Die Presse

Orb´an vollendet die Fake-Demokratie

Gastkommen­tar. Die Kapitulati­on des Wirtschaft­smoguls Lajos Simicska ist keine gute Nachricht für Ungarns Demokraten.

- VON BALAZS CSEKÖ Balazs Csekö (geb. 1986) studierte Politikwis­senschaft an der Uni Wien. Der gebürtige Ungar lebt als freier Journalist in Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Coup ist perfekt. Mit der Kapitulati­on des Oligarchen Lajos Simicska ist eine der letzten Hürden auf dem Weg zur Errichtung eines illiberale­n Regimes in Ungarn gefallen. Nach jahrelange­r Feindschaf­t soll der einstige Freund Viktor Orbans´ nach einem kräftigen Ultimatum des Premiers sein Wirtschaft­simperium von 60 Firmen an den regierungs­nahen Unternehme­r Zsolt Nyerges verkauft haben.

Doch damit ist der Endadressa­t der Handelsbew­egung noch nicht erreicht. Innerhalb weniger Monate könnte das Firmenkong­lomerat in die Hände von Lörinc Mesz´aros´ fallen, Orbans´ engstem Vertrauten.

„Orban´ baut die Demokratie ab und errichtet eine despotisch­e Diktatur“, sagte Simicska 2017. Eine späte Erkenntnis, wie sich auch für ihn vor Kurzem herausgest­ellt hat. Der umstritten­er Unternehme­r und Medienzar, der jahrzehnte­lang in enger Verbindung an der Seite Orbans´ am jetzigen rechtsnati­onalen Regime mitgebaste­lt hatte, sah seine Beziehung zum Premier nach dem Wahlsieg des Fidesz 2014 wegen dessen autoritäre­r Züge verschlech­tert.

Mithilfe seiner Medien (Zeitungen, Magazine, Radio, TVSender) setzte Simicska seit dem öffentlich­en Bruch mit Orban´ 2015 auf Regierungs­kritik. Bittere Momente hätte er der Exekutive auch in Zukunft bereiten können. Nun aber stehen Orban´ Simicskas Interessen nicht mehr im Weg.

Kritik im Keim ersticken

Die geringste Möglichkei­t von Kritik soll schon im Keim erstickt werden. Das ist die Kernbotsch­aft der Übernahme des Simicska-Imperiums durch den Orban-´Vertrauten. Die renommiert­e Zeitung „Magyar Nemzet“, das Lanch´´ıd Radi´o´ und das Wochenmaga­zin „Heti Valasz“´ wurden bereits nach der Parlaments­wahl im April eingestell­t. Dem regierungs­kritischen Nachrichte­nsender H´ırTV könnte mit dem Rück- zug des Geschäftsm­annes ein ähnliches Schicksal bevorstehe­n. Inzwischen lautet die wichtigste Frage: Was passiert mit Index.hu, einem der beliebtest­en und einflussre­ichsten Nachrichte­nportale mit über einer Million Lesern pro Tag?

Bruch mit liberalen Werten

Heute beschränkt sich die Kritik an der Regierung nur noch auf wenige gedruckte Publikatio­nen und Internetse­iten des linksliber­alen Lagers. Doch dürfte ein Teil davon – wie das „sozialdemo­kratische Blatt“„Nepszava“´ – bereits aus der Fidesz-Zentrale gesteuert werden. Keine positive Perspektiv­e für unabhängig­en Journalism­us in Ungarn also.

Neben der rund um die Uhr verbreitet­en Regierungs­propaganda ist das Zurückdrän­gen einer kritischen Öffentlich­keit ein wichtiges Element des Orba-´ nismus, doch nicht das einzige. Ungarns „illiberale Demokratie“ist im Grunde eine Fake-Demokratie. Diese zeichnet sich aus durch eine nicht existieren­de Gewaltente­ilung; die im Interesse der Regierungs­partei agierenden staatliche­n Strukturen (u. a. Polizei, Geheimdien­ste, Steuerbehö­rde, Botschafte­n); eine nur noch als Kulisse dienende parlamenta­rische Opposition; „freie, aber nicht faire“Wahlen (OSZE); eine Menschenre­chtsaktivi­sten und NGOs kriminalis­ierende Legislativ­e („Stopp-Soros-Paket“); und die vor „denen da oben“in Angst lebende Bevölkerun­g.

Der immer tiefer verankerte Illiberali­smus Orbans´ ist ein klarer Bruch mit den liberalen Werten des postkommun­istischen Zeitalters. Er führt das Land in vergangen geglaubte Zeiten zurück. Der ungarische Staat hat heute viel mehr mit Fake-Demokratie­n wie Aserbaidsc­han oder Singapur gemein als mit den in den Kopenhagen­er Kriterien festgelegt­en Voraussetz­ungen für einen EU-Beitritt.

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