Nato-Gipfel: Zuerst eine Attacke
Nato-Gipfel. US-Präsident nahm Angela Merkel voll ins Visier. Das deutsche Verteidigungsbudget ist ihm ein Dorn im Auge. Seine vehemente Kritik befördert die Angst vor Spaltung.
Zuerst ein verbaler Angriff, dann ist alles wieder anders: USPräsident Donald Trump ritt beim gestrigen Nato-Treffen noch rasch eine heftige Attacke gegen Deutschland, ehe er nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel ausdrücklich unterstrich, dass Deutschland und die USA gute Partner seien.
Zuvor hatte er noch erklärt: „Deutschland wird total von Russland kontrolliert, denn sie werden 60 bis 70 Prozent ihrer Energie von Russland bekommen und durch die neue Pipeline“. Das war eine Anspielung auf die geplante Erdgasleitung Nord Stream 2. „Das ist sehr schlecht für die Nato und hätte nie passieren dürfen“, erklärte der US-Präsident. Gleichzeitig griff er Berlin wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben an: „Sie zahlen Milliarden Dollar an Russland, und dann müssen wir sie gegen Russland verteidigen.“
Wien/Brüssel. Die Militärkapelle spielte auf, und die Fahnen der 29 Mitgliedsstaaten bauschten sich vor der neuen Nato-Zentrale in Mons südlich von Brüssel im Wind. Die Staats- und Regierungschefs hatten zum obligaten Gruppenfoto zum Auftakt der Tagung des transatlantischen Bündnisses Aufstellung genommen. Ihre Blicke richteten sich zum Himmel, wo Kampfjets und Hubschrauber in einer Flugshow und in Formation über sie hinwegdonnerten.
Davor und danach galt ihr Augenmerk indessen jenem Mann mit der über den Gürtel baumelnden Krawatte in der Signalfarbe Rot, der sich in ganzer Breite zwischen NatoGeneralsekretär Jens Stoltenberg und Theresa May, der britischen Premierministerin mit Brexit-Sorgen, platziert hatte. Mit grimmiger Miene war Donald Trump im Small Talk mit Recep Tayyip Erdogan˘ und Mark Rutte, dem niederländischen Premier, vertieft, ehe er unter dem Klicken der Kameras sein Zahnpastalächeln aufsetzte. Mit TwitterTiraden und den stakkatohaften Angriffen gegen langjährige Alliierte dominierte USPräsident die Schlagzeilen vor dem Gipfel.
Stoltenberg, der sozialdemokratische norwegische Ex-Premier und Kay Bailey Hutchison, die republikanische Ex-Senatorin aus Texas und seit dem Vorjahr amerikanische Nato-Botschafterin, waren im Vorfeld darum bemüht, die Spannungen zu kalmieren und ein Abschlussdokument zu formulieren, das alle zufriedenstellte – insbesondere Trump. „Gutes Frühstück – bezahlt von den Vereinigten Staaten“, scherzte der NatoGeneralsekretär mit ironischem Lob für den „exzellenten Orangensaft“nach einem Arbeitsfrühstück mit Donald Trump in der Residenz Hutchisons in Brüssel.
„Wir zahlen viel zu viel“
Stoltenberg ging augenzwinkernd auf den Streit um eine gerechtere Lastenverteilung ein, der das Bündnis einer Zerreißprobe unterwarf. Trump setzte von Anfang an den Ton. Noch an Bord der Air Force One auf dem Transatlantikflug aus Washington twitterte er: „Wir zahlen viel zu viel, und sie zahlen viel zu wenig.“Es ist eine Leitmelodie, die der US-Präsident schon in seinem Wahlkampf angestimmt hatte.
Donald Tusk, der EU-Ratspräsident aus Polen, hatte schon im Voraus gewarnt. „Liebes Amerika, schätzt eure Verbündeten. Schließlich habt ihr nicht so viele“, ätzte er, offenbar aufgebracht von einer provokanten Bemerkung des US-Präsidenten. Das einfachste Treffen auf seiner Europareise sei womöglich jenes mit Wladimir Putin in Helsinki, hatte Donald Trump vor dem Abflug nach Brüssel gehöhnt. „Wer hätte das gedacht?“Bestärkt von Richard Grenell, dem US-Botschafter in Berlin, hatte hatte er in erster Linie Deutschland ins Visier genommen, das das beim Nato-Gipfel in Wales 2014 postulierte Zwei-Prozent-Ziel klar verfehlt. Nur 1,24 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts gehen in Verteidigungsausgaben – gegenüber 3,57 bei den USA. Lediglich drei andere Nato-Partner – Großbritannien, Griechenland und Estland – erfüllten im Vorjahr das Plansoll. Die Richtmarke von zwei Prozent ist allerdings erst für 2024 angepeilt. Trump hält dies nicht davon ab, von Schulden und Entschädigungszahlungen an die USA zu schwadronieren, wovon im NatoVertrag jedoch explizit keine Rede ist.
Deutsche Front gegen Trump
Unmittelbar vor dem Gipfel schürte Trump den Konflikt mit Berlin. „Deutschland ist ein Gefangener Russlands“, giftete er. „Deutschland steht völlig unter Kontrolle Russlands, da es 60 bis 70 Prozent seiner Energie von dort bezieht.“Er bezog auch Frankreich in seine Pauschalkritik ein. In Einzelgesprächen konfrontierte er Angela Merkel und Emmanuel Macron mit den Vorwürfen.
Berlin baute unterdessen eine Front gegen den unwirschen US-Präsidenten auf. Merkel pochte auf die Eigenständigkeit der Berliner Politik. Spitz merkte sie „aus gegebenem Anlass“an, dass sie selbst erlebt habe, dass ein Teil Deutschlands unter der Kontrolle der Sowjetunion gewesen sei.
Zur Seite standen ihr Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, und Ursula von der Leyen, die Verteidigungsministerin. Steinmeier appellierte an mehr Unabhängigkeit der Europäer gegenüber den USA. Von der Leyen demonstrierte Gelassenheit: An Trumps Kritik sei sie fast schon gewohnt. Sie verwies auf die Leistungen Deutschlands als zweitgrößter Nettozahler und darauf, dass es seinen Wehretat kontinuierlich auf 1,5 Prozent anheben werde. Und sie warnte vor einer Spaltung der Nato. Im Übrigen hoffen die Deutschen auf einen wichtigen Fürsprecher und Nato-Advokaten im Pentagon – auf auf US-Verteidigungsminister James Mattis, der bei Trump – noch – hoch im Kurst steht.