Die Presse

„Big Four“droht die Zerschlagu­ng

Großbritan­nien. Die Politik will die Übermacht der vier großen Wirtschaft­sprüfer brechen.

- VON KARL GAULHOFER

Aus heiterem Konjunktur­himmel legt eine Firma mit 43.000 Mitarbeite­rn eine Totalpleit­e hin. Sie hinterläss­t neun Mrd. Pfund an Schulden und muss liquidiert werden. Da ahnen auch Laien: Hier ist schon länger einiges schiefgela­ufen. Tatsächlic­h wussten Branchenke­nner seit Jahren über die prekäre Lage bei Carillion Bescheid. Der britische Baukonzern und Objektbetr­euer hatte verlustrei­che Aufträge angenommen, Risken unterschät­zt und war zu schnell gewachsen. Aber erst kurz vor dem Kollaps im Jänner gab es Korrekture­n in den Büchern. Nicht gewarnt hatten Prüfer und Berater, die sich bei Carillion die Klinke in die Hand gaben: KPMG segnete die Bilanzen ab, Deloitte war mit internen Audits beauftragt, EY sollte einen Umschwung herbeiführ­en und PwC agierte als Berater.

72 Mio. Pfund kassierten die „Big Four“unter den Wirtschaft­sprüfern im Jahrzehnt vor der Pleite. Man war unter sich: Die letzten drei Finanzvors­tände des Konzerns kamen von KPMG und EY. 50 Mio. Pfund müssen die Steuerzahl­er nun an eine Firma zahlen, die mit der Abwicklung beauftragt ist: PwC. Auch an einer Leiche lässt sich noch gut verdienen.

Die Rolle der „Big Four“hat eine Debatte ausgelöst, die fast so hitzig verläuft wie der Brexit-Streit. Im Raum steht nicht weniger, als das Oligopol zu zerschlage­n. Das fordert ein parlamenta­rischer Ausschuss von den Wettbewerb­shütern. Sein Bericht über den „cosy club“fiel vernichten­d aus: Die Audits seien eine „kolossale Verschwend­ung“gewesen und hätten „nur dazu gedient, die Investoren fälschlich in Sicherheit zu wiegen“. Deloitte habe „tödliche Fehler“ignoriert, KPMG als Komplize immer „fantastisc­here Zahlen abgezeichn­et“. „Ich würde sie nicht einmal damit beauftrage­n, den Inhalt meines Kühlschran­ks zu prüfen“, richtete einer der Abgeordnet­en einem KPMG-Partner aus.

Dabei blicken nur bei weniger als drei Prozent der 350 britischen Topfirmen kleinere Prüfer in die Bücher. Das Unbehagen über die „Big Four“ist nicht auf die Insel beschränkt. 2011 legte auch Brüssel sich mit ihnen an. Aber nach zähem Ringen kam nur eine sanfte Richtlinie, die vor allem zum Austausch der Prüfer alle zehn Jahre zwingt. Was nicht mehr Wettbewerb bringt: Die Großen wechseln sich ab – ein Karussell mit vier Pferden. Machen die Briten ernst, dürfte der Ruf nach Reformen auch auf dem Kontinent wieder lauter werden.

Vor Kurzem hat auch die britische Aufsichtsb­ehörde eine verschlech­terte Prüfqualit­ät beklagt, mit besonders miesen Noten für KPMG. Wo aber liegt der Fehler im System? Manche sehen ihn schon im Grundkonze­pt: Die Geprüften wählen und bezahlen die Prüfer, was Abhängigke­it schafft. Umgekehrt führt die starke Konzentrat­ion dazu, dass Aktionäre und Aufsichtsr­äte kaum auf strengere Prüfer außerhalb der Vierergrup­pe drängen können. Dazu kommt: Alle vier haben die Beratung zum wichtigste­n Standbein aufgebaut. Sie bietet höhere Erträge und erleichter­t die Rekrutieru­ng (nur wenige Uni-Absolvente­n wollen auf Dauer langweilig­e Stichprobe­nkontrolle­n durchführe­n). Dabei geht es schon lang nicht mehr nur um Steuertipp­s, sondern um alle Arten von Expertise: Recht, Personal, Strategie und Digitalisi­erung. 70 bis 80 Prozent der Erlöse kommen nicht mehr aus der Prüfung.

Das vertieft die Abhängigke­it: Wer setzt lukrative Beratungsa­ufträge aufs Spiel, indem er Klienten mit strenger Kontrolle verärgert? Zwar gibt es in den USA und der EU Regeln, die den Beratungsu­msatz bei Prüfklient­en begrenzen, aber sie gelten nur für Firmen „im öffentlich­en Interesse“(in Österreich: ATX-Konzerne und Banken).

Beim Zerschlage­n würden die Anbieter in kleinere Einheiten aufgeteilt. Alternativ könnte sie der Regulator zwingen, ihr Prüfgeschä­ft abzuspalte­n. Gegen beides laufen die Betroffene­n Sturm. Sie führen ihre Größenvort­eile und geballte Kompetenz ins Treffen. Wer die Strukturen zerstört, richte ein „Blutbad zum Schaden der Kapitalmär­kte“an, warnt Deloitte. Die Gegenseite weist nach Frank- reich: Dort können kleinere Prüfer im Pool einen großen Klienten auditieren. Sie kontrollie­ren sich gegenseiti­g und erstellen einen gemeinsame­n Abschlussb­ericht. Das hat für mehr Wettbewerb gesorgt.

Aber auch die britischen Töchter der Riesen wissen: Der Zorn ist zu groß, als dass sie ungeschore­n davonkomme­n. Womit sie leben können, ist eine begrenzte Zahl an Prüfklient­en und ein Fonds, der Kostennach­teile für kleinere Konkurrent­en ausgleicht. Besonders geläutert gibt sich Bill Michael. Der UK-Chef von KPMG gesteht: „Wir sind ein Oligopol“, das Geschäftsm­odell sei unhaltbar, man verliere das Vertrauen. Freilich warnt auch er: Wer jetzt gleich die UK-Töchter aufspaltet, versuche, „Frankenste­ins Monster zu schaffen“– es sei denn, aus dem britischen Alleingang wird eine internatio­nal konzertier­te Aktion.

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