Er schloss sich in einem ausgestopften Bären und einer Flaschenpost ein, nun ist Poincheval als Don Quijote unterwegs. „Die Presse“erreichte ihn auf seiner Tour.
Extremkunst.
Den Kaffee müsste er mit Strohhalm trinken. Und telefonieren ginge gar nicht. Auch deswegen hat Poincheval im Cafe´ den Helm abgenommen, die Armteile auch. Mehr aber nicht: Die ganze Rüstung ab- und anzulegen dauert fast eine halbe Stunde. Der Gang auf die Toilette ist auch so möglich. Das haben die mittelalterlichen Rüstungsmacher bravourös gelöst.
Es ist der dritte Tag der rund zwei Wochen dauernden, 170 Kilometer langen Wanderung, die den originellsten französischen Extremkünstler vom Dorf Lanrivain im Westen der Bretagne bis zur Hafenstadt Brest im äußersten westlichen Zipfel Frankreichs bringen wird. Finist`ere heißt diese Region – „Ende der Welt“. Er wolle das Bild eines fahrenden Ritters schaffen, erzählt Abraham Poincheval in seiner Mittagspause der „Presse“. Eines „Don Quijote, der bis zum Äußersten gegangen ist und trotzdem noch weitergeht.“
Bis zum Äußersten geht auch der 46-jährige Poincheval gern. In den vergangenen Jahren ließ er sich für 13 Tage ins Innere eines ausgestopften Bären einschließen und für acht Tage in einen zwölf Tonnen schweren Felsblock. Er trieb bei größter Hitze in einer Glasflasche die Rhoneˆ hinunter und brütete im Pariser Palais de Tokyo Hühnereier aus. Im Frühjahr dieses Jahres schließlich ließ er sich in einer Statue aus Lärchenholz einschließen, sie war einer altsteinzeit- lichen Mensch-Löwe-Statue nachgebildet. „Ich habe den Drang, in die Dinge hineinzugehen, sie zu bewohnen“, bekennt er. „Das hat auch etwas Animistisches.“Und alte Mythen bewegen ihn – „wie sie noch in uns leben, wie man sie wiederbelebt. Diesmal bewohne ich eine Figur – und das macht ja auch Don Quijote selbst. Er bewohnt die Figur des Ritters.“
Poinchevals Material diesmal: eine 30 Kilo schwere, nach mittelalterlicher Vorlage angefertigte Rüstung. „Es ist eine Art Exoskelett. Leider hatte ich nicht viel Zeit zum Eingehen, das passiert jetzt im Gehen selbst. Ich lege fünf bis 15 Kilometer pro Tag zurück, und es macht einen Riesenlärm, wie ein Haufen Kochtöpfe.“
In Frankreich besteht ein Burka-Verbot – gilt auch eine Ritterrüstung mit geschlossenem Visier als Verschleierung? „Polizisten sind vorbeigefahren“, erzählt Poincheval. „Ich glaube, sie waren so verdattert, dass sie nicht stehen geblieben sind – sie wurden kurz langsamer, wussten offenbar nicht, wie tun, und fuhren weiter.“Bizarr auch bei der Anreise die Gepäckkontrolle am Flughafen: „Ich wusste nicht, wo die ganze Rüstung verstauen, und habe den Helm ins Handgepäck getan. Die Kontrolleure haben die Tasche endlos lang gescannt, baten mich dann, den Helm rauszunehmen und beratschlagten: ,Was machen wir mit so was? Das passt ja in keine Kategorie auf unserer Liste!“Verwirrt reagierten bisher auch die Menschen, wenn sie auf einer einsamen Landstraße von ferne einen Ritter kommen sahen.
Menschen aus dem Gewohnten zu reißen reizt Poincheval, und scheinbar Widersprüchliches zu kreuzen, wie Archaisches und Heutiges. Die Begegnungen, die er dabei macht („ich kehre ein, werde eingeladen“) sind essenzieller Teil des Projekts. Ein Mitarbeiter ist immer wieder dabei, fotografiert, transportiert das Notwendigste.
Wie sieht die Landschaft durch ein geschlossenes Visier aus? „Als bestünde sie aus lauter kleinen Punkten.“Mit geschlossenem Visier ist auch die Hitze besonders schwer erträglich, doch Poincheval gefällt das Bild, das er so abgibt: „Es bekommt damit auch etwas Roboterhaftes, Modernes. In einem Roman von Italo Calvino gibt es einen Ritter, der nur in Rüstung zu sehen ist. Am Ende der Geschichte nimmt er sie ab, und darunter ist – nichts. Meine Rüstung hat die Macht eines Bildes. Dieser Ritter in der Landschaft könnte auch nur das Bild eines Ritters sein.“
Sein nächster Plan sei, auf den Wolken zu gehen, verriet Poincheval vor einiger Zeit der „Presse“. Was wurde daraus? „Ich mache langsam Fortschritte. Andere Projekte kommen immer wieder dazwischen, aber es ist mir ohnehin wichtig, Ideen oft zu variieren. So befruchten sich die Aktionen gegenseitig.“Warum sollte er es auch eilig haben? Egal, ob er in schwerem Eisen wandert oder in einem Felsbrocken sitzt – seinen Kopf in den Wolken hat dieser Künstler immer.