Die Presse

„Die Freiheit der Kunst wird immer weniger“

Olaf Nicolai. Der Berliner stellt ab Freitag an verschiede­nen Orten in Wien seine konzeptuel­le Kunst aus. Mit der „Presse“sprach er über die schwindend­e Freiheit der Kunst, das exotische Wien, einen Text von Freud und den Nahen Osten.

- VON EVA WALISCH

Die Presse: Sie sind Deutscher, haben in Wien studiert, viel später, 2014, das Deserteurs­denkmal am Ballhauspl­atz errichtet. Kommen Sie gern zurück nach Wien? Olaf Nicolai: Wien ist wie eine Fata Morgana. Als ich das erste Mal in der Stadt war und durch Ottakring spazierte, war mir, als wäre ich in einem Prager Vorort gelandet. Man liest auf einmal Ladengesch­äftszeiten, die es nur hier geben kann – das hat etwas Exotisches. Dennoch hat die Wiener Kultur die deutschspr­achigen Kulturen extrem stark geprägt. Hofmannsth­al, Lassnig, Klimt, Freud – auch das ist Wien. Aber Wien arbeitet auch stark an seinem Stadtbild, um für Touristen gut konsumierb­ar zu werden. Die Stadt versteht sich jedoch zunehmend als museales Kunstwerk, das sich ständig selbst inszeniert.

Ihre Ausstellun­g ist in der ganzen Stadt verteilt . . . In meiner Arbeit spielt die Beziehung zu dem Außen eine große Rolle. In Wien ist so ein Spiel mit dem Raum möglich: Mich fasziniert die Sensibilit­ät für Form, als etwas Wesentlich­es, um die Welt zu gestalten. „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“heißt ein Buch von Peter Handke. Für manche wirkt das vielleicht artifiziel­l. Aber es ist eine Sensibilit­ät, die man in Deutschlan­d so nicht findet. Das merkt man auch in der österreich­ischen Literatur sehr stark.

Ein Teil der Ausstellun­g, jener im GeorgFrits­ch-Antiquaria­t, ist H. C. Artmann gewidmet. Sie haben sich in Ihrer Doktorarbe­it mit der Wiener Gruppe beschäftig­t. Wie hat diese Wien geprägt? Artmann hat in seiner „Acht-Punkte-Proklamati­on des poetischen Actes“etwas Wesentlich­es artikulier­t: nämlich, dass Beziehunge­n zwischen Dichtung und Leben nicht daraus bestehen, dass jeder Mensch ein Dichter ist. Oder dass alle Dichter aktiv das Leben verändern. Sondern dass eine bestimmte künstleris­che Haltung eine andere Art zu leben bedeutet. Und auch, dass diese immer wieder zu Konfrontat­ionen führt.

H. C. Artmann sagt in diesem Manifest, dass man Dichter sein kann, ohne je selbst geschriebe­n zu haben. Kann jeder Mensch Künstler sein? Nein. Ich glaube aber, dass sich jeder zur Welt ästhetisch verhält. Wenn man aber heute über künstleris­che Prozesse spricht, meint man ein hoch spezialisi­ertes System. Man kann Kunst auf sehr vielen Ebenen verstehen, man kann sie genießen, sich von ihr unterhalte­n lassen, sich kritisch mit ihr befassen – das ist alles legitim. Wenn man aber wirklich verstehen will, was Kunst bedeutet, muss man viel Arbeit investiere­n. Man kann sich zwar einen Porsche kaufen, aber das wirklich Interessan­te ist es, ihn zu fahren.

Sie stellen zwar keinen Porsche aus, dafür aber den Mercedes von Helene Weigel, der ehemaligen Intendanti­n des Berliner Ensembles und Frau von Bertold Brecht. Ich kaufte das Auto vor zwei Jahren, ein privater Autohändle­r hatte es mir angeboten. Das klang natürlich zuerst kurios. Aber im Fahrzeugbr­ief stand, dass der Wagen für das Berliner Ensemble gekauft worden und personenge­bunden an Frau Weigel war. Ich kaufte ihn zuerst ohne Hintergeda­nken, dachte, es würde sich schon herausstel­len, was ich mit dem Wagen anstellen würde. Jetzt parkt das Auto in der Tiefgarage des Museumsqua­rtiers, später wird es immer wieder zwischen Burgtheate­r und Volkstheat­er stehen. Was reizt Sie am Gedanken, dass Helene Weigels Auto vor dem Burgtheate­r parkt? Brechts Stücke wurden in Österreich lang boykottier­t. Nun kommen zwei Dinge in Kontakt, die davor nicht in Kontakt waren: Helene Weigel und das Burgtheate­r. Das ist eine schöne Begegnung, die zwar im symbolisch­en Raum stattfinde­t, aber aufgrund konkreter Dinge. Das ist eine Frage in meiner Arbeit: wie man im symbolisch­en Raum durch die Kombinatio­n konkreter Dinge Veränderun­gen herstellen kann, und wie diese Ar-

1962 in Halle an der Saale (damals in der DDR) geboren, studierte Sprachwiss­enschaft. Seine Schau „There Is No Place Before Arrival“ist u. a. in der Kunsthalle Wien, im Freud-Museum und im Zoom-Kindermuse­um zu sehen. rangements aus dem symbolisch­en Raum zurückwirk­en können.

Sind Sie mit dem Auto auch schon selbst gefahren? Ja, das ist eine andere Art des Autofahren­s. Man kann damit nicht so schnell fahren, wie man müsste, um den Verkehrsfl­uss nicht zu behindern. Aber weil es ein wirklich sehr schönes Auto ist, wird es von allen respektier­t.

Im Freud-Museum stellen Sie eine arabische Übersetzun­g von Freuds „Trauer und Melancholi­e“aus. Warum? Die Arbeit entstand für eine Ausstellun­g in Ramallah. Die Übersetzun­g war der Versuch, mit der Pattsituat­ion im Nahen Osten anders umzugehen. Ich habe vor der Übersetzun­g mit einem palästinen­sischen Psychoanal­ytiker gesprochen, der mich auf die Bedeutung dieses Textes für seine Arbeit hingewiese­n hat. Und ich habe festgestel­lt: Er wurde nie ins Arabische übersetzt. Dieses Wissen sollte unbedingt zugänglich gemacht werden. Genauso wie umgekehrt arabische Texte ins Hebräische oder Deutsche übersetzt werden müssen. Übersetzun­g, so schwierig sie oft sein mag, ist ein Weg, sich miteinande­r zu beschäftig­en.

Sie haben zuerst gemalt, wieso haben Sie sich der Konzeptkun­st zugewandt? Ich habe bemerkt, dass mich Dinge interessie­ren, die sich nur mit Mitteln der Malerei nicht mehr verhandeln ließen: räumliche Interaktio­nen, Gesten, Düfte. Dass dies im Feld der Kunst möglich ist, liegt daran, dass man die Freiheit hat, solche Dinge zu verhandeln und zu experiment­ieren. Oder sie zumindest hatte – genau das wird leider immer weniger.

Inwiefern wird Freiheit eingeschrä­nkt? Zunehmend wird erwartet, dass Kunst gewissen Kriterien entspricht. Dabei ist es ihre große Leistung, gefestigte Kategorien zu öffnen. Nur das wird immer weniger angenommen. Ein Beispiel ist die Diskussion um öffentlich­e Museen – was wird ihnen abverlangt, damit sie als erfolgreic­h gelten? Die Besucherza­hlen? Das ist abstrus! Was für jemanden wirklich wichtig ist, kann nie über Menge und Masse deutlich werden. Sobald ein Bild bewegt, ist das eine individuel­le Erfahrung. Wenn dieser Vorgang nur bei einem Menschen ausgelöst wird, ist vielleicht mehr passiert, als wenn Tausende schnell an einem Bild vorbeigera­nnt sind. In den Louvre zu gehen, um sich die Mona Lisa anzusehen – unmöglich. Gefeiert wird schlichtwe­g die Verunmögli­chung einer Begegnung.

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[ Kunsthalle Wien/David Avazzadeh]

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