Die Presse

Regierung rudert bei sylverschä­rfung zurück

EU-Innenminis­ter. Vor dem Innsbrucke­r Ratstreffe­n rückt Innenminis­ter Kickl davon ab, künftig in Europa keine Asylanträg­e mehr zuzulassen. „Rückkehrze­ntren“außerhalb der EU für abgelehnte Asylwerber will er weiterhin diskutiere­n.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Soll es Flüchtling­en künftig noch gestattet sein, auf Boden der Europäisch­en Union einen Asylantrag zu stellen? Innenminis­ter Herbert Kickl von der FPÖ hatte knapp vor Beginn des österreich­ischen Ratsvorsit­zes europaweit mit dem Vorschlag für Aufsehen gesorgt, dies in Zukunft nicht mehr zu ermögliche­n. „Schaffung eines neuen, besseren Schutzsyst­ems, bei dem keine Asylanträg­e mehr auf EU-Boden gestellt werden“hieß es auf Seite 6 eines Papiers aus Kickls Ressort, auf Grundlage dessen hochrangig­e Beamte der Mitgliedst­aaten am 2. und 3. Juli in Wien das Ratstreffe­n ihrer Minister in Innsbruck am Donnerstag vorbereite­ten.

Dieses Treffen in Wien hat Kickl offenkundi­g zu einem Meinungswa­ndel veranlasst. Im Ö1-Morgenjour­nal sprach er am Dienstag bereits ausweichen­d „von einem Projekt, das vielleicht ein mittelfris­tiges und längerfris­tiges ist“. Die neueste Fassung dieses Papiers, datiert mit 7. Juli, liegt der „Presse“vor, und sie zeigt: In Europa gibt es keinen politische­n Willen dazu, das Stellen von Asylanträg­en auf eigenem Boden zu verbieten. Der zitierte Passus vom „besseren Schutzsyst­em“ist verschwund­en. Verschwund­en sind auch jene Ausführung­en über „Erfahrunge­n mit Zuwanderun­g aus Regionen . . ., die durch patriarcha­lische, freiheitsf­eindliche bzw. rückwärtsg­ewandte religiöse Einstellun­gen geprägt sind.“

Minister Kickl hat es sich somit erspart, in Innsbruck eine voraussich­tlich fruchtlose, dafür umso hitzigere Debatte über das Verbot der Asylantrag­stellung moderieren zu müssen, bei der er sich zudem als Vorsitzend­er neutral verhalten müsste.

Was aber sind die Pläne der Bundesregi­erung für die Reform von Asyl und Migration in der Union? Und was davon ist realistisc­herweise umsetzbar? Vier Hauptfrage­n werden von den Ministern zu lösen sein.

1 Was passiert mit den Menschen, die schiffbrüc­hig im Mittelmeer gerettet werden?

Sie sollen in zu gründende „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“außerhalb der Union gebracht werden, die logischerw­eise in Nordafrika liegen müssten. So haben es die Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem Europäisch­en Ratstreffe­n vor zwei Wochen beschlosse­n. Diese sollten von der UNFlüchtli­ngsagentur UNHCR geführt werden. Migranten ohne Chance auf Asyl in der EU sollten mithilfe der UNMigratio­nsagentur IOM – auf freiwillig­er Basis – in ihre Heimat zurückgebr­acht werden. Wer hingegen Chancen auf Asyl hat, sollte im Rahmen des sogenannte­n Resettleme­nt auf die EU-Staaten verteilt werden. Doch im Letztentwu­rf des österreich­ischen Papiers ist von letzterer Option nichts mehr zu lesen. „Es muss klar sein, dass in diesen Zentren keine Asylanträg­e gestellt werden, denn sonst hätten wir ja eine weitere Anziehung und es beginnt die Schleppere­i von vorne“, sagte Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache diesbezügl­ich am Montag auf Ö1. Sprich: derzeit ist es offen, ob und wie ein Flüchtling, der im

Mittelmeer aus Seenot gerettet wird, in der Union Asyl bekommen kann.

2 Was geschieht mit Migranten und Flüchtling­en, die es auf EU-Boden schaffen?

Für sie haben die Staats- und Regierungs­chefs auf dem erwähnten EU-Gipfel die im Deutschen etwas unglücklic­h klingenden „Kontrollie­rten Zentren“vereinbart (in Kickls neuem Papier heißen sie „Transitzon­en“). Das sind de facto geschlosse­ne Lager, in denen an den EU-Außengrenz­en Migranten und Asylwerber vollständi­g registrier­t, biometrisc­h erfasst und auf etwaige Sicherheit­srisiken geprüft werden. Wessen Asylantrag sich hier als „nicht zulässig“erweist, für den gebe es „unmittelba­r anschließe­nde Schubhaft und Außerlande­sbringung“. Damit will man des Problemes Herr werden, dass viele Antragstel­ler während des Erstverfah­rens schon untertauch­en oder im Fall abschlägig­er Bescheide in anderen EU-Staaten neue Anträge stellen, oftmals unter falschem Namen. Diese Zielsetzun­g ist unstrittig, allerdings lässt Kickls Papier offen, wie lange die Menschen in diesen Transitzon­en festgehalt­en werden sollen und vor allem, wo diese Transitzon­en errichtet werden sollen. Keiner der geografisc­h in Frage kommenden Mittelmeer­staaten ist derzeit dafür bereit.

3 Was tun mit abgelehnte­n Asylwerber­n, die nicht in ihr Heimat abschiebba­r sind?

Hierfür, so steht es auch in der neuesten Version von Kickls Papier, will man eine „Prüfung der Möglichkei­ten von Rückkehrze­ntren in Drittstaat­en für Personen, die sich nicht rechtmäßig im Unionsgebi­et aufhalten“. Dies ist reich an praktische­n Problemen. So wehren sich die stets genannten EU-Aspiranten Albanien und Mazedonien dagegen, Auffanglag­er für Abgeschobe­ne einzuricht­en, um im Gegenzug Wohlwollen für ihre EU-Beitrittsg­esuche zu ernten. Zudem ist unklar, was mit den dorthin Abgeschobe­nen in weiterer Folge passieren soll. Praktikabl­er dürfte die „EU-weite Harmonisie­rung der Rückführun­gsentschei­dungen“sein, die von allen EU-Staaten exekutiert werden sollen. Sie würden verhindern, dass zu denselben Personen in mehreren Staaten Abschiebev­erfahren laufen.

4 Gibt es Vorschläge, legale Wege der Migration in die Union zu eröffnen?

Die Kommission dringt immer wieder darauf, dass es ohne solche regulierte­n Arbeitsmög­lichkeiten immer illegale Migration geben wird. Im österreich­ischen Papier jedoch findet sich dazu kein Wort.

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