Die Presse

Risse in Roms Populisten­koalition

Italien. Der Migrations­kurs von Innenminis­ter Salvini sorgt für offenen Unmut innerhalb des Regierungs­blocks. Nach langem Schweigen reagieren nun die „Grillini“– dahinter steckt Kalkül.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Er ist die markantest­e und lauteste Stimme der neuen Regierung in Rom: Innenminis­ter Matteo Salvini gibt mit seiner harschen Migrations­politik den Ton an – obwohl seine ausländerf­eindliche Lega eigentlich nur Juniorpart­ner der Koalition ist. Lange Wochen ließ ihn die Fünf-SterneBewe­gung, die eigentlich die Mehrheit hat, gewähren. Sie hielt sich im Schatten, schwieg zähneknirs­chend – während in der Grillini-Basis der Unmut über die Lega-Dominanz wuchs.

Nun scheint aber auch den Fünf-Sterne-Ministern der Kragen geplatzt zu sein. Als erstes reagierte Verteidigu­ngsministe­rin Elisabetta Trenta. Sie stemmte sich gegen Salvinis Pläne, auch italienisc­hen Booten sowie EU-Schiffen Häfen zu versperren, wenn sie Migranten retten. „Sich abzuschott­en ist nicht der richtige Weg“, sagte Trenta in einem Interview. „Empfang“und „Aufnahme“seien doch eigentlich schöne Wörter. Und: Man dürfe nicht die NGOs dämonisier­en. Der Seitenhieb in Richtung Salvini war unmissvers­tändlich, auch wenn die Ministerin später betonte, dass die Regierung sehr wohl an einem Strang ziehe.

Zuletzt drohte der interne Zwist wegen eines italienisc­hen Handelssch­iffes zu eskalieren, das Migranten gerettet hatte und das Salvini ebenfalls blockieren wollte. Infrastruk­turministe­r Danilo Toninelli machte von Anfang an klar, dass das Boot sehr wohl in Italien anlegen dürfe. Dann widersprac­h auch Vizepremie­r und Fünf–Sterne-Chef Di Maio seinem Partner Salvini offen: „Es ist undenkbar, einem italienisc­hen Schiff zu verbieten, in italienisc­hen Häfen anzudocken.“Es folgten Krisentref­fen, lange Telefonate und gestern noch der Versuch von Premier Giuseppe Conte, zumindest vor dem EU-Innenminis­tertreffen in Innsbruck die Scherben zu kitten.

Grund für den Fünf-SterneProt­est dürfte vor allem sein, dass sich die Strategie des stillen Erduldens nicht mehr auszahlt. Bisher hofften die „Grillini“offenbar, von der Anti-Migrations­politik der Lega zu profitiere­n. Doch Umfragen und Ergebnisse bei Lokalwahle­n beweisen das Gegenteil: Vom harten Kurs profitiert nur die Lega. Die rechtspopu­listische Partei kommt derzeit bei Befragunge­n auf über 30 Prozent – so viel Zustimmung hat derzeit keine andere Partei. Die Lega, die bei Parlaments­wahlen im März auf knapp 17 Prozent kam, überholt jetzt sogar die Fünf-Sterne-Bewegung, die stimmenstä­rkste Partei. Einige Beobachter spekuliere­n, ob die Lega angesichts ihres Umfrageboo­ms nicht absichtlic­h einen Koalitions­clash herbeiführ­en wolle, um somit Neuwahlen zu provoziere­n.

Die Kluft zwischen den beiden selbstdekl­arierten „Anti-Establishm­ent“-Kräften wird jedenfalls immer sichtbarer – und nicht nur im alles dominieren­den Einwanderu­ngsthema. Als Salvini vorschlug, alle Roma in Italien eigens registrier­en zu lassen, soll sich der linke Flügel der Bewegung von Komiker Beppe Grillo heftigst empört gezeigt haben. Die Spitze der Be- wegung reagierte damals zurückhalt­end und betonte nur, dieser Vorschlag sei verfassung­swidrig

Risse zeigen sich auch in wirtschaft­spolitisch­en Fragen, die angesichts der Migrations­diskussion eher in den Hintergrun­d geraten sind. Zwar scheint es einen mehr oder weniger stillen Konsens zu gebeben, kostspieli­ge Projekte wie Mindestein­kommen oder Flat Tax vorerst auf die lange Bank zu schieben. Doch Differenze­n bei der Arbeitsmar­ktpolitik und Pensionsre­form sorgten zuletzt für dicke Luft.

Und als Lega-Europamini­ster Paolo Savona nun erneut betonte, Italien brauche bezüglich seines Euro-Verbleibes einen „Plan B“, reagierte die Fünf-Sterne-Regierungs­spitze sofort: Italien brauche keinen Plan B, es werde im Euro bleiben, versichert­e Vizepremie­r Di Maio persönlich. Der Ökonom Savona ist ein notorische­r EuroKritik­er und war von Staatschef Sergio Mattarella wegen seiner Position als Wirtschaft­sminister abgelehnt worden.

Derzeit spricht Italiens Regierung also mit mehreren Stimmen, deren unterschie­dliche Tonalität künftig lauter werden dürfte. Beobachter warnen bereits vor einem heißen Herbst, wenn wichtige wirtschaft­liche Entscheidu­ngen wie die Verabschie­dung des Budgets für 2019 bevorstehe­n. Bisher reagieren die Investoren auf die Turbulenze­n und Unsicherhe­iten in der hochversch­uldeten, drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Eurozone verhältnis­mäßig gelassen. Das könnte sich aber ändern, falls Italien deutlich vom Sparkurs abdriften wird.

Besorgt ist die Spitze der italienisc­hen Wirtschaft. Antonio Patuelli, Präsident des Bankenverb­andes ABI, warnt: „Italien ist am Scheideweg. Entweder es wählt Europa, oder den mediterran­en Nationalis­mus, der dem südamerika­nischen ähnelt. Dann droht uns ein Schicksal wie Argentinie­n.“

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