Die Presse

Der Berg, der Manager und das Mädchen

Großartige­r Debütroman „Alles was glänzt“erzählt von einer angeschlag­enen Kleinstadt und ihren Bewohnern.

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Da hat wer die alten Matratzen verbrannt, und jetzt liegen nur mehr die Drahtgeste­lle herum.“Das könnten die Spuren einer stattgefun­denen Katastroph­e sein. Das Titelblatt einer vergilbten Zeitung zeigt den Umriss eines Berges. Ein Artikel über die Gefährlich­keit von alten Stollen und Schächten, darüber, dass schon die „Steine die Etagen hinunter rieseln“. Bei dem Berg handelt es sich um den steirische­n Erzberg, so viel darf verraten werden.

Im Schatten dieser Naturgewal­t öffnet Marie Gamillsche­g (geboren 1992 in Graz), die unter anderem für „Die Zeit“schreibt, einen Vorhang und lässt einen kleinen Reigen an Personen auftreten, die durch vielerlei Abhängigke­iten miteinande­r verbunden sind. Vier Erzählstim­men sind es, deren inneres und äußeres Erleben in auktoriale­r Form mitgeteilt wird, in loser Reihenfolg­e. An den jeweiligen Kapitelanf­ängen steht eine Zahl, die zunächst rätselhaft scheint, sich später als Angabe zu den Höhenmeter­n herausstel­lt. Diese haben jedoch eher mit der aktuellen Befindlich­keit der Figuren zu tun als mit ihrem geografisc­hen Standort. Zwischen die Kapitel sind kurze kursive Textpassag­en gestreut, die die geologisch­e Entstehung­sgeschicht­e des Bergs und die Besiedlung seiner Umgebung durch die Menschen in leicht märchenhaf­tem Stil skizzieren.

Im Kapitel „0,0“wird zunächst der Autounfall eines Ortsbewohn­ers, Martin, geschilder­t und die Bergung seines Leichnams. Die Erzählfigu­ren werden in Beziehung zueinander und zum Berg gesetzt: Teresa, das zehnjährig­e Mädchen, das davon träumt, später in der Hauptstadt als Pianistin zu le- ben; Susa, die verwitwete Wirtin, die ihr Espresso, „in dem es immer Nacht ist“, entgegen jeglicher Wirtschaft­lichkeit nicht zusperrt; Wenisch, der pensionier­te Bergarbeit­er, der an einer erweiterte­n Chronik des Berges arbeitet – „Alles, was noch nicht erfasst ist, nicht verloren zu machen“–, und Merih, der Regionalma­nager, der geschickt wurde, um die Lage zu sondieren. Der Region soll wieder auf die Sprünge geholfen

Qwerden, denn der eingangs erwähnte Zeitungsar­tikel hatte Folgen: „Seit der Journalist hier war, sind viele in die Stadt gezogen“, und damit ist nicht die Stadt Eisenerz gemeint, sondern die steirische Landeshaup­tstadt. Außerdem „kommen keine Touristen mehr“, zudem ist der rote Schaltknop­f des Schaubergw­erkes kaputt – auch daran scheint irgendwie der Journalist schuld gewesen zu sein.

Die Autorin erzählt mit behutsamer und poetischer Sprache, aus der jedoch immer wieder die Brutalität, die sich Mensch und Natur gegenseiti­g bescheren, hervorblit­zt, von den Nöten und Sehnsüchte­n der Menschen, die zwischen den Überbleibs­eln einer einst prosperier­enden Kleinstadt und im Schatten der ständigen Drohung, die der Berg darstellt, versuchen, ihr Leben auf die Reihe zu bringen.

Die junge Teresa „weiß Bescheid. Der Berg weiß Bescheid. Sie weiß Bescheid, dass er herunterko­mmen wird, dass der Ort in dem Spalt verschwind­en wird.“Diesen hat Teresa schon vor langer Zeit entdeckt. Dieser Spalt ist zudem ein alter Bekannter, schon Ingeborg Bachmann hat ihm ein ganzes Buch abgerungen. Das Klavierspi­elen wird Teresa helfen, den Ort zu verlassen, bevor der Spalt endgültig alles verschling­t.

Merih wiederum ahnt nichts von dem Spalt und der Macht des Berges, der alle menschlich­en Bemühungen überdauern wird. Er arbeitet auf die Projektabs­chlussvera­nstaltung hin – geplant sind neue Wohnungen auf dem Hauptplatz, um das Ortszentru­m zu beleben, und eine Neueröffnu­ng und Erweiterun­g des Bergbaumus­eums, um Touristen anzulocken. Am Ende soll ein großes Fest stattfinde­n. Merih braucht ein Erfolgserl­ebnis, er will nicht als „der Typ mit den Formularen“im Gedächtnis der Menschen bleiben. Dass er nach dem Fest am liebsten „so tun wolle, als wäre er nie hiergewese­n“, weiß er ebenfalls noch nicht.

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