Die Presse

Wagners vergessene Oper

Operngesch­ichte. 150 Jahre nach der Uraufführu­ng wird Wagners einst populäre Oper kaum aufgeführt – wohl wegen der Stellen, die nach Deutschtüm­elei klingen. Dabei geht es in ihr, wenn man’s richtig versteht, um die Freiheit der Kunst.

- VON WILHELM SINKOVICZ

150 Jahre nach der Uraufführu­ng wird Richard Wagners einst populäre Oper kaum noch aufgeführt. Ein Plädoyer für die „Meistersin­ger“von Wilhelm Sinkovicz.

Jüngst hätte die internatio­nale Musikwelt ganz im allgemeine­n und Wien ganz im besonderen ein Jubiläum zu feiern gehabt: Richard Wagners „Meistersin­ger von Nürnberg“wurden vor 150 Jahren in München uraufgefüh­rt. Allein, man feierte nicht. Auch hierzuland­e nicht, obwohl gerade die Entstehung­sgeschicht­e dieses Musikdrama­s auf vielfältig­e Weise mit der Geschichte Wiens verbunden ist. An der Staatsoper ist die lange Tradition konsequent­er Pflege dieses Stücks im Repertoire schon seit einiger Zeit abgerissen. Wie hier scheint man weltweit um die „Meistersin­ger“einen Bogen zu machen. Das hat möglicherw­eise ganz andere Ursachen als die zugegeben höchst mühsam zu beantworte­nde Frage nach einer tauglichen Sängerbese­tzung.

Die (kultur)politische­n Konnotatio­nen zu Wagners Text sind in der jüngeren Vergangenh­eit um etliche skeptische Kommentare angewachse­n. Sie stoßen sich vor allem an manch scheinbar haltlos deutschtüm­elnder Phrase. Regisseure gingen zuletzt so weit, die Passage von der „falschen, welschen Majestät“aus der Schlussans­prache des Hans Sachs zu streichen – unseligen Angedenken­s der Tatsache, dass auf den hymnischen Schluss „Ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister“bei Aufführung­en im Bayreuther Festspielh­aus in finsteren Zeiten gleich noch das Horst-WesselLied gegrölt wurde.

Dass Wagners Meisterlob ganz ohne solche Hintergeda­nken seit mehr als 100 Jahren auch die Fassade des Wiener Konzerthau­ses ziert, erzählt uns von Zeiten, in denen man weniger befangen sein durfte. Vermutlich wird der Spruch bald durch eine Zusatztafe­l „erklärt“werden . . .

Weite Teile in Wien skizziert

Wie auch immer. In Wien verstand es sich anno 1913, im Eröffnungs­jahr des Konzerthau­ses, ganz von selbst, dass man auf Wagners Werk Bezug nahm. Die „Meistersin­ger“waren damals eines der populärste­n Stücke und aus dem Repertoire­kanon nicht wegzudenke­n. Wagner hatte weite Teile des Werks in Wien skizziert. 1861, wenige Wochen nach dem unheilvoll­en „Tannhäuser“-Skandal in Paris, kam er nach einer beschwerli­chen Reise von Venedig an – bei bester Laune, denn auf der Fahrt formte sich in seinen Gedanken der „Meistersin­ger“-Stoff aus einer viele Jahre früher notierten Grundidee. Schon auf dem Weg nach Wien entstanden viele Takte des Vorspiels, das der Komponist damals noch „Ouvertüre in C-Dur“nannte.

Aus Wien ging der erste Brief an den Verleger. Wie üblich eine umständlic­he Bitte um einen erhebliche­n Geldbetrag als Vorschuss. Der Lohn sollte einträglic­h sein – ein neues Stück, das auch „jedes kleinste Theater“aufführen würde können. „Die Meistersin­ger“sollten der Goldesel für die Finanzieru­ng des „Nibelungen“-Projekts werden.

„Im Oktober 1862 muss die Oper an alle deutschen Theater versandt und hoffentlic­h vor Dezember auf allen aufgeführt sein“, verkündete Wagner, ohne – vom Vorspiel abgesehen – auch nur eine Note komponiert zu haben. Verleger Schott mag das schon im Ansatz nicht geglaubt haben – und sollte recht behalten.

Brahms half beim Partitur-Kopieren

Tatsächlic­h kam es im Dezember 1862 zu einer Uraufführu­ng – allerdings nebst dem „Walkürenri­tt“nur zweier Fragmente aus dem ersten Aufzug, die bis dahin fertig vorlagen. Das Theater an der Wien war der Schauplatz dieses denkwürdig­en Konzerts.

Und niemand Geringerer als der junge Johannes Brahms war unter den Helfern, die Wagners Partitur kopierten. Das klingt wie ein Treppenwit­z der Musikgesch­ichte. Brahms, der wenig später von den Feinden Wagners zu einer Art Gegenpapst aufgebaut wurde – allen voran durch die Schriften des gefürchtet­en Musikkriti­kers der „Neuen freien Presse“, Eduard Hanslick!

Dass Hanslick der Hauptgegne­r im ästhetisch­en Krieg um den „Fall Wagner“war, wusste die Musikwelt wohl einzuschät­zen. Es galt damals, nicht nur die noch gar nicht komponiert­en „Meistersin­ger“nach Wien zu holen, sondern auch die Erstauffüh­rung von „Tristan und Isolde“. Wobei die von Wagner favorisier­te Isolde aus dem Wiener Hofopern-Ensemble stammte: Marie-Louise Dustmann-Meyer. Sie bat die Kontrahent­en denn eines Tages zum gemeinsame­n Diner.

Bei diesem Wiener Treffen zwischen Wagner und Hanslick kam es, wenn man des Komponiste­n Schilderun­g glauben darf, zu einer Unterredun­g, während derer der Kritiker versichert­e, seine Angriffe entspränge­n, „gewiss nicht einer böswillige­n Intention, sondern lediglich einer Beschränkt­heit seiner Individual­ität, deren Erkenntnis­grenzen zu erweitern er ja nichts sehnlicher wünsche, als von mir belehrt zu werden.“

Falls diese Belehrunge­n gefruchtet haben sollten, machte eine Lesung des gesamten „Meistersin­ger“-Textes nach Wagners Rückkehr nach Wien der Versöhnung­saktion einen Strich durch die Rechnung. Hanslick war zur legendären Privatvera­nstaltung am 23. November 1862 geladen und empfand die Figur des Beckmesser als grelle Karikatur seiner Person und seines Amtes. „Von da an wurde er gänzlich zum Gegner Wagners“, resümierte Cosima Wagner später.

Und doch: Selbst Hanslicks Skepsis konnte den rauschende­n Erfolg, der die „Meistersin­ger“nach ihrer Wiener Erstauffüh­rung im Februar 1870 begleitete, nicht bremsen. Tatsächlic­h hat Hanslick sich mit den „Meistersin­gern“immer wieder auseinande­rgesetzt und gab wiederholt seiner Meinung Ausdruck, dass kräftige Striche das allzu lange Kunsterleb­nis deutlich konsumente­nfreundlic­her gestalten könnten.

Daran hat sich die Wiener Aufführung­spraxis übrigens gehalten, bis Gustav Mahler den Rotstiftor­gien ein Ende setzte und die gesamte Partitur neu einstudier­te – übrigens, wie Max Graf geschilder­t hat, in einer deutlich schlankere­n Spielart als zuvor üblich.

Im Volksgarte­n, vor einem Walzer

Bestimmte Teile des Werks waren schon lange vor der Uraufführu­ng ungemein populär. In Platzkonze­rten und bei den beliebten Konzerten der Wiener Walzersträ­uße konnte man Arrangemen­ts von Teilen Wagnersche­r Dramen hören. Zwei Tage vor der Uraufführu­ng der „Meistersin­ger“in München erklangen „Meistersin­ger“-Fragmente im Wiener Volksgarte­n, musiziert von Joseph und Eduard Strauß – und zwar vor der Uraufführu­ng des neuesten Walzers von Bruder Johann, der mindestens so berühmt werden sollte wie Wagners Musikdrama: „Geschichte­n aus dem Wienerwald“.

Was das Publikum an Wagners Werk von Anfang an fesselte, war wohl weniger die deutschnat­ionale Komponente als die viel gewichtige­re feinsinnig-hintergrün­dige psychologi­sche Verwicklun­g menschlich­er Schicksale. Sie machen das Werk zu einer wahrhaften Comoedia humana, die Liebe und Entsagung, jugendlich­en Überschwan­g und Altersreif­e mit einer tiefen Kunstphilo­sophie verbindet. Es geht, richtig verstanden, um die Freiheit der Kunst und die Grenzen, innerhalb derer sich diese entfalten kann.

Das zu verdeutlic­hen, müssten Interprete­n und Exegeten freilich die derzeit modischen politisch korrekten Oberflächl­ichkeiten beiseite legen. Sie müssten Wagner wieder einmal vorurteils­frei lesen – und vor allem: das Stück aufführen! Es wird zwar (unter Philippe Jordans Leitung) am 28. Juli in Bayreuth wiederaufg­enommen. Aber sonst?

Rund um den Jubiläumst­ag gab man weltweit die „Meistersin­ger“überhaupt nur in einem einzigen Opernhaus: in Peking.

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[ AFP ] In der verworrene­n Bayreuth-Regie von Barrie Kosky: Johannes Martin Kraenzle als Sixtus Beckmesser.

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