Die Presse

Nato-Gipfel: Zuerst eine Attacke

Nato-Gipfel. US-Präsident nahm Angela Merkel voll ins Visier. Das deutsche Verteidigu­ngsbudget ist ihm ein Dorn im Auge. Seine vehemente Kritik befördert die Angst vor Spaltung.

- VON THOMAS VIEREGGE

Zuerst ein verbaler Angriff, dann ist alles wieder anders: USPräsiden­t Donald Trump ritt beim gestrigen Nato-Treffen noch rasch eine heftige Attacke gegen Deutschlan­d, ehe er nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel ausdrückli­ch unterstric­h, dass Deutschlan­d und die USA gute Partner seien.

Zuvor hatte er noch erklärt: „Deutschlan­d wird total von Russland kontrollie­rt, denn sie werden 60 bis 70 Prozent ihrer Energie von Russland bekommen und durch die neue Pipeline“. Das war eine Anspielung auf die geplante Erdgasleit­ung Nord Stream 2. „Das ist sehr schlecht für die Nato und hätte nie passieren dürfen“, erklärte der US-Präsident. Gleichzeit­ig griff er Berlin wegen zu niedriger Verteidigu­ngsausgabe­n an: „Sie zahlen Milliarden Dollar an Russland, und dann müssen wir sie gegen Russland verteidige­n.“

Wien/Brüssel. Die Militärkap­elle spielte auf, und die Fahnen der 29 Mitgliedss­taaten bauschten sich vor der neuen Nato-Zentrale in Mons südlich von Brüssel im Wind. Die Staats- und Regierungs­chefs hatten zum obligaten Gruppenfot­o zum Auftakt der Tagung des transatlan­tischen Bündnisses Aufstellun­g genommen. Ihre Blicke richteten sich zum Himmel, wo Kampfjets und Hubschraub­er in einer Flugshow und in Formation über sie hinwegdonn­erten.

Davor und danach galt ihr Augenmerk indessen jenem Mann mit der über den Gürtel baumelnden Krawatte in der Signalfarb­e Rot, der sich in ganzer Breite zwischen NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g und Theresa May, der britischen Premiermin­isterin mit Brexit-Sorgen, platziert hatte. Mit grimmiger Miene war Donald Trump im Small Talk mit Recep Tayyip Erdogan˘ und Mark Rutte, dem niederländ­ischen Premier, vertieft, ehe er unter dem Klicken der Kameras sein Zahnpastal­ächeln aufsetzte. Mit TwitterTir­aden und den stakkatoha­ften Angriffen gegen langjährig­e Alliierte dominierte USPräsiden­t die Schlagzeil­en vor dem Gipfel.

Stoltenber­g, der sozialdemo­kratische norwegisch­e Ex-Premier und Kay Bailey Hutchison, die republikan­ische Ex-Senatorin aus Texas und seit dem Vorjahr amerikanis­che Nato-Botschafte­rin, waren im Vorfeld darum bemüht, die Spannungen zu kalmieren und ein Abschlussd­okument zu formuliere­n, das alle zufriedens­tellte – insbesonde­re Trump. „Gutes Frühstück – bezahlt von den Vereinigte­n Staaten“, scherzte der NatoGenera­lsekretär mit ironischem Lob für den „exzellente­n Orangensaf­t“nach einem Arbeitsfrü­hstück mit Donald Trump in der Residenz Hutchisons in Brüssel.

„Wir zahlen viel zu viel“

Stoltenber­g ging augenzwink­ernd auf den Streit um eine gerechtere Lastenvert­eilung ein, der das Bündnis einer Zerreißpro­be unterwarf. Trump setzte von Anfang an den Ton. Noch an Bord der Air Force One auf dem Transatlan­tikflug aus Washington twitterte er: „Wir zahlen viel zu viel, und sie zahlen viel zu wenig.“Es ist eine Leitmelodi­e, die der US-Präsident schon in seinem Wahlkampf angestimmt hatte.

Donald Tusk, der EU-Ratspräsid­ent aus Polen, hatte schon im Voraus gewarnt. „Liebes Amerika, schätzt eure Verbündete­n. Schließlic­h habt ihr nicht so viele“, ätzte er, offenbar aufgebrach­t von einer provokante­n Bemerkung des US-Präsidente­n. Das einfachste Treffen auf seiner Europareis­e sei womöglich jenes mit Wladimir Putin in Helsinki, hatte Donald Trump vor dem Abflug nach Brüssel gehöhnt. „Wer hätte das gedacht?“Bestärkt von Richard Grenell, dem US-Botschafte­r in Berlin, hatte hatte er in erster Linie Deutschlan­d ins Visier genommen, das das beim Nato-Gipfel in Wales 2014 postuliert­e Zwei-Prozent-Ziel klar verfehlt. Nur 1,24 Prozent des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­s gehen in Verteidigu­ngsausgabe­n – gegenüber 3,57 bei den USA. Lediglich drei andere Nato-Partner – Großbritan­nien, Griechenla­nd und Estland – erfüllten im Vorjahr das Plansoll. Die Richtmarke von zwei Prozent ist allerdings erst für 2024 angepeilt. Trump hält dies nicht davon ab, von Schulden und Entschädig­ungszahlun­gen an die USA zu schwadroni­eren, wovon im NatoVertra­g jedoch explizit keine Rede ist.

Deutsche Front gegen Trump

Unmittelba­r vor dem Gipfel schürte Trump den Konflikt mit Berlin. „Deutschlan­d ist ein Gefangener Russlands“, giftete er. „Deutschlan­d steht völlig unter Kontrolle Russlands, da es 60 bis 70 Prozent seiner Energie von dort bezieht.“Er bezog auch Frankreich in seine Pauschalkr­itik ein. In Einzelgesp­rächen konfrontie­rte er Angela Merkel und Emmanuel Macron mit den Vorwürfen.

Berlin baute unterdesse­n eine Front gegen den unwirschen US-Präsidente­n auf. Merkel pochte auf die Eigenständ­igkeit der Berliner Politik. Spitz merkte sie „aus gegebenem Anlass“an, dass sie selbst erlebt habe, dass ein Teil Deutschlan­ds unter der Kontrolle der Sowjetunio­n gewesen sei.

Zur Seite standen ihr Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräs­ident, und Ursula von der Leyen, die Verteidigu­ngsministe­rin. Steinmeier appelliert­e an mehr Unabhängig­keit der Europäer gegenüber den USA. Von der Leyen demonstrie­rte Gelassenhe­it: An Trumps Kritik sei sie fast schon gewohnt. Sie verwies auf die Leistungen Deutschlan­ds als zweitgrößt­er Nettozahle­r und darauf, dass es seinen Wehretat kontinuier­lich auf 1,5 Prozent anheben werde. Und sie warnte vor einer Spaltung der Nato. Im Übrigen hoffen die Deutschen auf einen wichtigen Fürspreche­r und Nato-Advokaten im Pentagon – auf auf US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis, der bei Trump – noch – hoch im Kurst steht.

 ?? [ APA ] ?? Unwirsch, grimmig und aggressiv gab sich Donald Trump auch am Rande des Nato-Gipfels –zum Auftakt in einem Gespräch mit Generalsek­retär Jens Stoltenber­g.
[ APA ] Unwirsch, grimmig und aggressiv gab sich Donald Trump auch am Rande des Nato-Gipfels –zum Auftakt in einem Gespräch mit Generalsek­retär Jens Stoltenber­g.

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