Wo Handl an Tyrols Grenzen stößt
Tirol. Schweine, Kunden, Arbeitskräfte – von allem hat Speckproduzent Handl in Tirol zu wenig. Er hilft sich anders – und erntet Kritik. Diskussionen über Zwölf-Stunden-Tage habe es nie gegeben.
Irgendwann waren im Tiroler Oberland keine arbeitswilligen, jungen Männer mehr zu finden. Also fragte Speckproduzent Karl Handl die jungen Mütter rund um sein Werk in Pians, ob sie nicht ein paar Stunden pro Tag bei ihm arbeiten wollten.
„Um zwölf musste das Kind abgeholt werden, und die Maschine hat nicht angehalten“, erzählt Josef Wechner. Der Geschäftsführer ist fast so lang dabei wie sein mittlerweile pensionierter Seniorchef Karl Handl selbst.
Die Episode ist zwanzig Jahre her. Sie endete damit, dass Handl die Mütter an weniger zeitkritische Posten in der Fabrik einsetzte. Zu Spitzenzeiten kamen und kommen andere ans Fließband. „Von der Diskussion um den Zwölf-StundenTag habe ich vor zwei Monaten das erste Mal gehört“, sagt Wechner.
Unter seinen 520 Mitarbeitern würde er bei Großaufträgen ohne Probleme Freiwillige für Überstunden finden. Man habe noch nie diskutieren müssen. „Weil wir sie gut behandeln“, sagt Wechner im Gespräch mit der „Presse“. Anders gehe es in seiner Region mit Tourismusorten wie dem Arlberg und Ischgl, wo Hoteliers und Gastronomen um jede freie Arbeitskraft buhlen, auch nicht. „Sie oder er geht zum Nächsten, wenn du sie nicht gut behandelst.“Das namensgebende Bundesland wurde Handl Tyrol (die alte Schreibweise umfasst Nordtirol, Südtirol und das Trentino) schnell zu eng.
Als der 18-jährige Karl Handl 1964 die Familienmetzgerei übernahm, die bereits gut 60 Jahre alt war, wollte er mehr. Und das schnell. Anfang der 1980er war er bei ersten deutschen Messen vertreten. Seine Exportquote lag da noch im Promillebereich und der Zoll bei 30 Prozent.
Zur gleichen Zeit fingen die Tiroler an, den Lebensmittelhandel zu beliefern. 1992 kauften sie sich in Südtirol ein, um einen Fuß in der Europäischen Union zu haben – ohne zu wissen, dass diese schon bald zu ihnen kommen würde. Man war und ist nicht zimperlich: Von den 128 Mio. Euro Umsatz machte die Firma zuletzt die Hälfte unter eigenem Namen, die andere Hälfte mit Eigenmarken für die großen Supermarktketten wie Spar, Edeka, Rewe und für Diskonter wie Hofer und Lidl.
„Man kann das ablehnen“, sagt Wechner. „Aber wir waren ja anfangs nur in Österreich. Und wenn du in Österreich nicht jedem lieferst, hast du ein Problem.“
Heute liegt die Exportquote bei 60 Prozent. Wenn Handl noch wächst, dann vor allem im Aus- land. Dem Exportwachstum ist auch das vierte Werk im Tiroler Haiming geschuldet, das im kommenden Herbst in den Vollbetrieb geht.
Dort produziert man keine Braten, keine Würste, keine Salami, sondern nur das Aushängeschild, den Tiroler Speck. „Schinken-, Karree-, Bauch-, Schulterund Schopfspeck“, zählt Wechner die fünf Sorten routiniert auf.
Genau dieser Tiroler Speck war es, der Handl vor etwa zehn Jahren in seine größte Krise stürzte. Das Ausgangsproblem: Tirol hat viele
Berge und wenige Schweine. Konkret sind es etwas mehr als 12.000, „da hätten unsere 520 Mitarbeiter einen halben Tag lang Arbeit“.
Für die EU-Herkunftsbezeichnung g. g. A. (geschützte geografische Angabe) reicht es, wenn die Produkte nach traditionellen Rezepten in der Region hergestellt werden. Das Schwein kann dabei ein österreichisches, deutsches oder dänisches sein. Handl hat sich an die Spielregeln gehalten und Schweine aller drei Nationalitäten verwendet.
Die Konsumenten, die Speck „aus Tirol“kauften, fühlten sich dennoch gepflanzt. Aufregung und Imageschaden waren groß. Ab 2010 unterwarfen die Tiroler ihren Speck freiwillig den strengen AMARichtlinien.
Auch heute sind von den 20 Mio. Kilogramm Fleisch, das Handl pro Jahr verarbeitet, nur fünf Millionen aus Österreich – aber beim Speck kann der Österreicher sicher sein, dass er in eine österreichische Schwarte beißt.
Juniorchef Christian Handl nennt sich im Rückblick ein prominentes Opfer der rot-weißroten Herkunftsdebatte. Bevor das 55 Mio. Euro teure neue Speckwerk im Oktober offiziell den Betrieb aufnimmt, will sein Kollege Josef Wechner Aufklärungsarbeit leisten. Schlagzeilen wie damals sollen vermieden werden. Also betont er: Ja, für Märkte wie die USA, die nach dem Ausbau angesteuert werden, verwende man dänisches Schwein. Japan, Südkorea oder die USA ließen überhaupt nur dieses Fleisch herein. Die Qualität sei so gut wie in Österreich. „Wir haben nie Schnäppchen gekauft.“Auch wenn das Tier erst posthum in die Tiroler Berge komme, habe es ein glückliches Leben gehabt.