Risse in Roms Populistenkoalition
Italien. Der Migrationskurs von Innenminister Salvini sorgt für offenen Unmut innerhalb des Regierungsblocks. Nach langem Schweigen reagieren nun die „Grillini“– dahinter steckt Kalkül.
Er ist die markanteste und lauteste Stimme der neuen Regierung in Rom: Innenminister Matteo Salvini gibt mit seiner harschen Migrationspolitik den Ton an – obwohl seine ausländerfeindliche Lega eigentlich nur Juniorpartner der Koalition ist. Lange Wochen ließ ihn die Fünf-SterneBewegung, die eigentlich die Mehrheit hat, gewähren. Sie hielt sich im Schatten, schwieg zähneknirschend – während in der Grillini-Basis der Unmut über die Lega-Dominanz wuchs.
Nun scheint aber auch den Fünf-Sterne-Ministern der Kragen geplatzt zu sein. Als erstes reagierte Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta. Sie stemmte sich gegen Salvinis Pläne, auch italienischen Booten sowie EU-Schiffen Häfen zu versperren, wenn sie Migranten retten. „Sich abzuschotten ist nicht der richtige Weg“, sagte Trenta in einem Interview. „Empfang“und „Aufnahme“seien doch eigentlich schöne Wörter. Und: Man dürfe nicht die NGOs dämonisieren. Der Seitenhieb in Richtung Salvini war unmissverständlich, auch wenn die Ministerin später betonte, dass die Regierung sehr wohl an einem Strang ziehe.
Zuletzt drohte der interne Zwist wegen eines italienischen Handelsschiffes zu eskalieren, das Migranten gerettet hatte und das Salvini ebenfalls blockieren wollte. Infrastrukturminister Danilo Toninelli machte von Anfang an klar, dass das Boot sehr wohl in Italien anlegen dürfe. Dann widersprach auch Vizepremier und Fünf–Sterne-Chef Di Maio seinem Partner Salvini offen: „Es ist undenkbar, einem italienischen Schiff zu verbieten, in italienischen Häfen anzudocken.“Es folgten Krisentreffen, lange Telefonate und gestern noch der Versuch von Premier Giuseppe Conte, zumindest vor dem EU-Innenministertreffen in Innsbruck die Scherben zu kitten.
Grund für den Fünf-SterneProtest dürfte vor allem sein, dass sich die Strategie des stillen Erduldens nicht mehr auszahlt. Bisher hofften die „Grillini“offenbar, von der Anti-Migrationspolitik der Lega zu profitieren. Doch Umfragen und Ergebnisse bei Lokalwahlen beweisen das Gegenteil: Vom harten Kurs profitiert nur die Lega. Die rechtspopulistische Partei kommt derzeit bei Befragungen auf über 30 Prozent – so viel Zustimmung hat derzeit keine andere Partei. Die Lega, die bei Parlamentswahlen im März auf knapp 17 Prozent kam, überholt jetzt sogar die Fünf-Sterne-Bewegung, die stimmenstärkste Partei. Einige Beobachter spekulieren, ob die Lega angesichts ihres Umfragebooms nicht absichtlich einen Koalitionsclash herbeiführen wolle, um somit Neuwahlen zu provozieren.
Die Kluft zwischen den beiden selbstdeklarierten „Anti-Establishment“-Kräften wird jedenfalls immer sichtbarer – und nicht nur im alles dominierenden Einwanderungsthema. Als Salvini vorschlug, alle Roma in Italien eigens registrieren zu lassen, soll sich der linke Flügel der Bewegung von Komiker Beppe Grillo heftigst empört gezeigt haben. Die Spitze der Be- wegung reagierte damals zurückhaltend und betonte nur, dieser Vorschlag sei verfassungswidrig
Risse zeigen sich auch in wirtschaftspolitischen Fragen, die angesichts der Migrationsdiskussion eher in den Hintergrund geraten sind. Zwar scheint es einen mehr oder weniger stillen Konsens zu gebeben, kostspielige Projekte wie Mindesteinkommen oder Flat Tax vorerst auf die lange Bank zu schieben. Doch Differenzen bei der Arbeitsmarktpolitik und Pensionsreform sorgten zuletzt für dicke Luft.
Und als Lega-Europaminister Paolo Savona nun erneut betonte, Italien brauche bezüglich seines Euro-Verbleibes einen „Plan B“, reagierte die Fünf-Sterne-Regierungsspitze sofort: Italien brauche keinen Plan B, es werde im Euro bleiben, versicherte Vizepremier Di Maio persönlich. Der Ökonom Savona ist ein notorischer EuroKritiker und war von Staatschef Sergio Mattarella wegen seiner Position als Wirtschaftsminister abgelehnt worden.
Derzeit spricht Italiens Regierung also mit mehreren Stimmen, deren unterschiedliche Tonalität künftig lauter werden dürfte. Beobachter warnen bereits vor einem heißen Herbst, wenn wichtige wirtschaftliche Entscheidungen wie die Verabschiedung des Budgets für 2019 bevorstehen. Bisher reagieren die Investoren auf die Turbulenzen und Unsicherheiten in der hochverschuldeten, drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone verhältnismäßig gelassen. Das könnte sich aber ändern, falls Italien deutlich vom Sparkurs abdriften wird.
Besorgt ist die Spitze der italienischen Wirtschaft. Antonio Patuelli, Präsident des Bankenverbandes ABI, warnt: „Italien ist am Scheideweg. Entweder es wählt Europa, oder den mediterranen Nationalismus, der dem südamerikanischen ähnelt. Dann droht uns ein Schicksal wie Argentinien.“