Friedenssignale am Horn von Afrika
Äthiopien/Eritrea. Abiy Ahmed, Äthiopiens neuer Premier, sucht die Aussöhnung im „Bruderkrieg“mit Eritrea. „Afrikas Barack Obama“propagiert einen Kurs der Öffnung und Liberalisierung.
Tausende Schaulustige säumten die Straßen der Hauptstadt Asmara, als der Autokonvoi mit dem Staatsgast aus Addis Abeba am Sonntag wie in einem Triumphzug an ihnen vorbeiglitt. Sie sangen und sie tanzten, sie schwenkten Palmwedel, die Fahnen ihres Heimatlandes Eritrea und die Äthiopiens, des großen, feindlichen „Bruders“im Süden. 20 Jahre nach dem Ausbruch des Grenzkriegs zwischen den beiden Staaten am Horn von Afrika bereiteten sie Abiy Ahmed, dem neuen äthiopischen Premierminister in Begleitung ihres Staats- und Regierungschefs Isaias Afewerki, einen begeisternden Empfang.
Der 41-Jährige, seit gerade einmal drei Monaten im Amt, war gekommen, um endlich Frieden zu schließen mit Eritrea. „Genug des Kriegs und des Kriegsgeredes“, sagte er beim Staatsdinner. Seine Bemerkung, er sei zum neuen Außenminister Eritreas ernannt worden, quittierten die Gastgeber mit dröhnendem Gelächter. Er kündete von einer neuen Ära, von der Wiederaufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Kontakte, der Öffnung von Telefon- und Flugverbindungen und nicht zuletzt der Nutzung des Hafens Assab am Roten Meer durch Äthiopien.
Eritrea und Äthiopien, den „kleinen“und den „großen“Bruder im Osten Afrikas, verbindet eine Rivalität, aber auch eine wechselvolle gemeinsame Geschichte mit verwandtschaftlichen Beziehungen über die 1000 Kilometer lange Grenze hinweg. Unter Kaiser Haile Selassie, dem „König der Könige“, annektierte Äthiopien nach dem Zweiten Weltkrieg die ehemalige italienische Kolonie am Roten Meer. 1993 erlangte Eritrea nach 30-jährigem blutigen Freiheitskampf die Unabhängigkeit, ehe fünf Jahre später um den staubigen Grenzort Badme und weitere Grenzstreifen ein bizarrer Territorialkonflikt entbrannte. 80.000 Menschen fielen dem Krieg zum Opfer, der im Jahr 2000 im Frieden von Algier nur formal zu Ende ging, de facto aber immer wieder aufflammte. Denn Äthiopien weigerte sich, das Urteil des Schiedsgerichts in Den Haag zu akzeptieren, das Badme letztlich Eritrea zuschlug.
Selbst Politiker wie Afewerki und Äthiopiens verstorbener Langzeit-Premier Meles Zenawi, die beide der Ethnie der Tigray angehören und gemeinsam gegen das kommunistische Regime in Addis Abeba gekämpft hatten, standen sich am Ende als Feinde gegenüber. Mit ihren Einheitsparteien nahmen Eritrea wie Äthiopien den Weg zu Autokratien – mit dem Unterschied, dass das ungleich kleinere, wirtschaftlich desolate Eritrea immer stärker in Isolation geriet, während in Äthiopien China als Großinvestor auftrat. Die Repression und der mehrjährige Militärdienst trieben in den vergangenen Jahren Zehntausende junge Eritreer in die Flucht.
In Äthiopien wiederum zwangen Proteste des Mehrheitsvolks der Oromo gegen die Dominanz der Tigray, Unruhen und Streiks den Regierungschef zum Rücktritt. Zum Nachfolger wählte die „Revolutionäre demokratische Front des äthiopischen Volks“einen Oromo: Abiy Ahmed hatte Karriere im Geheimdienst gemacht, zugleich schrieb er eine Dissertation über Konfliktvermittlung und avancierte zum Technologieminister.
Abiy präsentierte sich umgehend als Reformer und hob den Ausnahmezustand auf. Er tourte zu Versammlungen durchs Land, betonte die nationale Einheit, verkündete die Freilassung politischer Häftlinge, versprach politische Öffnung, Liberalisierung und Teilprivatisierung nationaler Unternehmen wie Ethiopian Airlines. Nach einer Amtszeit von nicht einmal 100 Tagen gilt der jüngste Führer des Kontinents vielen in seiner Heimat als Hoffnungsfigur und als „Afrikas Barack Obama“.
Der Premier reiste nach Ägypten, um den Streit um Äthiopiens Nil-Staudamm zu entschärfen. Für Ende des Monats hat er sich zu einem USA-Besuch bei der äthiopischen Diaspora angesagt. Außenpolitische Priorität hatte indessen die Aussöhnung mit Eritrea. Vor zwei Wochen ließ er in Addis Abeba bereits den roten Teppich für den Außenminister Eritreas ausrollen. Nicht allen gefallen allerdings die Aktivitäten Abiys. Bei einer Großkundgebung des Premiers in der Hauptstadt detonierte eine Granate – ein Störfeuer, das Abiy Ahmed nicht vom Kurs abbringt.