Sozialhilfe: Reform verschoben
Reformen. Die für Juni versprochene Mindestsicherungsreform wird auf Jahresende verschoben. Mit den Ländern gab es keine Gespräche – was in den ÖVP-Hochburgen für Unmut sorgt.
Die für Juni versprochene Mindestsicherungsreform wird auf Jahresende verschoben.
Wien. Es scheint als ob der Bundesregierung vor dem Sommer doch ein wenig die Puste ausgeht. Nachdem der ambitionierte türkis-blaue Zeitplan zu Großprojekten wie Sozialversicherungsreform und neuem Arbeitszeitgesetz schnell – ja manchen zu schnell – umgesetzt wurde, wird die Reform der Mindestsicherung nun verschoben. Und zwar ans Jahresende.
Ursprünglich hatte Kanzler Sebastian Kurz den neuen Gesetzesentwurf für Anfang und dann für Ende Juni angekündigt. Jetzt ist Juli und weit und breit ist kein Gesetzesentwurf in Sicht. Aus dem zuständigen Sozialministerium argumentiert man mit der EU-Ratspräsidentschaft und dem damit verbundenen Aufwand. Und: „Das Thema der Mindestsicherung neu ist gesamtheitlich im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld neu zu betrachten. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir aus diesem Grund auch gegenwärtig keine näheren Details bekannt geben können“, heißt es aus dem Büro von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Ob das die einzigen Gründe für die Verschiebung sind, darf angezweifelt werden. Denn auf dem Weg zum neuen Gesetz sind noch einige Steine.
Länder sind „not amused“
Der erste heißt: Konsens – oder zumindest Akzeptanz – der Länder. Denn die Sozialhilfe ist momentan Ländersache – darum gibt es derzeit neun verschiedene Regelungen. Die Bundesregierung hat zwar die Möglichkeit drüberzufahren – und hat angekündigt, das zu nützen – Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) täte wohl trotzdem gut daran, zumindest die sieben schwarz regierten Bundesländer ins Boot zu holen.
Ursprünglich hatte HartingerKlein vereinbart, bis zum Sommer Vorschläge der Länder einsammeln und darüber verhandeln zu wollen. Das hat man sich bisher aber offenbar komplett gespart. Durch die Bank ist aus den Ländern zu hören, dass es bisher keine Gespräche gegeben hat – was für Verwunderung bis Zorn sorgt.
Wien hat derzeit die höchsten Kosten für die Mindestsicherung – was auch mit dem starken Zuzug von anerkannten Flüchtlingen zu tun hat. Knapp 80 Prozent jener, die einen positiven Asylbescheid erhalten, ziehen in die einzige Großstadt Österreichs. SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker ist ob der Vorgehensweise empört: „Diese Bundesregierung liebt es, mit uns nicht zu sprechen. Sie isoliert sich immer mehr. Im Ausland – aber auch im Inland, ja schottet sich sogar von seinen eigenen Funktionären in den Ländern ab.“
Hacker sei nicht überrascht, dass noch kein Entwurf vorliege: „Vielleicht hat die Regierung doch bemerkt, dass der derzeitige Vorschlag vor allem Kinder trifft und will es sich doch noch einmal überlegen.“
Europarechtliche Bedenken
Kurz hatte die Eckpunkte der Reform Ende Mai bereits gemeinsam mit dem Koalitionspartner FPÖ präsentiert. Die heißen: Je mehr Menschen in einem Haushalt leben, desto weniger Geld gibt es pro Person. Dazu soll es einen Deckel geben. Das bedeutet vor allem Einschnitte bei Kindern. Die Bundesregierung wirbt zwar damit, dass Alleinerzieherinnen nun mehr bekommen – das stimmt großteils aber auch nur, wenn diese nicht mehr als ein Kind haben. Weiterer zentraler Punkt: Zuwanderer sollen viel weniger Geld bekommen.
Prinzipiell wolle man sich an dem oberösterreichischen Modell orientieren, wo es bereits rigorose Einschnitte für Migranten gibt, hieß es seitens der Regierung. Und das ist wohl auch schon der nächste Haken. Denn dieses Modell wird derzeit vom europäischen Gerichtshof (EuGH) und vom Verfassungsgerichtshof geprüft. Die europäische Kommission hat vergangene Woche eine Einschätzung abgegeben – und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Unterscheidungen sowohl dem Gleichbehandlungsgebot wie auch der Genfer Konvention widersprechen. Sprich: nicht EU-rechtskonform sind. Nun ist die Kommission kein Gericht – meist folgt der EuGH aber deren Empfehlungen.
Für Türkis-Blau wäre es blamabel, ein Modell einzuführen, das wenig später gekippt würde. Es ist zu erwarten, dass man den Entscheid der höchstrichterlichen Instanzen vielleicht doch abwartet und das Modell dann dementsprechend adaptiert.