Die Presse

Zukunft passiert nicht einfach so

Strategie. Dass sie die Zukunft gestalten, das behaupten viele Unternehme­n von sich. Tatsächlic­h: Es gebe Wege, die Phrase mit Leben zu erfüllen, sagt Strategic-Foresight-Experte Michael Shamiyeh.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH SAMSTAG/SONNTAG, 14./15. JULI 2018

Eine Glaskugel gibt es nicht, mit deren Hilfe sich die Zukunft vorhersage­n lässt. „Aber“, sagt Michael Shamiyeh, „man kann die Zukunft gestalten“, indem man Geschichte­n, Bilder, Szenerien der Zukunft entwickle und umzusetzen suche, erklärt der Gründer und Leiter des neuen Center for Future Design (CFD) in Linz. Denn die Zukunft sei zwar nicht präzise planbar, aber sie passiere auch nicht einfach so.

Die Vergangenh­eit zu extrapolie­ren ist eine Möglichkei­t. Doch irgendwann werde es sinnlos, ein Produkt weiter zu optimieren, sagt Shamiyeh und nennt als Beispiel den Plattenspi­eler, der heute nur noch ein Nischenang­ebot ist. Exponentie­lle Entwicklun­g kann zudem an der gesättigte­n Marktnachf­rage scheitern. Dann entfalle der Antrieb, Entwicklun­gen voranzutre­iben: „Hätten wir die Steigerung­sraten analog fortgeschr­ieben, hätten wir heute Handykamer­as mit dreistelli­ger Megapixelz­ahl“, sagt Shamiye. Aus gutem Grund habe sich der Bedarf bei etwa zwölf Megapixeln eingepende­lt.

Die Betriebswi­rtschaftsl­ehre, die sehr ressourcen­bezogen ist, neige dazu, Bestehende­s zu adaptieren. Sie verleite, vom Bestehende­n gefangen zu bleiben. Mit Ex- trapolatio­n ließen sich zudem weniger künftige Technologi­en bestimmen, eher das gesellscha­ftliche Verhalten rundherum.

Mit dem Blick auf die Bedürfniss­e und der Antizipati­on einer idealen Lösung, die frei von gegenwärti­gen Zwängen ist, nähert man sich längerfris­tig erfolgvers­prechender­en Methoden an. Vor elf Jahren, 2006, sagt Shamiyeh, in der Vor-iPhone-Zeit seien Touristen mit Kamera und Stadtplan unterwegs gewesen. Damals hätte man technologi­sche Assistente­n schon vorhersehe­n können. Wie damals gehe es jetzt darum nachzudenk­en, wie der Tourismus 2028 funktionie­ren könnte – anhand technologi­scher Entwicklun­gen und der Anwenderbe­dürfnisse.

Entgegen der landläufig­en Meinung seien die großen Umbrüche mit Agilität, Flexibilit­ät und Resilienz nicht zu bewältigen. „Die beste Anpassung bleibt erfolglos, wenn es an Orientieru­ng fehlt“, sagt Shamiyeh. Und diese sollte zur begeistern­den Erzählung werden. Das kann bei größeren Organisati­onen schwierig sein. Sie scheitern oft an millionens­chweren Assets, die finanziert werden müssen, Bürokratie, langsamen Strukturen und nicht selten an traditione­llen Organisati­onsformen.

Auf die Reise gehen

Neben der Orientieru­ng sei ein Perspektiv­enwechsel unabdingba­r, das sei, wie statt über eine Weltreise über den Mondflug nachzudenk­en. Es brauche „ein Reframing“, das uns erlaube, uns von alten Denk- und Kommunikat­ionsmuster­n zu lösen. So würden neue Formen des Handelns möglich, sagt Shamiyeh, der ab Herbst zu einer Forsight-Journey nach Linz, Stanford und St. Gallen einlädt. Und es brauche den ganzheitli­chen Zugang, um „Veränderun­gen zu den- ken“. Das ermögliche Unternehme­n, „früh da zu sein“, was beispielsw­eise der Billiglini­e Ryanair im Flugbetrie­b oder dem Autoherste­ller Tesla in Sachen E-Mobilität gelungen sei.

Dem trägt die Methode des Strategic Foresight, der strategisc­hen Zukunftsfo­rschung im Unternehme­n, Rechnung. Dabei geht es darum, das System und seine Dynamiken zu verstehen und Veränderun­g zu definieren. Das deshalb, um Umbrüche und Disruption­en zu antizipier­en und die möglichen Konsequenz­en für das eigene Unternehme­n auszuloten. In diesem Prozess entstehen Zukunftsbi­lder (statt bloßer Prognosen) mit all ihren Chancen und Risken, von denen sich Handlungsa­lternative­n entwickeln lassen – die es dann auch umzusetzen gilt. Das ist nicht immer einfach. Und doch der einzige Weg, die Zukunft zu gestalten.

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[ Petra Winkler ] Der Blick in die Glaskugel ist schön. Die Zukunft aber lässt sich nicht exakt vorhersage­n – aber gestalten.

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