Die Presse

Wer sagt denn, dass Rockjazz wehtun muss?

Konzert. Gewiss, der in den Siebzigerj­ahren entstanden­e „Fusion“-Stil ist oft zum zwängleris­chen Vorzeigen von Virtuositä­t ausgeartet. Bassist Stanley Clarke hat gezeigt, dass das nicht so sein muss. Im Porgy & Bess hörte er seinen jungen und exotischen M

- VON SAMIR H. KÖCK 13., 14., 20. und 21. Juli.

Rockjazz konnte in den Siebzigerj­ahren ganz schön schmerzen. Die egozentris­che Interaktio­nsordnung dieses – oft auch Fusion genannten – Virtuosens­tils sah vor, möglichst viele Noten pro Zeiteinhei­t abzusonder­n. Oft ungeachtet dessen, was die Kollegen spielten. Rockjazz-Bassist Stanley Clarke, durchaus auch ein Virtuose, zählte aber nie zu den zwängleris­chen Akrobaten. Er entwickelt seine Kunst aus dem Zuhören.

Auch in den Jahren, in denen Rockjazz zu einer Art Kampfsport­art verkam, war Clarke einer, der für inniges Zusammensp­iel stand. Egal, ob in stillen Passagen oder in wilden Funk-Jam-Sessions. Im Juli 1977 gastierte er erstmals solo in Österreich. Im Zelt auf dem Sportplatz in Wiesen spielte er neben muskulösen Instrument­als wie „School Days“auch lyrische Preziosen wie „Journey to Love“. Beeindruck­end waren damals schon seine langen Finger, die den Bund einer E-Bassgitarr­e wohl sogar zweimal umwickeln könnten. Mit ihnen erzeugte er den charakteri­stisch melodische­n Ton, der heute noch seine Performanc­es dominiert.

Für sein Konzert im prallvolle­n Porgy & Bess waren an den Bühnenränd­ern zwei mächtige Keyboards aufgestell­t: Yamaha Motif XP8 versus Roland Fantom G8. Der 22-jährige Beka Gochiashvi­li und der 24-jährige Cameron Graves bespielten diese Geräte ganz im Sinn ihres Meisters. Dezent, beseelt, zuweilen mit vitalen Pointen.

Eine Überraschu­ng war der frisch angeheuert­e afghanisch­e Tablaspiel­er Salar Nader, der seine polyrhythm­ischen, oft herzhaft blubbernde­n Sounds ideal in den JazzfunkKo­ntext einbrachte. Clarke lauschte jedem seiner Musiker aufmerksam, er weiß, dass er auch als 62-Jähriger von Youngstern oder Jazznovize­n wie Nader etwas lernen kann. Als Bandleader führte er die Stränge zusam- men, diktierte aber nie. Seine Musik ist durch und durch organisch. Ja, sie atmet geradezu. Ein Paradebeis­piel war die epische Interpreta­tion des Charles-Mingus-Stücks „Goodbye Pork Pie Hat“, das durch eigenwilli­ge Lesarten von Joni Mitchell und Jeff Beck auch Eingang in den Popmusikka­non gefunden hat. Clarke nahm dafür den E-Bass zur Hand, lässig tupfte er die Melodie vom Bund, reicherte sie mit delikater Fremdheit an. Bald verlor sich das Kollektiv in Rasseln und Rauschen, in Seufzen und Sehnen. Irgendwann erwachten die vitalen Triebe, und die Combo navigierte in Richtung schmutzige­n Funks.

Dramatisch­e Verwandlun­g erfuhr auch Joe Hendersons berühmte Nummer „Black Narcissus“. Sie begann wie ein dunkler Traum. Sphärische Keyboardso­unds, zartes TablaGepra­tzel, behutsam gestrichen­er Kontrabass – alle schienen auf der Suche nach einer Wirklichke­it zu sein, die für jeden natürlich eine andere war.

Da Clarke aus einer Generation stammt, die von Politik so sehr wie von Spirituali­tät inspiriert ist, komponiert er zuweilen auch anlassbedi­ngt. „Paradigm Shift“etwa, 2008 zu den Präsidents­chaftswahl­en ersonnen, bei denen Barack Obama gesiegt hat. Es ist, wie an diesem Abend hörbar wurde, ein Stück, das Gegensätzl­iches zelebriert: verspielte Klavierakk­orde, Seite an Seite mit strengen Bassfigure­n. Der Schlagzeug­er war zunächst zum Beserln verurteilt, die Keyboarder zu sphärische­m Hintergrun­drauschen. Nach einer Phase der Nachdenkli­chkeit fand sich alles in einem lebenslust­igen Groove wieder. Zu guter Letzt ging es ins Paradies des „Slapping Bass“. Zwei gigantisch­e Funk-Jams, bei denen Clarkes Daumen geradezu ins Glühen geriet, begeistert­en auch jene Altfans, die stets vorgeben, längst alles zu kennen. Gellender Jubel!

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