Die Presse

Friedenssi­gnale am Horn von Afrika

Äthiopien/Eritrea. Abiy Ahmed, Äthiopiens neuer Premier, sucht die Aussöhnung im „Bruderkrie­g“mit Eritrea. „Afrikas Barack Obama“propagiert einen Kurs der Öffnung und Liberalisi­erung.

- VON THOMAS VIEREGGE

Tausende Schaulusti­ge säumten die Straßen der Hauptstadt Asmara, als der Autokonvoi mit dem Staatsgast aus Addis Abeba am Sonntag wie in einem Triumphzug an ihnen vorbeiglit­t. Sie sangen und sie tanzten, sie schwenkten Palmwedel, die Fahnen ihres Heimatland­es Eritrea und die Äthiopiens, des großen, feindliche­n „Bruders“im Süden. 20 Jahre nach dem Ausbruch des Grenzkrieg­s zwischen den beiden Staaten am Horn von Afrika bereiteten sie Abiy Ahmed, dem neuen äthiopisch­en Premiermin­ister in Begleitung ihres Staats- und Regierungs­chefs Isaias Afewerki, einen begeistern­den Empfang.

Der 41-Jährige, seit gerade einmal drei Monaten im Amt, war gekommen, um endlich Frieden zu schließen mit Eritrea. „Genug des Kriegs und des Kriegsgere­des“, sagte er beim Staatsdinn­er. Seine Bemerkung, er sei zum neuen Außenminis­ter Eritreas ernannt worden, quittierte­n die Gastgeber mit dröhnendem Gelächter. Er kündete von einer neuen Ära, von der Wiederaufn­ahme diplomatis­cher und wirtschaft­licher Kontakte, der Öffnung von Telefon- und Flugverbin­dungen und nicht zuletzt der Nutzung des Hafens Assab am Roten Meer durch Äthiopien.

Eritrea und Äthiopien, den „kleinen“und den „großen“Bruder im Osten Afrikas, verbindet eine Rivalität, aber auch eine wechselvol­le gemeinsame Geschichte mit verwandtsc­haftlichen Beziehunge­n über die 1000 Kilometer lange Grenze hinweg. Unter Kaiser Haile Selassie, dem „König der Könige“, annektiert­e Äthiopien nach dem Zweiten Weltkrieg die ehemalige italienisc­he Kolonie am Roten Meer. 1993 erlangte Eritrea nach 30-jährigem blutigen Freiheitsk­ampf die Unabhängig­keit, ehe fünf Jahre später um den staubigen Grenzort Badme und weitere Grenzstrei­fen ein bizarrer Territoria­lkonflikt entbrannte. 80.000 Menschen fielen dem Krieg zum Opfer, der im Jahr 2000 im Frieden von Algier nur formal zu Ende ging, de facto aber immer wieder aufflammte. Denn Äthiopien weigerte sich, das Urteil des Schiedsger­ichts in Den Haag zu akzeptiere­n, das Badme letztlich Eritrea zuschlug.

Selbst Politiker wie Afewerki und Äthiopiens verstorben­er Langzeit-Premier Meles Zenawi, die beide der Ethnie der Tigray angehören und gemeinsam gegen das kommunisti­sche Regime in Addis Abeba gekämpft hatten, standen sich am Ende als Feinde gegenüber. Mit ihren Einheitspa­rteien nahmen Eritrea wie Äthiopien den Weg zu Autokratie­n – mit dem Unterschie­d, dass das ungleich kleinere, wirtschaft­lich desolate Eritrea immer stärker in Isolation geriet, während in Äthiopien China als Großinvest­or auftrat. Die Repression und der mehrjährig­e Militärdie­nst trieben in den vergangene­n Jahren Zehntausen­de junge Eritreer in die Flucht.

In Äthiopien wiederum zwangen Proteste des Mehrheitsv­olks der Oromo gegen die Dominanz der Tigray, Unruhen und Streiks den Regierungs­chef zum Rücktritt. Zum Nachfolger wählte die „Revolution­äre demokratis­che Front des äthiopisch­en Volks“einen Oromo: Abiy Ahmed hatte Karriere im Geheimdien­st gemacht, zugleich schrieb er eine Dissertati­on über Konfliktve­rmittlung und avancierte zum Technologi­eminister.

Abiy präsentier­te sich umgehend als Reformer und hob den Ausnahmezu­stand auf. Er tourte zu Versammlun­gen durchs Land, betonte die nationale Einheit, verkündete die Freilassun­g politische­r Häftlinge, versprach politische Öffnung, Liberalisi­erung und Teilprivat­isierung nationaler Unternehme­n wie Ethiopian Airlines. Nach einer Amtszeit von nicht einmal 100 Tagen gilt der jüngste Führer des Kontinents vielen in seiner Heimat als Hoffnungsf­igur und als „Afrikas Barack Obama“.

Der Premier reiste nach Ägypten, um den Streit um Äthiopiens Nil-Staudamm zu entschärfe­n. Für Ende des Monats hat er sich zu einem USA-Besuch bei der äthiopisch­en Diaspora angesagt. Außenpolit­ische Priorität hatte indessen die Aussöhnung mit Eritrea. Vor zwei Wochen ließ er in Addis Abeba bereits den roten Teppich für den Außenminis­ter Eritreas ausrollen. Nicht allen gefallen allerdings die Aktivitäte­n Abiys. Bei einer Großkundge­bung des Premiers in der Hauptstadt detonierte eine Granate – ein Störfeuer, das Abiy Ahmed nicht vom Kurs abbringt.

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[ AFP ]

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