Die Presse

„Die Wirtschaft ist nicht die Klientel der Neos“

Interview. Die neue Neos-Chefin, Beate Meinl-Reisinger, über den „Bürgerkrie­g“-Sager von Matthias Strolz, die Schwierigk­eit mit dem Kopftuchve­rbot, die schlussend­liche Zustimmung ihrer Partei zum Zwölf-Stunden-Tag und das Fußball-WM-Finale.

- VON OLIVER PINK

Die Presse: Was wird sich denn unter Ihrer Führung bei den Neos ändern? Beate Meinl-Reisinger: Also ich bin ja schon lang dabei, habe die Neos mitgegründ­et und verspüre jetzt nicht den unbändigen Drang, alles anders zu machen. Aber ich habe schon meine Schwerpunk­te: auf jeden Fall Europa. Das ist auch mein Herzensthe­ma. Ich will das gemeinsame Europa auch für die nächsten Generation­en sichern.

Soll man Asyl nur noch außerhalb der EU beantragen können? Das halte ich rechtsstaa­tlich für nicht möglich. Wir haben aber immer gesagt, dass wir die Freizügigk­eit im Inneren bewahren möchten – und dazu braucht es dann einen Schutz der Außengrenz­en. Ja, wir müssen wissen, wer auf europäisch­es Territoriu­m kommt. Und wir müssen eine Steuerungs­möglichkei­t haben. Vorschläge von uns sind ja auch auf dem Tisch: Partnerstä­dte in Afrika, die Möglichkei­t, Asylanträg­e in Herkunftsl­ändern und Botschafte­n zu stellen. Und Europa wird sich auch überlegen müssen, wie man die besten Köpfe hierherhol­t.

Wie fanden Sie denn den „Bürgerkrie­g“-Sager von Matthias Strolz? Wörtlich hat er gesagt: „Durch den ungebremst­en Zustrom von kulturfrem­den Armutsmigr­anten, die in unsere Sozialsyst­eme einsickern, wird unser von Solidaritä­t und Zusammenha­lt getragenes gesellscha­ftliches Gefüge in seinen Grundfeste­n erschütter­t und macht mittelfris­tig einen Bürgerkrie­g nicht unwahrsche­inlich.“Er hat aber auch noch dazugesagt, dass er sich Sorgen über den steigenden Antiislami­smus und die Stimmung gegen Muslime macht. Ich verstehe seine Sorge: Wir erleben derzeit eine Politik, die stark auf Abgrenzung­en setzt. Mit klaren Ansagen: „Da sind wir, das christlich­e Europa. Und da sind die, die Muslime.“Davon halte ich gar nichts. Denn wenn Europa eine Wertegemei­nschaft ist, dann auf dem Boden des Humanismus, der Aufklärung und der säkularen Gesellscha­ft. Mit der manche Muslime aber durchaus ihre Probleme haben. Dass die offene Gesellscha­ft auch von religiösen Fanatikern bedroht ist, das habe ich immer klar gesagt. Dagegen muss man sich wehren.

Sind Sie für ein Kopftuchve­rbot in Kindergärt­en und Volksschul­en? Mir gefallen kleine Kinder mit Kopftücher­n nicht. Und in Wien habe ich einem solchen Antrag auch zugestimmt. Aber ich bin auch Juristin und dem Rechtsstaa­t verpflicht­et. Bis dato hat mir keiner eine Lösung auf den Tisch gelegt, die verfassung­skonform wäre, die nur das Kopftuch betrifft. Wenn es eine solche gibt, dann kann man mit uns sicher reden. Denn eine säkulare Gesellscha­ftsordnung braucht auch religionsf­reie Räume – gerade für kleine Kinder.

Sind Sie für Deutschler­nklassen in den Schulen? Nein, so wie sie von der Regierung geplant sind, nicht. Denn da geht man an der Schulauton­omie vorbei. Das ist ein Fehler. Denn es ist ein Unterschie­d, ob ein, zwei Kinder oder 80 Prozent in einer Klasse nicht ausreichen­d Deutsch können. Warum überlassen wir das verdammt noch mal nicht den Schulen, wie sie das organisier­en? Man soll das nicht von oben diktieren. Und wo ist die indexbasie­rte Finanzieru­ng für die Brennpunkt­schulen? Wenn es uns damit ernst ist, dass wir allen Kindern alle Chancen ermögliche­n wollen – denn das Gegenteil wäre ein Verbrechen –, dann werden wir darum nicht herumkomme­n.

Beim Zwölf-Stunden-Tag haben die Neos das Gesetz der Regierung wortreich und scharf kritisiert – letztlich aber doch zugestimmt. Warum? Arbeitszei­tflexibili­sierung war uns immer ein Anliegen. Ein IT-Unternehme­r hat mir erst unlängst wieder erzählt: Wenn da etwas mit dem IT-System passiert, dann können sich die Techniker und Programmie­rer nicht die Frage stellen, ob sie jetzt schon acht Stunden gearbeitet haben. Da hängen unter Umständen Menschenle­ben dran. Diese Leute stehen jetzt alle mit einem Fuß im Kriminal. Das Nächste ist die Vereinbark­eit von Familie und Beruf: Gerade da hilft Flexibilit­ät, wenn man die Mög- lichkeit hat. Das habe ich selbst gesehen, dass da auch Arbeitszei­ten gefälscht werden, damit man unter der Woche mit den Kindern einmal nach Schönbrunn gehen kann – und nicht am Wochenende, wenn alle gehen.

Wozu dann die harsche Kritik zuvor? Weil das Gesetz in der Qualität katastroph­al war. Und weil der Prozess im Parlament eine Frechheit war. Aber wir konnten Verbesseru­ngen bewirken. Die SPÖ und die Liste Pilz hätten auch nicht zugestimmt, wenn es handwerkli­ch perfekt gewesen wäre. Da ist Kern auch ein totaler Populist – denn er hatte das ja selbst im Programm. Das ist auch nichts anderes als das Geschäft mit der Angst.

Wenn man der linken Opposition glauben darf, dann macht die Regierung Politik für die Wirtschaft, die Unternehme­r, die Industrie – das ist auch die Klientel der Neos. Wozu braucht es die Neos dann eigentlich noch? Also ich sehe nicht, dass die Wirtschaft die Klientel der Neos ist. Ich habe immer gesagt: Wir haben keine Klientel. Das Einzige, wozu wir uns wirklich verpflicht­et fühlen, ist nachhaltig­e Politik. Im Sinn der nächsten Generation. Und ja, da ist die Frage der Wettbewerb­sfähigkeit eine ganz wesentlich­e. Wir brauchen Wohlstand für alle. Und da bedrohen die hohen Lohnnebenk­osten den Standort nach wie vor massiv. Das ist von der Regierung noch nicht in dem Ausmaß angegangen worden, wie wir uns das wünschen. Und eine Pensionsre­form ist leider kein Thema mehr. Wenn wir einen Pensionsau­tomatismus ins Leben brächten, würde das etwa fünf Milliarden Euro im Jahr bringen.

Was halten Sie davon, dass Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen Ceta blockiert? So, wie er das macht, ist das sein Recht. Er verweigert ja nicht, er wartet das EUGH-Urteil ab. Aber es ist natürlich ein schmaler Grat zum Populismus.

Sie wechseln im Herbst in den Nationalra­t. Bleiben Sie Parteichef­in in Wien? Nein, ich werde übergeben. Weil es auch meinem Selbstvers­tändnis entspricht, dass ich Menschen empowern möchte.

An Christoph Wiederkehr, der Ihnen jetzt schon als Klubchef im Gemeindera­t nachgefolg­t ist? Er ist ein möglicher Kandidat. Aber entschiede­n ist noch nichts.

Was wird aus Matthias Strolz? Bundespräs­identschaf­tskandidat? Fragen Sie ihn selbst. Alt genug wäre er ja.

Kroatien oder Frankreich? Schwierige Frage. Ich habe das England-Spiel in einer Gruppe Kroaten geschaut, und wiewohl ich zu England gehalten habe, habe ich mich von ihrer Freude anstecken lassen. Mein Favorit, Belgien, ist leider draußen. Also ich weiß nicht. Für Europa würde ich mir Frankreich wünschen.

Aber es gibt wahrschein­lich mehr kroatische Wähler in Österreich als französisc­he. Für die Kroaten in Wien würde ich mich auch sehr freuen. Also: Ich ziehe da die Neutralitä­tskarte.

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[ Gabriele Paar]

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