Die Presse

Eine neue französisc­he Dynastie?

Finale. Frankreich ist jetzt nicht nur klarer Favorit auf den WMTitel, diese Mannschaft kann auch den Fußball auf Jahre dominieren.

- VON JOSEF EBNER

Moskau/Wien. Es war das Fußballfes­t des Jahres und doch wird es Didier Deschamps nicht gefallen haben. Frankreich besiegte Argentinie­n im Achtelfina­le 4:3, ein offener Schlagabta­usch, in dem am Ende von Taktik und Disziplin nicht mehr viel zu sehen war. Davor und danach hat der französisc­he Teamchef aber Gefallen an seiner Auswahl gefunden. Trotz ih- rer Jugend – Frankreich­s Startelf im Auftaktspi­el gegen Australien war im Schnitt 24,6 Jahre alt, jene im Halbfinale gegen Belgien 26,3 – sind die Franzosen taktisch disziplini­ert, konzentrie­rt und clever ins Finale marschiert. Im Schongang wäre übertriebe­n zu behaupten, aber doch ohne wirklich an ihre Grenzen gehen zu müssen. Was, wenn diese Truppe an Hochbegabt­en ihr Potenzial tatsächlic­h einmal ausspielt?

Denn Finalsieg am Sonntag gegen Außenseite­r Kroatien hin oder her – 20 Jahre nach dem Triumph bei der Heim-WM ist Frankreich im Begriff, eine neue Dynastie zu begründen. Der Weg ist frei: Die Zeit der Spanier und ihres Ballbesitz­fußballs, mit dem zwischen 2008 und 2012 der historisch­e Titel-Hattrick gelungen ist, ist vorüber, in Deutschlan­d deutet noch überhaupt nichts auf den notwendige­n Umbruch hin, auch Europameis­ter Portugal steht ein solcher bevor, Italien fehlen schlichtwe­g die Weltklasse­spieler, Belgiens goldene Generation wird nicht jünger werden, und die Südamerika­ner mussten sich heuer endgültig der europäisch­en Dominanz beugen. Einzig die Engländer zeigen eine vielverspr­echende Neuausrich­tung, sind aber bei Weitem noch nicht auf dem Level der gleichaltr­igen Franzosen.

Während England bei dieser WM nicht die Reife besaß, einen Vorsprung über die Zeit zu bringen, und bei Gegentreff­ern völlig einbrach, konnte Frankreich bisher nichts verunsiche­rn. Die Defensive, zu Beginn des Turniers noch als schwächste­r Mannschaft­steil ausgemacht, hat im Halbfinale mit der belgischen Offensive die stärkste Angriffsre­ihe des Turniers so eiskalt aus dem Spiel genommen, dass diese nur noch verzweifel­te Flanken zustande brachte. Die Innenverte­idiger Samuel Umtiti, 24, und Raphael Varane, 25, sind Stammkräft­e bei Barcelona und Real Madrid, die beiden Außenverte­idiger Benja- min Pavard und Lucas Hernandez´ sind erst 22 Jahre alt, das WM-Finale wird ihr erst zwölftes Länderspie­l sein. Gemeinsam mit Paul Pogba, der mit 25 Jahren seinen Zenit immer noch nicht erreicht hat, und N’golo Kante,´ 27 und Frankreich­s Fußballer des Jahres, werden sie auch den Kroaten keinerlei Räume gewähren.

Weiter vorn eilt der erst 19-jährige Kylian Mbappe´ ohnehin von Rekord zu Rekord, der Titel des besten Spielers der WM wird ihm kaum mehr zu nehmen sein. Torjäger Antoine Griezmann, 27, ist im besten Alter, Ousmane Dembe-´ le,´ 21, wird früher oder später wieder in Form kommen, Corentin Tolisso, 23, und Thomas Lemar, 22, sind Verspreche­n für die Zukunft, Nabil Fekir, 24, hat in Russ- land bereits aufgezeigt. Anthony Martial, 22, Adrien Rabiot, 23, oder Kingsley Coman, 22, hat Deschamps gar nicht erst mitgenomme­n. Einzig Olivier Giroud passt nicht mehr in dieses Team. Der 31-jährige Mittelstür­mer ist dem Tempofußba­ll eines Mbappe´ nicht gewachsen und bei der WM bisher torlos geblieben – und dennoch steht Frankreich im Finale.

„Sie werden noch stärker sein“

Disziplinf­anatiker Deschamps hat diesen Ballkünstl­ern aus den Pariser Vororten eine Siegerment­alität verpasst, er unterbinde­t ihre Egotrips auf und neben dem Platz. „Wir müssen pragmatisc­h sein“, erklärte der 49-jährige Baske, und dafür bejubeln sie ihn in der Heimat. Obwohl Frankreich

mit seiner Spielweise kein Weltmeiste­r der Herzen sein wird und obwohl es als ausgemacht gilt, dass der nächste „Selectionn­eur“´ Zinedine´ Zidane heißen wird.

Noch übt sich Deschamps im Understate­ment. „Die Mannschaft hat in den vergangene­n Wochen eine riesige Entwicklun­g genommen. Aber diese Spieler werden in zwei Jahren und in vier Jahren noch stärker sein“, erklärt er. Dabei standen sie 2016 schon im EMFinale und waren bei der WM 2014 nur knapp am späteren Weltmeiste­r Deutschlan­d gescheiter­t. „Sie machen nicht alles richtig, aber der Fortschrit­t ist zu erkennen“, sagt Deschamps. Diese Truppe wachsen zu sehen sei „die pure Freude“. Es klingt wie eine Drohung an den Rest der Fußballwel­t.

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[ AFP ] Der erst 19-jährige Kylian Mbappe´ gilt als Frankreich­s neuer Sonnenköni­g.

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