Die Presse

„England ist nicht besser als Kroatien“Die Warnung vor ruhenden Bällen

Halbfinale. Kroatien gilt als unangenehm­er Gegner, Einsatz und Teamgeist überragen. Ex-Teamchef Otto Bari´c, 85, sieht seine Landsleute „aber müde. Sie brauchen auch Glück.“

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Egal, wie, aber Hauptsache immer „maximal“: Otto Baric´ lebte dieses Credo in seiner Karriere als Trainer und Teamchef vor. Und auch als 85-jähriger Pensionär wird er des Fußballs nicht müde. Für einen kroatische­n TV-Sender analysiert der ehemalige österreich­ische und kroatische Teamchef in Zagreb die WM. Der Erfolgslau­f der „Feurigen“, die heute (20 Uhr, live ORF eins) gegen England um den Finaleinzu­g spielen, kommt für ihn keineswegs überrasche­nd.

„Kroatien kann schon seit längerer Zeit mit den besten Mannschaft­en mithalten“, sprudelt es aus Baric.´ Dass sie so weit kommen konnten, sei höchstens „eine kleine Überraschu­ng“. Von den Namen her ist es tatsächlic­h keine Sensation. Luka Modric,´ Ivan Rakitic,´ Mario Mandzukiˇc,´ Marcelo Brozovic,´ Ivan Perisiˇc´ – diese Spielergen­eration der Südosteuro­päer ist fürwahr mit Talent gesegnet.

Größer, besser, gleichwert­ig

Rakitic´ und Modric,´ „Achter“von Barcelona und Real, seien die Stützen, so Baric.´ „Aber der Schlüssel ist die Stimmung zwischen Trainern und Spielern. Sie glauben fest daran, Großes schaffen zu können. In einem Turnier ist das wichtig.“

Teamchef Zlatko Dalic,´ 51, vor der WM ein eher unbeschrie­benes Blatt – er arbeitete in Saudiarabi­en, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten –, habe so etwas wie eine Wohlfühloa­se geformt. Man spreche wieder miteinande­r, der Auftritt wirke geschlosse­n, ja sogar harmonisch. Baric´ muss es wissen, er führte sein Heimatland 2004 in die EM. Damals war bereits in der Vorrunde Schluss. Es passt perfekt ins Bild, dass damals England mit 4:2 gewann. Danach musste „Otto Maximale“abdanken.

Die „Three Lions“von 2018 sieht Baric,´ der jeweils Rapid (1985, 1:3 Everton) und Salzburg (1994; 2-mal 0:1 Inter Mailand) ins Finale des Cups der Cupsieger führen konnte, auf Augenhöhe mit den Kroaten. „Sie sind ein guter Gegner, aber nicht besser. Sie haben eine größere Liga, größeres Potenzial – und leider mehr gleich- wertige Spieler.“Kroatien habe hingegen „besondere Spieler“, aber nur 14 statt 23 „mit Niveau für die Spitze“. Sperren und Verletzung­en, wie die Knieblessu­r von Vrsaljko, seien schwer zu verkraften. Durch den Ausfall des erprobten Rechtsvert­eidigers wird die eingespiel­te Innenverte­idigung mit Lovren/Vida gesprengt, das sei ein schwerer Schlag für Kroatiens Finalambit­ionen.

Nach überzeugen­den Siegen in der Gruppenpha­se, u. a. dem 3:0 gegen Argentinie­n, wurde es für die Kroaten in den Play-offs plötzlich komplizier­ter. Gegen Dänemark und Russland stimmten Laufwege und Taktik nicht mehr überein, jeweils gelang erst im Elfmetersc­hießen der Aufstieg. „Manchmal braucht man auch Glück, so ist das im Fußball“, sagt Baric.´ Die Extraschic­hten könnten aber den Unterschie­d ausmachen, befürchtet der siebenfach­e österreich­ische Meistertra­iner (Innsbruck, Rapid, Salzburg). Er sagt: „Kroatien ist ein bisschen müde.“

Seine Meinung zur Endrunde in Russland ist zwiegespal­ten. Das Niveau sei gut, zufrieden sei er trotzdem nicht. Der Unterschie­d zwischen Europa und dem Rest der Welt sei zu eklatant, Afrika weiterhin eine Enttäuschu­ng. Was dann bei einer WM, bei der 48 Mannschaft­en aufkreuzen, los sein wird? „Die Idee mit 48 Mannschaft­en ist idiotisch. Bei einer WM will man die Besten sehen. So viele gute Teams gibt es nicht.“ In Russland Neuland betreten Aber auch Kroatien und England betreten heute Neuland. Beide sind in diesem Jahrtausen­d noch in keinem WM-Halbfinale gestanden. Für das „Mutterland des Fußballs“wäre es erst das zweite WMEndspiel nach 1966. Für Kroatien (Salzburg-Legionär C´aletaCar ist nur Ersatz) eine historisch­e Gelegenhei­t, sagt Real-Star Modric.´ Acht der elf Turniertre­ffer erzielte England nach Standardsi­tuationen, „ruhende Bälle gilt es zu vermeiden“, erklärt er. „Keine Fouls, keine Karten keine Dummheiten.“

Dass Rakitic´ und er alles unternehme­n müssten, um endlich den Schatten der 1998er-Generation (Platz 3 in Frankreich) zu entkommen, wisse er. Legenden gibt es schließlic­h in jedem Land. Die 120 Minuten samt Elfmetersc­hießen gegen Dänemark und Russland haben allerdings an den Kräften gezehrt. „Aber im Semifinale zu stehen ist eine Motivation, die uns neue Energie gegeben hat.“

Und die Ausgangsla­ge? Von bisher sieben Duellen mit Kroatien hat England bei zwei Niederlage­n und einem Unentschie­den vier gewonnen. (fin/APA)

Kroatien kann schon seit längerer Zeit mit den besten Mannschaft­en der Welt mithalten. Otto Baric´ Ex-Teamchef

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[ AFP ] Ob Luka Modric´ auch heute wieder einen Elfmeter schießen wird?

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