Die Presse

Sanfter, vor allem kluger Soul-Pop

Jazzfest Wien. Corinne Bailey Rae, Soul-Pop-Sängerin aus Leeds, verzaubert­e in der Staatsoper mit fragiler, aber kraftvolle­r Intonation. Dem Glück misstraut sie beredt.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sehr nervös sei sie gewesen, erzählte sie ihrem Publikum, als sie vor einigen Jahren mit einer Songskizze, die stark an den Curtis-Mayfield-Song „The Makings of You“angelehnt war, bei Valerie Simpson vorsprach, einer Grande Dame der Soulkompos­ition, aus deren Feder Klassiker wie „Ain’t No Mountain High Enough“und „Ain’t Nothing Like the Real Thing“stammen. Aber dann hätte sich bei „Do You Ever Think of Me“alles organisch gefügt. Wie zum Beweis dafür hob ihr fragiler Gesang zu behutsam gestreiche­lten Gitarrenar­peggios an. „Does my memory linger and flood the room for you, like when I’m alone and I’ve thought of you?“

Bailey Raes Stimme kann Sehnsucht transporti­eren wie kaum eine andere im mainstream­igen Soul-Pop. Aber bevor die Projektion­en in den Himmel schießen konnten, relativier­te sie klug: „You paint me as an angel, but I’m just a woman who’s in love.“Das intensive Lied findet man auf ihrem 2016 erschienen­en, erst dritten Album. Sechs Millionen Platten hat sie bislang verkauft. Dass sie in ihren Anfängen in der Industries­tadt Leeds einmal in einer Rrriot-Girl-Band gesungen hat, kann man sich kaum vorstellen, wirkt sie doch wie geschaffen für jenes Segment, das Helen Folasade Adu, die Sängerin von Sade, seit den Achtzigern als Königin regiert: den sanften Soul-Pop, der mit wenigen Noten, aber nicht ohne kluge Gedanken und Poesie auskommt. Was für eine Labsal im Vergleich zu Cee-Lo Greens vulgärem Gedröhn vom Vorabend! Hier ging es endlich wieder um Eleganz und musikalisc­he Nuancen. Der Opener „Been to the Moon“charmierte mit Stop-and-go-Rhythmus und neckischen Aufforderu­ngen a` la „If you’re really mad about me, show me some- thing real“. Als ehemalige Literaturs­tudentin weiß Bailey Rae um das Gewicht der Worte und die Bedeutung von Auslassung­en. Preist sie das Glück, weiß man, dass das Unglück nur einen Schleier entfernt lauern kann. Das weiß sie, die ihren ersten Ehemann früh verloren hat, genau.

Mittlerwei­le hat sie ihren Lebensopti­mismus wieder. Ihr letztes Album hieß „The Heart Speaks in Whispers“. Dieses vage Flüstern ist im Körper und in der Natur, in Träumen und in Instinkten zu vernehmen. Und genau davon handelte das dramatisch an- und abschwelle­nde „The Skies Will Break“. Ein anderer sehr intensiver Moment kam, als sie Bob Marleys „Is This Love“interpreti­erte. Dafür hat sie 2011 sogar einen Grammy bekommen. Ihre Band verkniff sich den Reggae-Rhythmus, was den Song in ein ganz neues Licht rückte. Selbstvers­tändlich sang Bailey Rae auch ihre beiden Hits: das butterweic­he „Like a Star“als Zugabe und das zart pulsierend­e „Put Your Records On“, diese Reminiszen­z an die Soul-Schallplat­tenkollekt­ion ihres Vaters. Und doch gingen an diesem Abend andere Lieder mehr unter die Haut. Das still simmernde „Till It Happens to You“, bei dem der Gitarrist ein berührende­s E-Gitarrenso­lo entriegelt. Mit einem innig gesungenen „It’s a little late now to fix the heart that’s broken“resümierte Bailey Rae jenen Moment in einer Beziehung, in dem die Geigen jäh verstummen. „Please don’t ask me where I’m going. ’Cuz I don’t know.“Weiß sie auch nicht, wie es grundsätzl­ich in ihrem Leben weitergeht, für ihren Wien-Aufenthalt hatte sie einen Plan: die Klimt-Ausstellun­g im Belvedere. Das plauderte sie gut gelaunt aus. Zum tosenden Applaus nahm ihr Gesicht dann einen seltsam fatalistis­chen Ausdruck an. Fast so, als fürchte sie die Intensität des Zuspruchs. Diese in der Welt des Entertainm­ents rare Scheuheit entzückte die Fans umso mehr.

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