„Big Four“droht die Zerschlagung
Großbritannien. Die Politik will die Übermacht der vier großen Wirtschaftsprüfer brechen.
Aus heiterem Konjunkturhimmel legt eine Firma mit 43.000 Mitarbeitern eine Totalpleite hin. Sie hinterlässt neun Mrd. Pfund an Schulden und muss liquidiert werden. Da ahnen auch Laien: Hier ist schon länger einiges schiefgelaufen. Tatsächlich wussten Branchenkenner seit Jahren über die prekäre Lage bei Carillion Bescheid. Der britische Baukonzern und Objektbetreuer hatte verlustreiche Aufträge angenommen, Risken unterschätzt und war zu schnell gewachsen. Aber erst kurz vor dem Kollaps im Jänner gab es Korrekturen in den Büchern. Nicht gewarnt hatten Prüfer und Berater, die sich bei Carillion die Klinke in die Hand gaben: KPMG segnete die Bilanzen ab, Deloitte war mit internen Audits beauftragt, EY sollte einen Umschwung herbeiführen und PwC agierte als Berater.
72 Mio. Pfund kassierten die „Big Four“unter den Wirtschaftsprüfern im Jahrzehnt vor der Pleite. Man war unter sich: Die letzten drei Finanzvorstände des Konzerns kamen von KPMG und EY. 50 Mio. Pfund müssen die Steuerzahler nun an eine Firma zahlen, die mit der Abwicklung beauftragt ist: PwC. Auch an einer Leiche lässt sich noch gut verdienen.
Die Rolle der „Big Four“hat eine Debatte ausgelöst, die fast so hitzig verläuft wie der Brexit-Streit. Im Raum steht nicht weniger, als das Oligopol zu zerschlagen. Das fordert ein parlamentarischer Ausschuss von den Wettbewerbshütern. Sein Bericht über den „cosy club“fiel vernichtend aus: Die Audits seien eine „kolossale Verschwendung“gewesen und hätten „nur dazu gedient, die Investoren fälschlich in Sicherheit zu wiegen“. Deloitte habe „tödliche Fehler“ignoriert, KPMG als Komplize immer „fantastischere Zahlen abgezeichnet“. „Ich würde sie nicht einmal damit beauftragen, den Inhalt meines Kühlschranks zu prüfen“, richtete einer der Abgeordneten einem KPMG-Partner aus.
Dabei blicken nur bei weniger als drei Prozent der 350 britischen Topfirmen kleinere Prüfer in die Bücher. Das Unbehagen über die „Big Four“ist nicht auf die Insel beschränkt. 2011 legte auch Brüssel sich mit ihnen an. Aber nach zähem Ringen kam nur eine sanfte Richtlinie, die vor allem zum Austausch der Prüfer alle zehn Jahre zwingt. Was nicht mehr Wettbewerb bringt: Die Großen wechseln sich ab – ein Karussell mit vier Pferden. Machen die Briten ernst, dürfte der Ruf nach Reformen auch auf dem Kontinent wieder lauter werden.
Vor Kurzem hat auch die britische Aufsichtsbehörde eine verschlechterte Prüfqualität beklagt, mit besonders miesen Noten für KPMG. Wo aber liegt der Fehler im System? Manche sehen ihn schon im Grundkonzept: Die Geprüften wählen und bezahlen die Prüfer, was Abhängigkeit schafft. Umgekehrt führt die starke Konzentration dazu, dass Aktionäre und Aufsichtsräte kaum auf strengere Prüfer außerhalb der Vierergruppe drängen können. Dazu kommt: Alle vier haben die Beratung zum wichtigsten Standbein aufgebaut. Sie bietet höhere Erträge und erleichtert die Rekrutierung (nur wenige Uni-Absolventen wollen auf Dauer langweilige Stichprobenkontrollen durchführen). Dabei geht es schon lang nicht mehr nur um Steuertipps, sondern um alle Arten von Expertise: Recht, Personal, Strategie und Digitalisierung. 70 bis 80 Prozent der Erlöse kommen nicht mehr aus der Prüfung.
Das vertieft die Abhängigkeit: Wer setzt lukrative Beratungsaufträge aufs Spiel, indem er Klienten mit strenger Kontrolle verärgert? Zwar gibt es in den USA und der EU Regeln, die den Beratungsumsatz bei Prüfklienten begrenzen, aber sie gelten nur für Firmen „im öffentlichen Interesse“(in Österreich: ATX-Konzerne und Banken).
Beim Zerschlagen würden die Anbieter in kleinere Einheiten aufgeteilt. Alternativ könnte sie der Regulator zwingen, ihr Prüfgeschäft abzuspalten. Gegen beides laufen die Betroffenen Sturm. Sie führen ihre Größenvorteile und geballte Kompetenz ins Treffen. Wer die Strukturen zerstört, richte ein „Blutbad zum Schaden der Kapitalmärkte“an, warnt Deloitte. Die Gegenseite weist nach Frank- reich: Dort können kleinere Prüfer im Pool einen großen Klienten auditieren. Sie kontrollieren sich gegenseitig und erstellen einen gemeinsamen Abschlussbericht. Das hat für mehr Wettbewerb gesorgt.
Aber auch die britischen Töchter der Riesen wissen: Der Zorn ist zu groß, als dass sie ungeschoren davonkommen. Womit sie leben können, ist eine begrenzte Zahl an Prüfklienten und ein Fonds, der Kostennachteile für kleinere Konkurrenten ausgleicht. Besonders geläutert gibt sich Bill Michael. Der UK-Chef von KPMG gesteht: „Wir sind ein Oligopol“, das Geschäftsmodell sei unhaltbar, man verliere das Vertrauen. Freilich warnt auch er: Wer jetzt gleich die UK-Töchter aufspaltet, versuche, „Frankensteins Monster zu schaffen“– es sei denn, aus dem britischen Alleingang wird eine international konzertierte Aktion.