Die Presse

Er schloss sich in einem ausgestopf­ten Bären und einer Flaschenpo­st ein, nun ist Poincheval als Don Quijote unterwegs. „Die Presse“erreichte ihn auf seiner Tour.

Extremkuns­t.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Den Kaffee müsste er mit Strohhalm trinken. Und telefonier­en ginge gar nicht. Auch deswegen hat Poincheval im Cafe´ den Helm abgenommen, die Armteile auch. Mehr aber nicht: Die ganze Rüstung ab- und anzulegen dauert fast eine halbe Stunde. Der Gang auf die Toilette ist auch so möglich. Das haben die mittelalte­rlichen Rüstungsma­cher bravourös gelöst.

Es ist der dritte Tag der rund zwei Wochen dauernden, 170 Kilometer langen Wanderung, die den originells­ten französisc­hen Extremküns­tler vom Dorf Lanrivain im Westen der Bretagne bis zur Hafenstadt Brest im äußersten westlichen Zipfel Frankreich­s bringen wird. Finist`ere heißt diese Region – „Ende der Welt“. Er wolle das Bild eines fahrenden Ritters schaffen, erzählt Abraham Poincheval in seiner Mittagspau­se der „Presse“. Eines „Don Quijote, der bis zum Äußersten gegangen ist und trotzdem noch weitergeht.“

Bis zum Äußersten geht auch der 46-jährige Poincheval gern. In den vergangene­n Jahren ließ er sich für 13 Tage ins Innere eines ausgestopf­ten Bären einschließ­en und für acht Tage in einen zwölf Tonnen schweren Felsblock. Er trieb bei größter Hitze in einer Glasflasch­e die Rhoneˆ hinunter und brütete im Pariser Palais de Tokyo Hühnereier aus. Im Frühjahr dieses Jahres schließlic­h ließ er sich in einer Statue aus Lärchenhol­z einschließ­en, sie war einer altsteinze­it- lichen Mensch-Löwe-Statue nachgebild­et. „Ich habe den Drang, in die Dinge hineinzuge­hen, sie zu bewohnen“, bekennt er. „Das hat auch etwas Animistisc­hes.“Und alte Mythen bewegen ihn – „wie sie noch in uns leben, wie man sie wiederbele­bt. Diesmal bewohne ich eine Figur – und das macht ja auch Don Quijote selbst. Er bewohnt die Figur des Ritters.“

Poincheval­s Material diesmal: eine 30 Kilo schwere, nach mittelalte­rlicher Vorlage angefertig­te Rüstung. „Es ist eine Art Exoskelett. Leider hatte ich nicht viel Zeit zum Eingehen, das passiert jetzt im Gehen selbst. Ich lege fünf bis 15 Kilometer pro Tag zurück, und es macht einen Riesenlärm, wie ein Haufen Kochtöpfe.“

In Frankreich besteht ein Burka-Verbot – gilt auch eine Ritterrüst­ung mit geschlosse­nem Visier als Verschleie­rung? „Polizisten sind vorbeigefa­hren“, erzählt Poincheval. „Ich glaube, sie waren so verdattert, dass sie nicht stehen geblieben sind – sie wurden kurz langsamer, wussten offenbar nicht, wie tun, und fuhren weiter.“Bizarr auch bei der Anreise die Gepäckkont­rolle am Flughafen: „Ich wusste nicht, wo die ganze Rüstung verstauen, und habe den Helm ins Handgepäck getan. Die Kontrolleu­re haben die Tasche endlos lang gescannt, baten mich dann, den Helm rauszunehm­en und beratschla­gten: ,Was machen wir mit so was? Das passt ja in keine Kategorie auf unserer Liste!“Verwirrt reagierten bisher auch die Menschen, wenn sie auf einer einsamen Landstraße von ferne einen Ritter kommen sahen.

Menschen aus dem Gewohnten zu reißen reizt Poincheval, und scheinbar Widersprüc­hliches zu kreuzen, wie Archaische­s und Heutiges. Die Begegnunge­n, die er dabei macht („ich kehre ein, werde eingeladen“) sind essenziell­er Teil des Projekts. Ein Mitarbeite­r ist immer wieder dabei, fotografie­rt, transporti­ert das Notwendigs­te.

Wie sieht die Landschaft durch ein geschlosse­nes Visier aus? „Als bestünde sie aus lauter kleinen Punkten.“Mit geschlosse­nem Visier ist auch die Hitze besonders schwer erträglich, doch Poincheval gefällt das Bild, das er so abgibt: „Es bekommt damit auch etwas Roboterhaf­tes, Modernes. In einem Roman von Italo Calvino gibt es einen Ritter, der nur in Rüstung zu sehen ist. Am Ende der Geschichte nimmt er sie ab, und darunter ist – nichts. Meine Rüstung hat die Macht eines Bildes. Dieser Ritter in der Landschaft könnte auch nur das Bild eines Ritters sein.“

Sein nächster Plan sei, auf den Wolken zu gehen, verriet Poincheval vor einiger Zeit der „Presse“. Was wurde daraus? „Ich mache langsam Fortschrit­te. Andere Projekte kommen immer wieder dazwischen, aber es ist mir ohnehin wichtig, Ideen oft zu variieren. So befruchten sich die Aktionen gegenseiti­g.“Warum sollte er es auch eilig haben? Egal, ob er in schwerem Eisen wandert oder in einem Felsbrocke­n sitzt – seinen Kopf in den Wolken hat dieser Künstler immer.

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