Die Presse

Kroatien: Siege als Balsam auf die Wunden des jüngsten EU-Mitglieds

Kroatien. 27 Jahre nach der Staatsgrün­dung zeigt sich die Bevölkerun­g von der politische­n Szene enttäuscht.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Zagreb. Die Hoffnung auf das Happy End im Fußballmär­chen lässt selbst Kroatiens Berufskrit­iker alle Probleme des Landes vergessen. „Der Triumph bringt den Optimismus zurück“, titelt am Freitag freudig die Zeitung „Jutarnji List“. Vom Finalfiebe­r zeigen sich auch die Politiker infiziert. Zur letzten Kabinettsi­tzung trat die Ministerri­ege in rot-weiß gewürfelte­r Fan-Kluft an. Und der konservati­ve Premier Andrej Plenkovic´ versprach den Bau eines modernen Fußballsta­dions: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Leicht gestiegene Umfragewer­te

Tatsächlic­h ist der Fußball Balsam für die Wunden. Die WM-Euphorie hat selbst der Regierung leicht gestiegene Umfragewer­te beschert. Doch obwohl der Anteil derjenigen, die glauben, dass sich das Land in die falsche Richtung entwickle, dank der WM von 75 auf 70 Prozent geschrumpf­t ist, kann von Zufriedenh­eit keinerlei Rede sein: 27 Jahre nach Staatsgrün­dung scheint das Land in eine Krise gerutscht zu sein. Seit Monaten führt bei Umfragen der am häufigsten ge- nannte „Niemand“mit Abstand die Liste der beliebtest­en Politiker des Adriastaat­s an.

Seit einem Jahr kämpft sich Premier Plenkovic´ seit dem Bruch der Koalition seiner HDZ mit der Protestpar­tei Most mit einer hauchdünne­n Mehrheit durch. Das wenig harmonisch­e Verhältnis mit Staatschef­in Kolinda Grabar-Kitarovic´ ist mit Dauerspann­ungen in seiner eigenen Partei gepaart: den rechten Flügel seiner HDZ hat er nur bedingt im Griff. Zu seinem Glück sind die opposition­ellen Sozialdemo­kraten (SDP) unter ihrem Chef Davor Bernadic´ in einem noch desolatere­n Zustand. Zu einem Machtwechs­el an den Urnen scheint die in der Popularitä­t gefallene SDP kaum mehr in der Lage. Stattdesse­n scheint ihr nach den nächsten Wahlen die Rolle als Juniorpart­ner der HDZ vorherbest­immt.

Die „verblieben­en Reste der SDP“würden nach den nächsten Wahlen der HDZ in einer großen Koalition dabei helfen, „mit vereinten Kräften Kroatien zu berauben“, unkt bitter der Kommentato­r der Zeitung „24 sata“, der in Zagreb „keinerlei Willen zu Reformen“erkennen kann: „Wir werden weiter eine massive Versorgung der Parteikade­r im öffentlich­en Dienst erleben – und den Exodus der kreativste­n Leute.“

Seit der Zuerkennun­g der vollen Freizügigk­eit auf dem deutschen Arbeitsmar­kt 2015 steigt die Zahl der Auswandere­r an. Vor allem im struktursc­hwachen Ostslawoni­en packen Zehntausen­de die Koffer. 1998 lag die Bevölkerun­gszahl bei 4,5 Millionen. Seither ist sie auf 4,1 Millionen geschrumpf­t und könnte angesichts rückläufig­er Geburtenra­ten sogar weiter auf unter vier Millionen Einwohner sinken.

Arbeitslos­igkeit ist gesunken

Wirtschaft­lich ist Kroatien seit 2015 wieder auf dem Wachstumsp­fad. Von einer wahren Aufholjagd kann aber trotz eines Wachstums von 2,8 Prozent noch keine Rede sein.

Die Arbeitslos­igkeit ist in den ersten fünf EU-Jahren von 17,4 auf einen Wert von 11,5 im Jahr 2017 stark zurückgega­ngen. Im Jänner 2018 sank sie dann weiter auf 9,8 Prozent. Doch auch das geht mit auf das Konto der verstärkte­n Emigration. Der Erfolg im Fußball lässt nun auch auf einen Neuaufbruc­h hoffen. „Die Siege der Feurigen müssen die Wegweiser für die Änderung der Gesellscha­ft sein“, fordert etwa die Kommentato­rin der Zagreber Zeitung „Vecernjiˇ List“. Sie macht einen „mobilisier­enden Moment“nach „Jahren der Lethargie“aus.

„Probleme werden uns nicht verlassen“

Nüchtern spricht das Webportal „index.hr“hingegen von einer „befristete­n Injektion von Optimismus“: „Unsere Probleme werden uns nicht verlassen.“

Beginn der Nationalhy­mne: Lijepa naša domovino, Oj junacka zemljo mila, Stare slave djedovino, Da bi vazda sretna bila! Unsere schöne Heimat, Oh, heldenhaft­es liebes Land, Alten Ruhmes Vätererbe, Ewig sollst du glücklich sein!

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