Die Presse

Wo Handl an Tyrols Grenzen stößt

Tirol. Schweine, Kunden, Arbeitskrä­fte – von allem hat Speckprodu­zent Handl in Tirol zu wenig. Er hilft sich anders – und erntet Kritik. Diskussion­en über Zwölf-Stunden-Tage habe es nie gegeben.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Irgendwann waren im Tiroler Oberland keine arbeitswil­ligen, jungen Männer mehr zu finden. Also fragte Speckprodu­zent Karl Handl die jungen Mütter rund um sein Werk in Pians, ob sie nicht ein paar Stunden pro Tag bei ihm arbeiten wollten.

„Um zwölf musste das Kind abgeholt werden, und die Maschine hat nicht angehalten“, erzählt Josef Wechner. Der Geschäftsf­ührer ist fast so lang dabei wie sein mittlerwei­le pensionier­ter Seniorchef Karl Handl selbst.

Die Episode ist zwanzig Jahre her. Sie endete damit, dass Handl die Mütter an weniger zeitkritis­che Posten in der Fabrik einsetzte. Zu Spitzenzei­ten kamen und kommen andere ans Fließband. „Von der Diskussion um den Zwölf-StundenTag habe ich vor zwei Monaten das erste Mal gehört“, sagt Wechner.

Unter seinen 520 Mitarbeite­rn würde er bei Großaufträ­gen ohne Probleme Freiwillig­e für Überstunde­n finden. Man habe noch nie diskutiere­n müssen. „Weil wir sie gut behandeln“, sagt Wechner im Gespräch mit der „Presse“. Anders gehe es in seiner Region mit Tourismuso­rten wie dem Arlberg und Ischgl, wo Hoteliers und Gastronome­n um jede freie Arbeitskra­ft buhlen, auch nicht. „Sie oder er geht zum Nächsten, wenn du sie nicht gut behandelst.“Das namensgebe­nde Bundesland wurde Handl Tyrol (die alte Schreibwei­se umfasst Nordtirol, Südtirol und das Trentino) schnell zu eng.

Als der 18-jährige Karl Handl 1964 die Familienme­tzgerei übernahm, die bereits gut 60 Jahre alt war, wollte er mehr. Und das schnell. Anfang der 1980er war er bei ersten deutschen Messen vertreten. Seine Exportquot­e lag da noch im Promillebe­reich und der Zoll bei 30 Prozent.

Zur gleichen Zeit fingen die Tiroler an, den Lebensmitt­elhandel zu beliefern. 1992 kauften sie sich in Südtirol ein, um einen Fuß in der Europäisch­en Union zu haben – ohne zu wissen, dass diese schon bald zu ihnen kommen würde. Man war und ist nicht zimperlich: Von den 128 Mio. Euro Umsatz machte die Firma zuletzt die Hälfte unter eigenem Namen, die andere Hälfte mit Eigenmarke­n für die großen Supermarkt­ketten wie Spar, Edeka, Rewe und für Diskonter wie Hofer und Lidl.

„Man kann das ablehnen“, sagt Wechner. „Aber wir waren ja anfangs nur in Österreich. Und wenn du in Österreich nicht jedem lieferst, hast du ein Problem.“

Heute liegt die Exportquot­e bei 60 Prozent. Wenn Handl noch wächst, dann vor allem im Aus- land. Dem Exportwach­stum ist auch das vierte Werk im Tiroler Haiming geschuldet, das im kommenden Herbst in den Vollbetrie­b geht.

Dort produziert man keine Braten, keine Würste, keine Salami, sondern nur das Aushängesc­hild, den Tiroler Speck. „Schinken-, Karree-, Bauch-, Schulterun­d Schopfspec­k“, zählt Wechner die fünf Sorten routiniert auf.

Genau dieser Tiroler Speck war es, der Handl vor etwa zehn Jahren in seine größte Krise stürzte. Das Ausgangspr­oblem: Tirol hat viele

Berge und wenige Schweine. Konkret sind es etwas mehr als 12.000, „da hätten unsere 520 Mitarbeite­r einen halben Tag lang Arbeit“.

Für die EU-Herkunftsb­ezeichnung g. g. A. (geschützte geografisc­he Angabe) reicht es, wenn die Produkte nach traditione­llen Rezepten in der Region hergestell­t werden. Das Schwein kann dabei ein österreich­isches, deutsches oder dänisches sein. Handl hat sich an die Spielregel­n gehalten und Schweine aller drei Nationalit­äten verwendet.

Die Konsumente­n, die Speck „aus Tirol“kauften, fühlten sich dennoch gepflanzt. Aufregung und Imageschad­en waren groß. Ab 2010 unterwarfe­n die Tiroler ihren Speck freiwillig den strengen AMARichtli­nien.

Auch heute sind von den 20 Mio. Kilogramm Fleisch, das Handl pro Jahr verarbeite­t, nur fünf Millionen aus Österreich – aber beim Speck kann der Österreich­er sicher sein, dass er in eine österreich­ische Schwarte beißt.

Juniorchef Christian Handl nennt sich im Rückblick ein prominente­s Opfer der rot-weißroten Herkunftsd­ebatte. Bevor das 55 Mio. Euro teure neue Speckwerk im Oktober offiziell den Betrieb aufnimmt, will sein Kollege Josef Wechner Aufklärung­sarbeit leisten. Schlagzeil­en wie damals sollen vermieden werden. Also betont er: Ja, für Märkte wie die USA, die nach dem Ausbau angesteuer­t werden, verwende man dänisches Schwein. Japan, Südkorea oder die USA ließen überhaupt nur dieses Fleisch herein. Die Qualität sei so gut wie in Österreich. „Wir haben nie Schnäppche­n gekauft.“Auch wenn das Tier erst posthum in die Tiroler Berge komme, habe es ein glückliche­s Leben gehabt.

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