„Die Wirtschaft ist nicht die Klientel der Neos“
Interview. Die neue Neos-Chefin, Beate Meinl-Reisinger, über den „Bürgerkrieg“-Sager von Matthias Strolz, die Schwierigkeit mit dem Kopftuchverbot, die schlussendliche Zustimmung ihrer Partei zum Zwölf-Stunden-Tag und das Fußball-WM-Finale.
Die Presse: Was wird sich denn unter Ihrer Führung bei den Neos ändern? Beate Meinl-Reisinger: Also ich bin ja schon lang dabei, habe die Neos mitgegründet und verspüre jetzt nicht den unbändigen Drang, alles anders zu machen. Aber ich habe schon meine Schwerpunkte: auf jeden Fall Europa. Das ist auch mein Herzensthema. Ich will das gemeinsame Europa auch für die nächsten Generationen sichern.
Soll man Asyl nur noch außerhalb der EU beantragen können? Das halte ich rechtsstaatlich für nicht möglich. Wir haben aber immer gesagt, dass wir die Freizügigkeit im Inneren bewahren möchten – und dazu braucht es dann einen Schutz der Außengrenzen. Ja, wir müssen wissen, wer auf europäisches Territorium kommt. Und wir müssen eine Steuerungsmöglichkeit haben. Vorschläge von uns sind ja auch auf dem Tisch: Partnerstädte in Afrika, die Möglichkeit, Asylanträge in Herkunftsländern und Botschaften zu stellen. Und Europa wird sich auch überlegen müssen, wie man die besten Köpfe hierherholt.
Wie fanden Sie denn den „Bürgerkrieg“-Sager von Matthias Strolz? Wörtlich hat er gesagt: „Durch den ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten, die in unsere Sozialsysteme einsickern, wird unser von Solidarität und Zusammenhalt getragenes gesellschaftliches Gefüge in seinen Grundfesten erschüttert und macht mittelfristig einen Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich.“Er hat aber auch noch dazugesagt, dass er sich Sorgen über den steigenden Antiislamismus und die Stimmung gegen Muslime macht. Ich verstehe seine Sorge: Wir erleben derzeit eine Politik, die stark auf Abgrenzungen setzt. Mit klaren Ansagen: „Da sind wir, das christliche Europa. Und da sind die, die Muslime.“Davon halte ich gar nichts. Denn wenn Europa eine Wertegemeinschaft ist, dann auf dem Boden des Humanismus, der Aufklärung und der säkularen Gesellschaft. Mit der manche Muslime aber durchaus ihre Probleme haben. Dass die offene Gesellschaft auch von religiösen Fanatikern bedroht ist, das habe ich immer klar gesagt. Dagegen muss man sich wehren.
Sind Sie für ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen? Mir gefallen kleine Kinder mit Kopftüchern nicht. Und in Wien habe ich einem solchen Antrag auch zugestimmt. Aber ich bin auch Juristin und dem Rechtsstaat verpflichtet. Bis dato hat mir keiner eine Lösung auf den Tisch gelegt, die verfassungskonform wäre, die nur das Kopftuch betrifft. Wenn es eine solche gibt, dann kann man mit uns sicher reden. Denn eine säkulare Gesellschaftsordnung braucht auch religionsfreie Räume – gerade für kleine Kinder.
Sind Sie für Deutschlernklassen in den Schulen? Nein, so wie sie von der Regierung geplant sind, nicht. Denn da geht man an der Schulautonomie vorbei. Das ist ein Fehler. Denn es ist ein Unterschied, ob ein, zwei Kinder oder 80 Prozent in einer Klasse nicht ausreichend Deutsch können. Warum überlassen wir das verdammt noch mal nicht den Schulen, wie sie das organisieren? Man soll das nicht von oben diktieren. Und wo ist die indexbasierte Finanzierung für die Brennpunktschulen? Wenn es uns damit ernst ist, dass wir allen Kindern alle Chancen ermöglichen wollen – denn das Gegenteil wäre ein Verbrechen –, dann werden wir darum nicht herumkommen.
Beim Zwölf-Stunden-Tag haben die Neos das Gesetz der Regierung wortreich und scharf kritisiert – letztlich aber doch zugestimmt. Warum? Arbeitszeitflexibilisierung war uns immer ein Anliegen. Ein IT-Unternehmer hat mir erst unlängst wieder erzählt: Wenn da etwas mit dem IT-System passiert, dann können sich die Techniker und Programmierer nicht die Frage stellen, ob sie jetzt schon acht Stunden gearbeitet haben. Da hängen unter Umständen Menschenleben dran. Diese Leute stehen jetzt alle mit einem Fuß im Kriminal. Das Nächste ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Gerade da hilft Flexibilität, wenn man die Mög- lichkeit hat. Das habe ich selbst gesehen, dass da auch Arbeitszeiten gefälscht werden, damit man unter der Woche mit den Kindern einmal nach Schönbrunn gehen kann – und nicht am Wochenende, wenn alle gehen.
Wozu dann die harsche Kritik zuvor? Weil das Gesetz in der Qualität katastrophal war. Und weil der Prozess im Parlament eine Frechheit war. Aber wir konnten Verbesserungen bewirken. Die SPÖ und die Liste Pilz hätten auch nicht zugestimmt, wenn es handwerklich perfekt gewesen wäre. Da ist Kern auch ein totaler Populist – denn er hatte das ja selbst im Programm. Das ist auch nichts anderes als das Geschäft mit der Angst.
Wenn man der linken Opposition glauben darf, dann macht die Regierung Politik für die Wirtschaft, die Unternehmer, die Industrie – das ist auch die Klientel der Neos. Wozu braucht es die Neos dann eigentlich noch? Also ich sehe nicht, dass die Wirtschaft die Klientel der Neos ist. Ich habe immer gesagt: Wir haben keine Klientel. Das Einzige, wozu wir uns wirklich verpflichtet fühlen, ist nachhaltige Politik. Im Sinn der nächsten Generation. Und ja, da ist die Frage der Wettbewerbsfähigkeit eine ganz wesentliche. Wir brauchen Wohlstand für alle. Und da bedrohen die hohen Lohnnebenkosten den Standort nach wie vor massiv. Das ist von der Regierung noch nicht in dem Ausmaß angegangen worden, wie wir uns das wünschen. Und eine Pensionsreform ist leider kein Thema mehr. Wenn wir einen Pensionsautomatismus ins Leben brächten, würde das etwa fünf Milliarden Euro im Jahr bringen.
Was halten Sie davon, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen Ceta blockiert? So, wie er das macht, ist das sein Recht. Er verweigert ja nicht, er wartet das EUGH-Urteil ab. Aber es ist natürlich ein schmaler Grat zum Populismus.
Sie wechseln im Herbst in den Nationalrat. Bleiben Sie Parteichefin in Wien? Nein, ich werde übergeben. Weil es auch meinem Selbstverständnis entspricht, dass ich Menschen empowern möchte.
An Christoph Wiederkehr, der Ihnen jetzt schon als Klubchef im Gemeinderat nachgefolgt ist? Er ist ein möglicher Kandidat. Aber entschieden ist noch nichts.
Was wird aus Matthias Strolz? Bundespräsidentschaftskandidat? Fragen Sie ihn selbst. Alt genug wäre er ja.
Kroatien oder Frankreich? Schwierige Frage. Ich habe das England-Spiel in einer Gruppe Kroaten geschaut, und wiewohl ich zu England gehalten habe, habe ich mich von ihrer Freude anstecken lassen. Mein Favorit, Belgien, ist leider draußen. Also ich weiß nicht. Für Europa würde ich mir Frankreich wünschen.
Aber es gibt wahrscheinlich mehr kroatische Wähler in Österreich als französische. Für die Kroaten in Wien würde ich mich auch sehr freuen. Also: Ich ziehe da die Neutralitätskarte.