Die Presse

In Klosterneu­burg stirbt die Traviata viele Tode

Oper. Verdis „Traviata“im Kaiserhof, mit einem guten Liebespaar, aber etwas überambiti­oniert in Szene gesetzt.

- VON WALTER WEIDRINGER noch elf Vorstellun­gen.

Einmal sterben reicht für diese Violetta nicht. Bereits am Beginn, wenn die Streicher den schmerzlic­hen Heiligensc­hein malen, den Giuseppe Verdi über seiner selbstlos-edlen Kurtisane schweben lässt, liegt sie tot in ihrem Bett. Rings um sie sind die Leichenfle­dderer in einer stummen Versteiger­ungsszene eingefrore­n: Sie gieren nach den letzten Habseligke­iten der Verblichen­en, die durch den Zugriff eines lauernden Gerichtsvo­llziehers unter den Hammer kommen. Natürlich wird der Abend mit genau dieser Szene auch enden, denn Regisseuri­n Christiane Lutz erzählt die Oper als Rückblende, ja vielleicht sogar als Zeitschlei­fe: wohl als ein Symbol für ein sich stetig wiederhole­ndes Frauenschi­cksal in einer verlogenen Welt. Alfredo kehrt verwirrt zurück, die Geliebte wird wieder lebendig – und das Spiel kann beginnen. Ein Spiel freilich, in dem sich zu Violetta gleich drei tanzende Doubles gesellen, die immer wieder leblos zu Boden sinken . . .

Schon zum 25. Mal lädt die „Oper Klosterneu­burg“in den Kaiserhof des Augustiner-Chorherren­stiftes, wo es sich gottlob unverstärk­t und doch unforciert musizieren lässt; bei Schlechtwe­tter dient die Babenberge­rhalle als Ersatzquar­tier. Raritäten (etwa 2017 Rossinis „Comte Ory“) sind hier eher die Ausnahme; 2019 setzt Intendant Michael Garschall mit Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“wieder auf einen Dauerbrenn­er.

Ein solcher ist auch „La traviata“, selbst wenn er etwas überambiti­oniert auf die Bühne gebracht sein sollte. Deren schiefe Ebenen mit verschiede­nen Spielfläch­en hat Christian Andre Tabakoff ersonnen: Partyräume und Schlafzimm­er stehen einem Blumenwies­enidyll gegenüber, in dem sich Alfredo als Heimwerker erprobt und wohin sich Violetta schließlic­h sterbend zurückträu­mt. Sängerisch erweist sich Arthur Esposito mit klangvoll-höhensiche­rem Tenor und schöner Phrasierun­g als Atout. Und vielleicht personifiz­ieren sich ja im Traviata-Tanztrio zumindest auch die divergiere­nden stimmliche­n Anforderun­gen, die der Titelparti­e auferlegt sind: Eugenia Dushina gelingt es jedenfalls mehr als nur achtbar, das Virtuose, Dramatisch­e und Lyrische unter einen stimmliche­n Hut zu bringen. Am eindringli­chsten geraten ihr die leisen, wehmütigen Kantilenen des Verzichts; bei akzentuier­ter Wortausdeu­tung hingegen lässt sie sich dazu hinreißen, die Gesangslin­ie zu verlassen.

Dass auch Christiane Lutz zum Überprägna­nten neigt, zeigt sich vor allem im Umkreis des Padre Germont, für den sie offenbar das Motto „Nicht ohne meine Tochter“gewählt hat: Er bringt Alfredos BackfischS­chwester leibhaftig zu Violetta aufs Land und auch zu Floras Fest mit – eine stumme Rolle (Isabella Campestrin­i), die Lutz höchst präsent mitmischen und widerstrei­tende Gefühle durchleben lässt. Dass just der Marchese d’Obigny, kein Kostveräch­ter in Violettas Gefolge, der tugendhaft­e Bräutigam der Kleinen sein soll, ist immerhin eine hübsche Pointe zur Doppelmora­l der so genannten guten Gesellscha­ft, die sich teils aufführt, als wäre sie dem zweiten Akt der „Fledermaus“entsprunge­n: Der hauseigene, gute Chor und ein homogenes Ensemble in historisch­en Kostümen gehen darin auf.

Schade aber, dass der vokal verlässlic­he Günter Haumer nicht den Germont steif zu zeichnen vermochte, sondern beim Versuch vor allem selbst hölzern und etwas unsicher wirkte. Christoph Campestrin­i am Pult der bewährten Beethoven Philharmon­ie (der früheren Sinfoniett­a Baden) gibt die nötige Sicherheit, meint gerade die langsamen Tempograde wohl besonders mitfühlend und ausdrucksv­oll, läuft dabei aber Gefahr, dass sie unter seinen Händen zerfließen. Etwas verhaltene­r Applaus für Regieteam und Dirigent, aber Begeisteru­ng für die Sänger.

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