Kroatien: Siege als Balsam auf die Wunden des jüngsten EU-Mitglieds
Kroatien. 27 Jahre nach der Staatsgründung zeigt sich die Bevölkerung von der politischen Szene enttäuscht.
Zagreb. Die Hoffnung auf das Happy End im Fußballmärchen lässt selbst Kroatiens Berufskritiker alle Probleme des Landes vergessen. „Der Triumph bringt den Optimismus zurück“, titelt am Freitag freudig die Zeitung „Jutarnji List“. Vom Finalfieber zeigen sich auch die Politiker infiziert. Zur letzten Kabinettsitzung trat die Ministerriege in rot-weiß gewürfelter Fan-Kluft an. Und der konservative Premier Andrej Plenkovic´ versprach den Bau eines modernen Fußballstadions: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Leicht gestiegene Umfragewerte
Tatsächlich ist der Fußball Balsam für die Wunden. Die WM-Euphorie hat selbst der Regierung leicht gestiegene Umfragewerte beschert. Doch obwohl der Anteil derjenigen, die glauben, dass sich das Land in die falsche Richtung entwickle, dank der WM von 75 auf 70 Prozent geschrumpft ist, kann von Zufriedenheit keinerlei Rede sein: 27 Jahre nach Staatsgründung scheint das Land in eine Krise gerutscht zu sein. Seit Monaten führt bei Umfragen der am häufigsten ge- nannte „Niemand“mit Abstand die Liste der beliebtesten Politiker des Adriastaats an.
Seit einem Jahr kämpft sich Premier Plenkovic´ seit dem Bruch der Koalition seiner HDZ mit der Protestpartei Most mit einer hauchdünnen Mehrheit durch. Das wenig harmonische Verhältnis mit Staatschefin Kolinda Grabar-Kitarovic´ ist mit Dauerspannungen in seiner eigenen Partei gepaart: den rechten Flügel seiner HDZ hat er nur bedingt im Griff. Zu seinem Glück sind die oppositionellen Sozialdemokraten (SDP) unter ihrem Chef Davor Bernadic´ in einem noch desolateren Zustand. Zu einem Machtwechsel an den Urnen scheint die in der Popularität gefallene SDP kaum mehr in der Lage. Stattdessen scheint ihr nach den nächsten Wahlen die Rolle als Juniorpartner der HDZ vorherbestimmt.
Die „verbliebenen Reste der SDP“würden nach den nächsten Wahlen der HDZ in einer großen Koalition dabei helfen, „mit vereinten Kräften Kroatien zu berauben“, unkt bitter der Kommentator der Zeitung „24 sata“, der in Zagreb „keinerlei Willen zu Reformen“erkennen kann: „Wir werden weiter eine massive Versorgung der Parteikader im öffentlichen Dienst erleben – und den Exodus der kreativsten Leute.“
Seit der Zuerkennung der vollen Freizügigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt 2015 steigt die Zahl der Auswanderer an. Vor allem im strukturschwachen Ostslawonien packen Zehntausende die Koffer. 1998 lag die Bevölkerungszahl bei 4,5 Millionen. Seither ist sie auf 4,1 Millionen geschrumpft und könnte angesichts rückläufiger Geburtenraten sogar weiter auf unter vier Millionen Einwohner sinken.
Arbeitslosigkeit ist gesunken
Wirtschaftlich ist Kroatien seit 2015 wieder auf dem Wachstumspfad. Von einer wahren Aufholjagd kann aber trotz eines Wachstums von 2,8 Prozent noch keine Rede sein.
Die Arbeitslosigkeit ist in den ersten fünf EU-Jahren von 17,4 auf einen Wert von 11,5 im Jahr 2017 stark zurückgegangen. Im Jänner 2018 sank sie dann weiter auf 9,8 Prozent. Doch auch das geht mit auf das Konto der verstärkten Emigration. Der Erfolg im Fußball lässt nun auch auf einen Neuaufbruch hoffen. „Die Siege der Feurigen müssen die Wegweiser für die Änderung der Gesellschaft sein“, fordert etwa die Kommentatorin der Zagreber Zeitung „Vecernjiˇ List“. Sie macht einen „mobilisierenden Moment“nach „Jahren der Lethargie“aus.
„Probleme werden uns nicht verlassen“
Nüchtern spricht das Webportal „index.hr“hingegen von einer „befristeten Injektion von Optimismus“: „Unsere Probleme werden uns nicht verlassen.“
Beginn der Nationalhymne: Lijepa naša domovino, Oj junacka zemljo mila, Stare slave djedovino, Da bi vazda sretna bila! Unsere schöne Heimat, Oh, heldenhaftes liebes Land, Alten Ruhmes Vätererbe, Ewig sollst du glücklich sein!