„Ich erhielt eine Rechnung für Bestechung“
Interview. Bas van Abel ärgerte sich über die ausbeuterischen Handyfirmen. Er gründete Fairphone, um die Spielregeln des Markts zu ändern. Ein Gespräch über korrupte Minister, die nötige Naivität und die Einsicht, dass faire Handys Utopie bleiben.
Die Presse: Haben Sie sich schon einmal ein iPhone gekauft? Bas van Abel: Nein, ich hatte tatsächlich vor dem Fairphone noch nie ein Handy.
Wie haben Sie es geschafft zu überleben? Es ist relativ leicht. Ich habe drei Kinder und ich bin zu jeder einzelnen Geburt rechtzeitig gekommen, ohne Telefon.
Man muss dafür recht organisiert sein, schätze ich. Nein, du planst einfach immer eine halbe Stunde Vorlaufzeit ein. Zu Treffen komme ich noch heute oft zu früh. Aber ohne Scherz: Es gibt dir einen gewissen Seelenfrieden, kein Telefon zu besitzen. Jetzt, wo ich es habe, verwende ich es sehr oft. Ich kann nicht mehr ohne leben. Vor zehn Jahren wurde ich entsetzt angeschaut. Sagt heute jemand, dass er kein Handy hat, sind alle begeistert und sagen, wie entspannend das sein muss.
Weil das Leben schneller wurde? Ja, unsere Aufmerksamkeit ist ständig hoch, die Informationsflut auch. Es wäre gut, wenn die Menschen ihre Handys weniger verwenden würden.
Das ist nicht die beste Eigenwerbung für Fairphone, oder? Doch, eigentlich passt es zu unserer DNA. Wir versuchen, das Denkmuster zu ändern. Unser Wirtschaftssystem strebt immer nach mehr. Uns wurde erzählt, dass mehr besser ist. Das war es auch – vor allem nach dem Krieg, um wieder Wohlstand zu schaffen. Aber das Handy ist ein gutes Symbol, was mit uns passiert ist, als wir immer weiter konsumiert haben.
Aber damit Fairphone überlebt, müssen Sie sich den Spielregeln unterwerfen: mehr Umsatz, bessere Designs, neue Modelle. Ja, aber wir sagen dennoch: Benütze dein Handy bewusster und etwas weniger. Und wir sind wahrscheinlich auch die einzige Firma, die den Kunden rät, ihr Handy so lange es geht zu verwenden und kein neues zu kaufen.
Wie schwer haben Sie es sich vorgestellt, faire Handys zu produzieren? Wir waren nicht so naiv zu denken, dass wir den Weltfrieden herstellen können – und das bräuchte es, um wirklich faire Handys herzustellen. Wir wollten schauen, was geht, und haben das Handy als Ausgangspunkt genommen. Meine erste schwierige Entscheidung als Firmenchef war, ob wir den Kommunikationsminister des Kongo bestechen sollen. Wir haben eine Mine gesucht, wo wir konfliktfreien Abbau betreiben können, und wollten mitfilmen. Er ließ uns machen, aber nur für 200 Dollar.
Die gaben Sie ihm? Sicher, wir wollten die Geschichte erzählen. Ich erhielt sogar eine Rechnung über die Bestechungssumme. So funktioniert der Kongo. Wir müssen uns einerseits eine Naivität erhalten, aber auf der anderen Seite wissen wir genau: Es gibt Kinderarbeit auf der Welt, es gibt Kriege, Bestechung, und alles ist mit unserer Wirtschaft verknüpft. Ob wir wollen oder nicht.
Sie bekommen Ihre Rohstoffe noch immer aus dem Kongo? Ja, aber dabei laufen wir in ein Dilemma. Wir betreiben konfliktfreien Abbau im Süden und Osten für Kobalt und Tantalum. Damit ist vielleicht kein Krieg verbunden, aber Kinderarbeit. Und die Menschen sterben in Schlammlawinen. „Konfliktfrei“im wahrsten Sinn gibt es nicht. Jeder, der das sagt, legt sich die Latte sehr niedrig.
Haben Sie überlegt, nach den Verschärfungen zu „Konfliktmineralien“im US-Gesetz DoddFrank Act die Rohstoffe aus anderen Ländern zu beziehen? Firmen haben eigene Abteilungen, die das Risiko, überhaupt Kinderarbeit in der Beschaffungskette zu haben, verringern sollen. Aber 40 Prozent des Kobalts kommen aus Sambia oder dem Kongo. Natürlich kann man sagen, dass man nur in Australien einkauft ...
... und öffentlichkeitswirksam werben, es besser zu machen. Aber das hat man nicht. Man hat das Problem nur vermieden, nicht gelöst. Es ist unsere bewusste Entscheidung, dort zu bleiben, um das Leben vor Ort zu verbessern.
Gilt das auch für China, wo die Fairphones gebaut werden? Ja, aber China ist gleichzeitig anders, weil die gesamte Elektronikindustrie dort ist. Unser Telefon hat 12.000 Teile. Wir könnten es in Holland bauen, aber die Teile kämen noch immer von dort.
Das wäre aber wohl unleistbar. Ja, und die Arbeit ist in China doppelt so schnell erledigt. Sie sind gut in dem, was sie tun. Viele Firmen, die die wirtschaftlichen Verhältnisse verbessern wollen, machen den Fehler, sich eine kleine Parallelwelt aufzubauen.
Macht Fairphone Gewinne? Wir waren einmal rentabel, aber wir hatten vergangenes Jahr eine harte Zeit mit unserer Lieferkette. Wir konnten nur ein paar Monate produzieren. Die gesamte Industrie war vom Engpass betroffen. Aber die Großen konnten sich Reserven sichern. Wir nicht.
Da kommen wir zu den Spielregeln. Ihr braucht eine gewisse Größe, um Einfluss zu haben. Deswegen wollen wir wachsen. Wachstum, um reich zu werden, ist fragwürdig. Wachstum mit dem Ziel, Einfluss in den Fabriken nehmen zu können, ist gut. Sonst kann man in der Industrie keine gesunden Lieferketten und Sozialprogramme etablieren. Der Holländer gründete 2013 Fairphone. Der studierte Industriedesigner und Programmierer plante zuerst nur eine Kampagne über die Arbeitsverhältnisse der Minenarbeiter im Kongo. Heute leitet er den Handyhersteller mit 20 Mio. Euro Umsatz und 160.000 verkauften Fairphones. 2016 bekam van Abel den deutschen Umweltpreis. Ende Juni war er in Wien, um den Trigos-Ehrenpreis für wirtschaftliches Engagement entgegenzunehmen. Haben Sie gemerkt, dass Sie mit Fairphone selbst als Konsument bewusster geworden sind? Ich war im Sommer in China. Da lief die Weihnachtsproduktion. Ich habe mich schlecht gefühlt, als ich den Müll gesehen habe, den sie für ein einziges Fest produzieren. Wir schenken so viel, das wir nie verwenden. Das muss aufhören.
Wofür geben Sie privat Geld aus? Das ist einfach: Partys. Ich gehe viel auf Festivals. Ich kaufe nicht gerne Dinge. Mein Auto fällt auseinander, ich verwende es nicht. Aber ich liebe es zu tanzen, auszugehen, unter Menschen zu sein.
Und wie sieht es privat mit nachhaltigen Investments aus? Ob ich investiert bin? (lacht) Ich habe nicht das Geld dafür. Ich habe einmal einen Haufen Geld mit dem deutschen Umweltpreis gewonnen: 250.000 Euro. Davon ging viel direkt in Fairphone. Abgesehen davon halte ich fünf, sechs Prozent am Unternehmen. Diese Anteile sind vielleicht etwas wert – eines Tages.
Finden Sie es widersprüchlich, dass wir regional und fair einkau- fen und auf ein iPhone bestehen? Schon, aber ich sehe kein Problem darin. Es wird erst problematisch, wenn wir dogmatisch werden. Du kannst dich umbringen und dein Fußabdruck wird kleiner. Oder du kannst leben und deinen Verbrauch ausbalancieren. Da gibt es kein richtig und falsch. Ein Unternehmen wie uns nimmt jeder als Beispiel. Wenn ich am Podium stehe und frage, wer ein Fairphone hat, zeigen drei von Tausenden im Publikum auf. Das ist menschlich.
Man muss sich ein faires Handy für 530 Euro leisten können. Das Argument ist keines, jeder braucht ein Handy. Es geht eher darum, ob man sich das Risiko leisten kann, eine neue Marke auszuprobieren. Menschen mit mehr Geld probieren eher das Fairphone. Über die Lebensdauer von drei bis fünf Jahren kommt es billiger.
Außer die Ersatzteile gehen wieder aus und die Kunden können ihr Handy nicht reparieren. Wir haben eine Menge in den vergangenen zwei Jahren auf Vorrat aufgekauft, damit sie ihre Ersatzteile noch haben, wenn die Hersteller sie gar nicht mehr bauen.
Jetzt, wo das Unternehmen läuft: Bleiben Sie bei Fairphone? Ich weiß es nicht. Ich habe eine Firma mit 70 Mitarbeitern aufgebaut. Ich bin am Limit. Aber ich würde es wieder tun, auch wenn es ein verrückter Ritt war.