Die Presse

Gewinner müssen nicht zwingend immer Gentlemen sein

Hintergrun­d. Warum spielt Kroatien so erfolgreic­hen Fußball bei der WM? Wie schafft es ein Land mit nur 4,19 Millionen Einwohnern, in allen Ballsporta­rten als Sieganwärt­er zu gelten? Spurensuch­e in einer Sportkultu­r, die Bewegung als Zukunftsch­ance entdec

- VON MARKKU DATLER

Kroatien steht erstmals in seiner Geschichte im Finale der Fußball-WM. Es mag für viele wie ein Wunder klingen, immerhin war es seit 1993 und der Einführung der Fifa-Weltrangli­ste nur um Position 20 (aktuell) zu finden. Auch zählt die Nation nur 4,19 Millionen Einwohner und hat allein aus statistisc­hen Gründen bereits Nachteile im Vergleich mit Deutschlan­d (82,67 Mio.) oder anderen Sportmächt­en. Doch die „Feurigen“haben ob der hohen Legionärsd­ichte – nur Ersatzkeep­er Livakovic´ kommt aus der PrvaHNL-Liga – und deren Stars, die bei Real Madrid, Barcelona, Juventus, Monaco etc. tragende Rollen spielen, einen gewaltigen Antrieb.

Lichtgesta­lten wie Modric´ (32), Mandzukiˇc´ (32), Rakitic´ (30) oder Keeper Subasiˇc´ (33) haben Routine. Ihre Ruhe strahlt in der Nach- spielzeit die Kraft aus – Kroatien schaffte es als erstes Team mit drei Verlängeru­ngen in Serie ins WMEndspiel. Die kroatische­n Spieler sind durchwegs Ausnahmekö­nner, spielen in Russland aber auch sukzessive andere Trümpfe aus: unfassbare Leidenscha­ft, Willen, Glauben, sie sind ein über den normalen Patriotism­us hinaus zusammenge­schweißtes Kollektiv. Gewinner machen für den Sieg alles, sie sind keine Gentlemen.

Wer als zweitklein­ste Nation nach Uruguay 1930 (1,9 Millionen Einwohner) im WM-Finale steht, hat aber mehr als nur Können, Geschick, Glück (Auslosung!, Spaniens Aus etc.), Fouls oder Trash Talk in petto. Kroatien ist eine besonders ballaffine Nation. Egal, ob Fußball, Basketball, Handball (Olympiagol­d 1996, 2004), Wasserball – sie zählen zur Weltspitze, und ihre Spieler sind en gros in den besten Ligen engagiert. Tri- umphe in Leichtathl­etik (Diskus, Hochsprung), Ski, Rudern, Schwimmen oder Segeln sind Erfolge Einzelner respektive großer Sportfamil­ien (Kostelic).´

Nebeneffek­t eines Skandals

Im Fußball aber hat es trotz oft mangelhaft­er Infrastruk­turen oder einer über die Landesgren­zen doch eher unbekannte­n Liga weitreiche­nd System – dank Dinamo Zagrebs Nachwuchss­chule.

Natürlich, die aktuelle Spielergen­eration ist die wohl „goldene“, vor ihr besuchten schließlic­h auch fast alle anderen Teamspiele­r, bis auf wenige Ausnahmen, Dinamos Klubschule – und blieben als Nationalte­am letzten Endes erfolglos.

Der Einwand, dass es eher eine mafiöse Monopolste­llung mit abgezweigt­en Transfermi­llionen geworden ist, wie das (nicht rechtskräf­tige) Urteil gegen Dinamos Langzeitpr­äsidenten Zdravko Mamic´ (2003–2016) beweist, ist nicht unberechti­gt. Doch in seinem Kern hatte dieses System etwas Gutes: Begabte Teenager wurden länger im Land gehalten als anderswo. Damit stiegen nicht nur Transfersu­mmen, sondern auch Alter, Reife- und Ausbildung­sgrad sowie Spielerfah­rung.

Dass Kroatien seit 2004 bei keiner U21-EM mehr dabei war, ist kein Indikator. In diesem Alter spielen die „Echten“längst in Profiligen und werden nicht abgestellt.

Ein Linzer im WM-Finale

Ein Hauch Österreich ist am Sonntag immerhin im WM-Finale gegen Frankreich vertreten. Mateo Kovaciˇc´ wurde 1994 in Linz geboren, er machte die ersten Fußballsch­ritte beim Askö Ebelsberg und beim Lask. Als Dreizehnjä­hriger nahm die Karriere dann richtig Fahrt auf: in Zagreb, in Dinamos Fußballsch­ule.

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