In Klosterneuburg stirbt die Traviata viele Tode
Oper. Verdis „Traviata“im Kaiserhof, mit einem guten Liebespaar, aber etwas überambitioniert in Szene gesetzt.
Einmal sterben reicht für diese Violetta nicht. Bereits am Beginn, wenn die Streicher den schmerzlichen Heiligenschein malen, den Giuseppe Verdi über seiner selbstlos-edlen Kurtisane schweben lässt, liegt sie tot in ihrem Bett. Rings um sie sind die Leichenfledderer in einer stummen Versteigerungsszene eingefroren: Sie gieren nach den letzten Habseligkeiten der Verblichenen, die durch den Zugriff eines lauernden Gerichtsvollziehers unter den Hammer kommen. Natürlich wird der Abend mit genau dieser Szene auch enden, denn Regisseurin Christiane Lutz erzählt die Oper als Rückblende, ja vielleicht sogar als Zeitschleife: wohl als ein Symbol für ein sich stetig wiederholendes Frauenschicksal in einer verlogenen Welt. Alfredo kehrt verwirrt zurück, die Geliebte wird wieder lebendig – und das Spiel kann beginnen. Ein Spiel freilich, in dem sich zu Violetta gleich drei tanzende Doubles gesellen, die immer wieder leblos zu Boden sinken . . .
Schon zum 25. Mal lädt die „Oper Klosterneuburg“in den Kaiserhof des Augustiner-Chorherrenstiftes, wo es sich gottlob unverstärkt und doch unforciert musizieren lässt; bei Schlechtwetter dient die Babenbergerhalle als Ersatzquartier. Raritäten (etwa 2017 Rossinis „Comte Ory“) sind hier eher die Ausnahme; 2019 setzt Intendant Michael Garschall mit Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“wieder auf einen Dauerbrenner.
Ein solcher ist auch „La traviata“, selbst wenn er etwas überambitioniert auf die Bühne gebracht sein sollte. Deren schiefe Ebenen mit verschiedenen Spielflächen hat Christian Andre Tabakoff ersonnen: Partyräume und Schlafzimmer stehen einem Blumenwiesenidyll gegenüber, in dem sich Alfredo als Heimwerker erprobt und wohin sich Violetta schließlich sterbend zurückträumt. Sängerisch erweist sich Arthur Esposito mit klangvoll-höhensicherem Tenor und schöner Phrasierung als Atout. Und vielleicht personifizieren sich ja im Traviata-Tanztrio zumindest auch die divergierenden stimmlichen Anforderungen, die der Titelpartie auferlegt sind: Eugenia Dushina gelingt es jedenfalls mehr als nur achtbar, das Virtuose, Dramatische und Lyrische unter einen stimmlichen Hut zu bringen. Am eindringlichsten geraten ihr die leisen, wehmütigen Kantilenen des Verzichts; bei akzentuierter Wortausdeutung hingegen lässt sie sich dazu hinreißen, die Gesangslinie zu verlassen.
Dass auch Christiane Lutz zum Überprägnanten neigt, zeigt sich vor allem im Umkreis des Padre Germont, für den sie offenbar das Motto „Nicht ohne meine Tochter“gewählt hat: Er bringt Alfredos BackfischSchwester leibhaftig zu Violetta aufs Land und auch zu Floras Fest mit – eine stumme Rolle (Isabella Campestrini), die Lutz höchst präsent mitmischen und widerstreitende Gefühle durchleben lässt. Dass just der Marchese d’Obigny, kein Kostverächter in Violettas Gefolge, der tugendhafte Bräutigam der Kleinen sein soll, ist immerhin eine hübsche Pointe zur Doppelmoral der so genannten guten Gesellschaft, die sich teils aufführt, als wäre sie dem zweiten Akt der „Fledermaus“entsprungen: Der hauseigene, gute Chor und ein homogenes Ensemble in historischen Kostümen gehen darin auf.
Schade aber, dass der vokal verlässliche Günter Haumer nicht den Germont steif zu zeichnen vermochte, sondern beim Versuch vor allem selbst hölzern und etwas unsicher wirkte. Christoph Campestrini am Pult der bewährten Beethoven Philharmonie (der früheren Sinfonietta Baden) gibt die nötige Sicherheit, meint gerade die langsamen Tempograde wohl besonders mitfühlend und ausdrucksvoll, läuft dabei aber Gefahr, dass sie unter seinen Händen zerfließen. Etwas verhaltener Applaus für Regieteam und Dirigent, aber Begeisterung für die Sänger.