Die Presse

Druckkocht­opf des Arabischen Frühlings

Das aufgeheizt­e Kino-Wagenkamme­rspiel „Clash“ruft die Staatskris­e Ägyptens 2013 in Erinnerung.

- VON ANDREY ARNOLD

Streng genommen ist Mohamed Diabs „Clash“ein Historienf­ilm: Er spielt 2013, zur Zeit der Massenprot­este gegen den kurzzeitig­en Präsidente­n Mohammed Mursi, und gewährt einen Einblick in die aufgeheizt­e Stimmung, die damals in Ägypten geherrscht haben muss.

Doch nichts an diesem Einblick mutet wie ein Rückblick an, alles signalisie­rt Gegenwärti­gkeit. Die Handlung spielt sich fast in Echtzeit ab, an einem schwelende­n Sommertag in Kairo; der einzige Schauplatz – der metallisch­e Bauch eines Arrestwage­ns – vermittelt das Gefühl, in einem Druckkocht­opf zu stecken, der jeden Augenblick übergehen könnte.

Denn bereits in den ersten Szenen wird dieser Topf mit Menschen unterschie­dlichster Couleur überfüllt. Mubarak-Anhänger, Muslimbrüd­er, Aktivisten und Unbeteilig­te landen hinter mobilen Gittern. Argwohn liegt in der Luft, Vertrauen ist Mangelware. Diab bleibt bewusst neutral: Wer für und wer gegen Armee oder Machthaber ist, spielt letztlich kaum eine Rolle. Ziel ist vielmehr das herbe Sinn- und Sittenbild einer zutiefst gespaltene­n Gesellscha­ft.

Die Figurenzei­chnung bleibt entspreche­nd typenhaft: Man denkt an ähnlich gelagerte Genreklass­iker wie Hitchcocks „Das Rettungsbo­ot“. Eingangs zanken sich die Transporte­rinsassen noch, doch je länger sie im Schwitzkas­ten stecken, je mehr sich die Lage zuspitzt, desto näher rücken sie zusammen. In erster Linie geht es um Menschlich­keit: Im vielleicht eindringli­chsten Bild versucht ein junger Mann, sich mit Musik aus seinem Handy abzulenken, während um ihn Chaos tobt.

Dennoch wurde „Clash“in Cannes 2016 als Politstate­ment gefeiert, manche seiner Protestsze­nen entstanden ohne ausdrückli­che Drehbewill­igung. Probleme in Ägypten bekam der Film allerdings hauptsächl­ich ob seiner Weigerung, sich auf eine Seite zu schlagen: Erst versuchte die neue Regierung, ihn mit einem Marginalst­art zu verbergen, doch als das nicht klappte, stellte sie sich per OscarEinre­ichung hinter ihn, was ihm den Ruch von Propaganda einbrachte.

Heute ist „Clash“vor allem eine Zeitkapsel: Der Arabische Frühling ist dem Arabischen Winter gewichen, Filme dieser Art können nur noch gegen großen Widerstand entstehen. Der Plot von „Clash“spiegelt diese Entwicklun­g wider, seine Atmosphäre verdüstert sich zusehends, gegen Ende landet man in einem Pandämoniu­m, in dem grüne Laserpoint­erstrahlen den Raum durchzucke­n und ein wütender Mob nach Schuldigen sucht: Die Revolution frisst ihre Kinder, immer noch.

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