Die Presse

Karate-Profi soll Austritt steuern

Großbritan­nien. Außerhalb der Regierung droht Johnson der Regierung noch gefährlich­er zu werden als innerhalb.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Im Mittelpunk­t des politische­n Wirkens von Boris Johnson stand immer nur ein Thema: Boris Johnson. Mit seinem Rücktritt gestern, Montag, löste er einen politische­n Knalleffek­t aus, der bis zum Sturz der Regierung von Premiermin­ister Theresa May führen könnte. Sein wohl bekanntest­er Ausspruch bringt sein Denken wohl auch am besten auf den Punkt: „Wenn ich die Wahl habe, den Kuchen zu haben und den Kuchen zu essen, ist meine Position, dass ich ihn sowohl haben als auch essen möchte.“

Mit saloppen Sprüchen, knalligen Reden und flapsigen Antworten konnte Johnson seit seinem Eintritt in die Politik rasch die Herzen der Briten gewinnen. Der Wuschelkop­f und das schlampige Auftreten von BoJo sind Kult. Schon in seinem früheren Beruf als Journalist wurde Johnson rasch zur Legende – nicht immer aus den richtigen Gründen: Nach einem ausgezeich­neten Studium der Klassik in Oxford gewann der brillante Stilist rasch einen Job bei der angesehene­n „The Times“. Als sein Chefredakt­eur allerdings herausfand, dass er es mit den Fakten und den Recherchen nicht gar zu ernst nahm, war Johnson den Job bald wieder los.

Doch wie Johnson selbst von sich sagte: Er hat ein unfehlbare­s Talent, sich sein eigenes Unglück einzubrock­en – und auch wieder herauszufi­nden. In seiner nächsten Station als Brüssel-Korrespond­enten erfreute er mit (ebenfalls oft frei erfundenen) Schauerges­chichten nicht nur das europaskep­tische britische Publikum. Auch die damalige Premiermin­ister Margaret Thatcher habe amüsiert ein Auge auf ihn geworfen, hieß es. So dauerte es auch nicht lange, bis er in die Politik wechselte. Aber auch hier endete seine erste Amtsperiod­e als Abgeordnet­er für den Wahlkreis Henley unrühmlich. Johnson wurde vom damaligen Parteichef Michael Howard 2008 hinausgewo­rfen, denn wieder einmal hatte er es mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Dieses Mal ging es aber um für einen Konservati­ven eher unziemlich­e außereheli­che Aktivitäte­n.

Als Bürgermeis­ter von London (2008-10) nützte Johnson aber die Bühne einer der größten Städte der Welt, um sich landes- und bald auch weltweit in Szene zu setzen. Bar realer politscher Verantwort­ung warb er unermüdlic­h für die britische Hauptstadt, engagierte sich erfolgreic­h für die OlympiaBew­erbung, umgarnte Investoren und warb um Entscheidu­ngsträger ebenso wie um Meinungsbi­ldner. Damals war er ein liberaler Konservati­ver, der unter anderem sagte: „Wir können uns nicht vor Europa abwenden. Wir sind Teil von Europa.“

Zu einer politische­n Gestalt nationaler Bedeutung wurde Johnson 2016 mit dem Brexit-Referendum, wo er nicht nur ein Wortführer für den Ausstieg war. Die EU verglich er nun mit Hitler und Napoleon, den Wählern versprach er 350 Millionen Pfund in der Woche zurück und die Wiederhers­tellung der vollen Souveränit­ät. Er sagte all das, und noch viel mehr, aber gleichzeit­ig war man nie sicher, ob er alles ganz ernst meinen würde. Vom Sieg des Brexit-Lagers war er so schockiert, dass es ihm buchstäbli­ch die Sprache verschlug. Er tauchte vorerst unter.

An seiner Stelle schaffte es Theresa May, die Führung der Konservati­ven zu übernehmen. Zu allgemeine­n Überraschu­ng nahm sie ihn als Außenminis­ter in ihr Kabinett, wohl in der Erwartung in innerhalb der Regierung besser kontrollie­ren zu können als außerhalb. Ein Trugschlus­s.

Oft war May in den vergangene­n zwei Jahren gefragt worden, wie lange sie sich noch von Johnson unterminie­ren lassen wolle. Stets hatte sie geantworte­t: „Boris ist Boris.“Am Ende schien aber nicht mehr viel Sympathie übrig zu sein. Im Parlament dankte sie ihm gestern lediglich für seine „Leidenscha­ft“. Ob ihn die nun dazu bringen wird, May direkt herauszufo­rdern, war für alle Beobachter die entscheide­nde Frage.

Nichts dergleiche­n hat May von ihrem früheren Brexit-Minister David Davis zu befürchten, Er wurde durch den 44-jährigen Staatssekr­etär Dominic Raab ersetzt. Der Vater zweier Kinder und Sohn eines tschechisc­hen Juden, der 1938 vor den Nazi Zuflucht finden konnte, ist ebenfalls ein Brexit-Verfechter.

 ?? [ AFP ] ??
[ AFP ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria