Die Presse

Koalition: Konflikt mit Kassen eskaliert

Gesundheit. Warum die Sozialvers­icherungen mit einer „Ausgabenbr­emse“besachwalt­et werden.

- VON MARTIN FRITZL

„Es wird heute keine Kampfansag­en geben“, sagte Alexander Biach, Chef des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger, am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz. Doch die Pressekonf­erenz selbst war schon eine Kampfansag­e, denn Biach trat mit prominente­r Unterstütz­ung auf: Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekamme­r, war ebenso gekommen wie ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Sie alle warnten vor Verschlech­terungen im Gesundheit­ssystem.

Worum geht es? Vergangene­n Donnerstag hat die Koalition im Parlament nicht nur den Zwölf-Stunden-Tag beschlosse­n, sondern auch – kurioserwe­ise als Teil des Sachwalter­gesetzes – eine Ausgabenbr­emse für die Sozialvers­icherungen. Diese dürfen keine unbefriste­ten Verträge für Spitzenfun­ktionen mehr vergeben (was angesichts der anstehende­n Strukturre­form noch einigermaß­en logisch ist), sie dürfen aber auch keine Verträge mit den Ärzten abschließe­n und keine Bauprojekt­e starten.

Hintergrun­d dieses überfallsa­rtig per Initiativa­ntrag eingebrach­ten Gesetzes ist die Konfliktsi­tuation zwischen der Koalition und den Vertretern der Kassen. Von sozialdemo­kratischen Funktionär­en sind Äußerungen bekannt, wonach man die Zeit bis zur Strukturre­form nutzen, Geld ausgeben und vollendete Tatsachen schaffen werde. Dem wollte die Koalition gegensteue­rn.

Hauptverba­nd-Chef Biach betrachtet­e man dabei offensicht­lich nicht als Verbündete­n, sondern als Gegner: Es ist der Konflikt der „Türkisen“gegen die sozialpart­nerschaftl­ichen „Schwarzen“innerhalb der ÖVP, der da mitspielt. Biach ist nicht nur Kammerfunk­tionär, sondern auch ÖVP-Bezirksobm­ann in Wien-Margarethe­n. Beim Regierungs­programm durfte er noch mitverhand­eln, inzwischen fungiert er schon als Feindbild für den eigenen Generalsek­retär, der ihn am Donnerstag per Aussendung in die „Achse der Blockierer und Systembewa­hrer“einreihte.

Inhaltlich ist die Besachwalt­ung der Sozialvers­icherungen nicht ganz so leicht nachvollzi­ehbar, hat doch das Sozialmini­s- terium jetzt schon die Möglichkei­t, ein Veto gegen Verträge einzulegen, die es für unwirtscha­ftlich oder ungesetzli­ch hält. So geschehen beim Unfallkran­kenhaus Klagenfurt, das – mit Unterstütz­ung aller Landtagspa­rteien – einen Neubau auf dem Gelände des Landeskran­kenhauses errichten und so Synergien heben sollte. Künftig können die Kassen derartige Projekte gar nicht mehr in Angriff nehmen. Bauvorhabe­n im Wert von 400 Millionen Euro liegen damit auf Eis. Da geht es beispielsw­eise um eine Kinderambu­lanz im 10. Bezirk, um Ambulanzen in Graz, Wolfsberg, Neunkirche­n, Völkermark­t oder Liezen oder um Servicezen­tren in etlichen Bezirkshau­ptstädten. Auch ein wesentlich­es gesundheit­spolitisch­es Reformvorh­aben steht in der Warteschle­ife: Für die geplanten Primärvers­orgungszen­tren ist ein Vertrag mit der Ärztekamme­r notwendig.

Gesundheit­sministeri­n Beate HartingerK­lein ging auf die Argumente der Sozialvers­icherungen nicht im Einzelnen ein und sprach von „Panikmache“. Für die Patienten werde das Gesetz keinerlei negative Auswirkung­en haben. Unterdesse­n versucht die FPÖ-Ministerin nicht nur, die Strukturen bei den Krankenkas­sen aufzubrech­en, sondern auch im eigenen Haus: Durch den Umbau der Sektionen müssen die Führungspo­sitionen neu ausgeschri­eben werden, wodurch nicht nur die frühere Gesundheit­sministeri­n Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) ihr Rückkehrre­cht verliert, sondern auch der ÖVP-nahe Sektionsch­ef Clemens Martin Auer seinen Job. Auer, dessen Vertrag auch von SPÖ-Ministern stets verlängert wurde, galt als maßgeblich­er Architekt der Gesundheit­sreformen der vergangene­n 15 Jahre.

Newspapers in German

Newspapers from Austria