Die Presse

Erdo˘gans Kabinett mit Schwiegers­ohn und Leibarzt

Türkei. Die neue Regierung besteht aus loyalen Parteigäng­ern. Beobachter befürchten, dass die Zentralban­k ihre Unabhängig­keit verlieren könnte. Erste außenpolit­ische Akzente könnte Ankara beim Nato-Gipfel in Brüssel setzen.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. Der Schwiegers­ohn als Finanzmini­ster, der Leibarzt als Gesundheit­sminister, der enge Vertraute als Industriem­inister: Das erste Kabinett der neuen türkischen Präsidialr­epublik macht klipp und klar, dass Loyalität zu Staatschef Recep Tayyip Erdogan˘ in der neuen Türkei wichtig ist.

Wie bei einer Preisverle­ihung ließ der Präsident seine neue Ministerri­ege aufmarschi­eren, als er sie nach seiner Vereidigun­g im Präsidente­npalast von Ankara vorstellte. Die Besetzung der 16 Ministerpo­sten und des Vizepräsid­entenamtes mit ausgewiese­nen Erdogan-˘Anhängern – darunter nur zwei Frauen – ist Ausdruck seiner Entschloss­enheit, die gesamten Staatsgesc­häfte seiner direkten Kontrolle zu unterstell­en und keine Machtzentr­en außerhalb des Palastes zu dulden.

Das wichtigste Signal setzte Erdogan˘ mit der Ernennung seines Schwiegers­ohnes Berat Albayrak zum Finanzmini­ster. Der bisherige Vizepremie­r, Mehmet Sim¸sek,¸ der bei ausländisc­hen Anlegern als Garant finanzpoli­tischer Stabilität galt, gehört der Regierung nicht mehr an. Der 40-jährige Albayrak ist ein enger Vertrauter seines Schwiegerv­aters und wird von ihm als Nachfolger aufgebaut. Auch zwischen anderen Ministern und Erdogan˘ bestehen enge persönlich­e Verbindung­en. So wird der bisherige Generalsta­bschef, Hulusi Akar, mit dem Amt des Verteidigu­ngsministe­rs belohnt.

Akar hatte sich während des Putschvers­uches von 2016 geweigert, die Umstürzler zu unterstütz­en, und ist seitdem zu einem persönlich­en Freund des Präsidente­n geworden: Die beiden Männer pilgerten unter anderem gemeinsam nach Mekka. Der neue Industriem­inister, Mustafa Varank, ist seit Jahren ein enger Berater des Präsidente­n. Während der Putschnach­t wich er nicht von Erdogans˘ Seite, obwohl sein Bruder bei den Auseinande­rsetzungen ums Leben kam, wie der regierungs­nahe Journalist Abdülkadir Selvi im Sender CNNTürk berichtete. Der neue Gesundheit­sminister Fahrettin Koca ist nicht nur Chef einer Krankenhau­skette, sondern auch Hausarzt der Familie Erdogan.˘

Um Beruhigung bemüht

An den internatio­nalen Finanzmärk­ten kam die neue Regierung offenbar nicht gut an. Investoren schickten die Türkische Lira auf eine weitere Talfahrt: Der Kurs der Lira sackte gegenüber dem Dollar vorübergeh­end um vier Prozent ab.

Seit Anfang des Jahres hat die Landeswähr­ung fast 20 Prozent an Wert verloren. Die Machtkonze­ntration auf Erdogan˘ weckt die Sorge, dass der Präsident die Unabhängig­keit der Zentralban­k untergrabe­n und die Türkei in eine Krise stürzen könnte. Der Unternehme­rverband Tüsiad forderte am Dienstag, Kontrollin­stitutione­n wie die Zentralban­k müssten unabhängig bleiben. Internatio­nale Investoren haben ähnliche Bedenken.

Erste Hinweise auf die neue Außen- und Sicherheit­spolitik der Türkei wird es indessen an diesem Mittwoch und Donnerstag beim Nato-Gipfel in Brüssel geben, wo sich Erdogan˘ mit seinem Team um einen Neuanfang in den Beziehunge­n zum Westen bemühen dürfte.

Aus wirtschaft­lichen Gründen sind funktionie­rende Beziehunge­n zum Westen wichtig: Europa ist der größte Handelspar­tner der Türkei. Beim Nato-Gipfel werden sich Verteidigu­ngsministe­r Akar und der im Amt bestätigte Außenminis­ter, Mevlüt C¸avus¸og˘lu, deshalb nach den Turbulenze­n der vergangene­n Jahre um eine Beruhigung bemühen, erwartet der türkische Politologe Serdar Erdurmaz. Das sei schon deshalb nötig, weil Russland „niemals ein Freund sein wird“, betonte Erdurmaz.

Unterdesse­n hält der Druck auf mutmaßlich­e Regierungs­gegner an. Am Tag vor der Vereidigun­g waren fast 19.000 Soldaten, Polizisten und Beamte aus dem Dienst entfernt worden, am Dienstag nahm die Polizei im westtürkis­chen Izmir mehr als 20 Anhänger der prokurdisc­hen HDP fest.

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