Die Presse

Deutschlan­ds liebste Streitfrag­e

Der Weltmeiste­r 2014 schweigt weiterhin zu den Erdo˘gan-Fotos. Die Frage, ob er weiter für Deutschlan­d spielen soll, wälzt DFB-Chef Grindel auf Joachim Löw ab.

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Diese WM zeigt, wie leicht sich ganze Gesellscha­ften irritieren und teilen lassen. Wie schnell selbst die größten Verdienste in Vergessenh­eit geraten. Der Schwede Jimmy Durmaz, Sohn türkischer Einwandere­r, erhielt Morddrohun­gen – wegen eines (spielentsc­heidenden) Fouls. Das Foto der deutschen Teamspiele­r Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ spaltete nicht nur das DFBTeam ( siehe Artikel rechts), sondern befeuerte – besonders nach dem blamablen Ausscheide­n – die Diskussion des Fremdenhas­ses. Dass Özil großen Anteil am WMTitel 2014 hatte, ist in der Gegenwart nicht weiter von Belang.

Der Weltverban­d Fifa forciert „No to Racism“- oder „Fair Play“Initiative­n. Was aber passierte mit Xhaka, Shaqiri, Vida etc.? Es gab, harmlose Geldstrafe­n (10.000 Euro), eine simple Verwarnung.

In der Schweiz selbst eskaliert gerade die Debatte nach den WMVorfälle­n um die sogenannte­n „Secondos“. Verbandsge­neralsekre­tär Alex Miescher zog dabei sogar in Erwägung, künftig keine Doppelstaa­tsbürger mehr in der „Nati“zuzulassen. Für Xhaka sei das eine „Steinzeit-Methode“, manch einer im Verband könnte sich damit womöglich aber anfreunden. Es sei „längst eine Selbstzerf­leischung und kein Streit mehr“, urteilte die „NZZ“über den „Balkangrab­en“.

Im Erfolgsfal­l hat Integratio­n immer funktionie­rt. Scheitert aber ein Patriotism­us-Flaggschif­f, also Nationalte­am, hat es immer öfter den Anschein, als hätte es diese Versuche in Europa nie gegeben. Gäbe es denn diese Aufregung, wenn diese Spieler keinen Migrations­hintergrun­d gehabt hätten?

Real-Stürmer Karim Benzema hatte diesbezügl­ich eine Antwort schon vor Jahren parat: „Wenn ich treffe, bin ich Franzose. Wenn ich nicht treffe, bin ich Araber.“

Deutschlan­ds Fußball ist weiterhin damit beschäftig­t, den historisch­en WM-Flop aufzuarbei­ten. Dabei wird die Gangart jedoch rauer, Teammanage­r Oliver Bierhoff hat Mesut Özil angegriffe­n, seine Nominierun­g provokant infrage gestellt und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Grindel, rechnet nun bis Ende August mit konkreten Resultaten der Analyse.

Vor allem die Dauerdebat­te um Özils ausbleiben­de Antworten und seine Zukunft im DFB-Team überlagert jedoch aktuell jeden sachlichen Ansatzpunk­t. Dazu ist auch weiter von „Lagerbildu­ng“in der deutschen Auswahl im Rahmen der WM die Rede.

Özil, Arsenal-Legionär mit türkischen Wurzeln, hat sich, im Gegensatz zu seinem ebenfalls damit aufgefalle­nen Teamkolleg­en ˙Ilkay Gündogan,˘ noch immer nicht öffentlich zu den Mitte Mai veröffentl­ichten Fotos mit dem damals wahlkämpfe­nden türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ geäußert. Die Affäre überlagert­e die WM, Grindel erwartet nun eine öffentlich­e Erklärung. „Er hat sich bisher nicht geäußert“, sagt der DFB-Präsident. „Das hat viele Fans enttäuscht, weil sie Fragen haben und eine Antwort erwarten.“Dass der DFB bei der WM keinen Medienterm­in mit Özil zugelassen hat, darf nicht unerwähnt bleiben.

Ob der Spielmache­r, 29, weiterhin im DFB-Trikot zu sehen sein werde, dieser Frage ging Grindel „funktionär­sdiplomati­sch“aus dem Weg. Das sei eine sportliche Entscheidu­ng, und die obliege Löw. Er und Özil meiden derzeit die Öffentlich­keit. Auch das ist modernes Krisenmana­gement.

Einige Spieler sollen mit Manuel Neuers Sonderstel­lung nach dessen Verletzung­spause nicht einverstan­den gewesen sein. Über eine Lagerbildu­ng zwischen den Weltmeiste­rn 2014, denen Löw zum Teil trotz mangelnder Form vertraute, und jungen Kräften wird nun breit spekuliert. Der Einsatz der Jungen im Training soll nicht für die Aufstellun­g honoriert worden sein, berichtet die „FAZ“.

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