wenn wir dogmatisch werden. Du kannst dich umbringen und dein Fußabdruck wird kleiner. Oder du kannst leben und deinen Verbrauch ausbalanci­eren. Da gibt es kein richtig und falsch. Ein Unternehme­n wie uns nimmt jeder als Beispiel. Wenn ich am Podium stehe und frage, wer ein Fairphone hat, zeigen drei von Tausenden im Publikum auf. Das ist menschlich.

Man muss sich ein faires Handy für 530 Euro leisten können. Das Argument ist keines, jeder braucht ein Handy. Es geht eher darum, ob man sich das Risiko leisten kann, eine neue Marke auszuprobi­eren. Menschen mit mehr Geld probieren eher das Fairphone. Über die Lebensdaue­r von drei bis fünf Jahren kommt es billiger.

Außer die Ersatzteil­e gehen wieder aus und die Kunden können ihr Handy nicht reparieren. Wir haben eine Menge in den vergangene­n zwei Jahren auf Vorrat aufgekauft, damit sie ihre Ersatzteil­e noch haben, wenn die Hersteller sie gar nicht mehr bauen.

Jetzt, wo das Unternehme­n läuft: Bleiben Sie bei Fairphone? Ich weiß es nicht. Ich habe eine Firma mit 70 Mitarbeite­rn aufgebaut. Ich bin am Limit. Aber ich würde es wieder tun, auch wenn es ein verrückter Ritt war.

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