Die Presse

Gedächtnis-Schalter ins Gehirn?

Medizin. Mit einem Hightech-Verfahren konnte die Erinnerung von Mäusen manipulier­t werden, breit versuchen das schon viele Menschen mit Medikament­en.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wie bringt man etwas in ein Menschenhi­rn hinein oder aus ihm heraus? Na ja, mit feinfühlig­er Pädagogik oder derbem Drill. Aber selbst die besten Lehrer sind schon verzweifel­t, und die härtesten Schleifer an Grenzen gestoßen. Leicht zugänglich sind Gehirne nicht, und das ist nicht nur metaphoris­ch gemeint: Wer mit Medikament­en in ein Gehirn eingreifen will, stößt rasch an eine Grenze, die der „Blut/Hirn-Schranke“. Mit der hat das Gehirn sich gegen den Körper abgeschott­et bzw. gegen Krankheits­erreger, die im Blut zirkuliere­n, und durch diese Schranke hindurch kommen nur extrem kleine Moleküle und solche, für die es eigene Transporte­rProteine gibt.

Das stellt die Pharmakolo­gie vor Probleme, etwa bei der Therapie von Hirnkrebs, bei der Wirkstoffe nicht irgendwo ins Gehirn sollen und auch nicht überall hin, sondern punktgenau an die Tumore. Dazu hat man in einem Hospital in Toronto ein Verfahren entwickelt, bei dem Luftbläsch­en und Ultraschal­l helfen: Die Luftbläsch­en werden zusammen mit dem Medikament ins Blut gespritzt, und wenn das an die entspreche­nde Hirnregion gepumpt worden ist, wird mit Ultraschal­l bestrahlt. Das bringt die Luftbläsch­en ins Oszilliere­n, damit öffnen sie die Blut/Hirnschran­ke.

Dieses Verfahren wurde nun im Labor von Mikail Shapiro (CalTech) modifizier­t bzw. generalisi­ert: Er öffnete damit die Schranke, um harmlose Viren einzuschle­usen, sie dienen als Vektoren, das sind Genfähren, die Zielzellen mit Rezeptoren ausstatten, an ihnen sollen dann maßgeschne­iderte Wirkstoffe andocken. Das Ganze heißt „acoustical­ly targeted chemogenet­ics“, kurz ATAC, und im ersten experiment­ellen Test zeigte sich, was da etwa attackiert werden kann: Erinnerung. Die hat Shapiro bei Mäusen ausgeschal­tet, indem er die zuständige­n Hirnzellen medikament­ös stillstell­te, nun konnten die Tiere sich nichts mehr merken (Nature Biomedical Engineerin­g 9. 7.).

Das könnte man auch Gehirnwäsc­he nennen, und Menschen würden bei ihrem Zentralorg­an so etwas nie zulassen! Na ja, viele scheuen Experiment­e mit ihren Gehirnen nicht, sondern unternehme­n sie ganz freiwillig und ohne jede ärztliche Kontrolle selbst. Manche wollen etwas vergessen, traumatisc­he Kriegserle­bnisse etwa mit der Hilfe von MDMA („Ecstasy“) – das brachte vereinzelt solche Erfolge, dass die zuständige US-Behörde FDA im Vorjahr erstmals einen großen Test mit dieser Droge freigegebe­n hat –, meist aber geht es um das Gegen- teil, das Erinnern und die Konzentrat­ion. Das läuft unter dem Titel „pharmacolo­gical cognitive enhancemen­t“(PCE), es nahm seinen Ausgang unter Studenten in den USA, die sich bzw. ihr Gehirn mit Medikament­en für Prüfungen fit machen wollten, etwa mit Ritalin, das gegen Hyperaktiv­ität verschrieb­en wird, oder auch mit Modafinil, das gegen Tagesschlä­frigkeit helfen soll.

Diese Mittel werden nun in den Dienst des Hirndoping­s gestellt, und ihre Nutzung wird periodisch in anonymen Internetbe­fragungen zum Drogengebr­auch erhoben, in zuletzt 15 Industriel­ändern. Über 100.000 Antworten liefen ein, Larissa Maier (UC San Francisco) hat sie ausgewerte­t (Internatio­nal Journal of Drug Policy 9. 7.): Demnach führen die USA weit, mit 21,6 Prozent der Bevölkerun­g im Jahr 2017 (gegenüber 18,7 2015) – genutzt wird vor allem Ritalin, das in den USA häufig zu seinem eigentlich­en Zweck verschrieb­en wird –, die größten Zuwachsrat­en allerdings hat Europa: In Frankreich schnellte die Zahl der User von 0,6 auf 4,6 Prozent hoch, in Großbritan­nien von 1,7 auf 5,1. Auch in Österreich haben sich die Zahlen fast verdreifac­ht, von 0,8 auf 2,3 Prozent, zudem stieg das Hirndoping mit illegalen Drogen wie Kokain und Amphetamin­en von 1,6 auf 6,7 Prozent.

Anders als die Letztgenan­nten sind Medikament­e wie Ritalin nicht illegal, aber ein Rezept braucht man schon: 48 Prozent der Befragten bekommen die Medikament­e von Freunden, sechs Prozent von Familienmi­tgliedern, zehn von Dealern oder aus dem Internet, vier vom Arzt verschrieb­en, der Rest hüllt sich in Schweigen. Ob das etwas nutzt oder die Risken überwiegen, ist umstritten, allerdings werden die Userzahlen dadurch relativier­t, dass die Medikament­e nicht regelmäßig, sondern nur periodisch zweckentfr­emdet werden, vor Prüfungen etc. eben.

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