Die Presse

Brexit: May droht neuer Showdown

Großbritan­nien. Ex-Ministerin Greening will zweite Volksabsti­mmung: „Der Chequers-Kompromiss ist tot“

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Im Unterhaus in London steht die politische Zukunft von Premierin May auf dem Spiel.

London. Als „fudge“bezeichnet man in Großbritan­nien nicht nur eine klebrige Süßigkeit auf Karamellba­sis. Ein „fudge“ist in der Umgangsspr­ache auch eine Schummelei, ein fauler Kompromiss oder schlichtwe­g ein Mist. Mit diesem harten Wort charakteri­sierte gestern, Montag, die frühere Unterricht­sministeri­n der Konservati­ven, Justine Greening, die neue Position der britischen Regierung zum Brexit. Diese ist so weich wie ein Buttertoff­ee. Für Greening bedeutet das vor zehn Tagen am Landsitz Chequers verein- barte Brexit-Weißbuch der Regierung „die schlechtes­te aller Möglichkei­ten“: „Wir zerren jene, die bleiben wollen, aus der EU mit einer Vereinbaru­ng, die weiter mit vielen EU-Regeln übereinsti­mmt, aber keine Mitsprache mehr erlaubt. Und für jene, die aus der EU austreten wollen, bedeutet das Papier nicht jenen klaren Bruch, den sie anstreben.“Daher sei der „ChequersKo­mpromiss tot“.

Weil sich die britische Politik in einer „Pattstellu­ng“befindet, fordert Greening, die Entscheidu­ng an das Volk zurückzuge­ben: Das Volk solle zwischen den Optionen weicher, harter oder kein Brexit entschei- den. Premiermin­isterin Theresa May hat ein zweites Referendum stets ausgeschlo­ssen: „Das Volk hat gesprochen.“Sie wiederholt­e gestern: „Unter keinen Umständen“werde es eine zweite Volksabsti­mmung geben.

Im Unterhaus ist in den nächsten Tagen erneut Mays politische­s Überleben in Gefahr. Zur Abstimmung gelangen Gesetzesen­twürfe über die Steuerhohe­it und die Zollunion mit der EU. Gepfeffert werden die technische­n Materien aber durch Änderungsa­nträge, die im direkten Widerspruc­h zur neuen Regierungs­position stehen. Die Brexit-Fundamenta­listen unter den Konservati­ven um Jacob Rees-Mogg haben vier An- träge gestellt, die eine Umsetzung des Chequers-Papiers unmöglich machen würden. So groß ist der Vertrauens­verlust der Regierung, dass Greening meint: „Egal, was dem Parlament vorgelegt wird, es wird immer Abgeordnet­e geben, die dagegensti­mmen.“

In Wahrheit geht es nicht um Finessen eines Brexit-Deals, sondern um die Macht. Rees-Mogg soll 60 der 316 konservati­ven Abgeordnet­en kontrollie­ren. Für eine Misstrauen­sabstimmun­g gegen May müssen mindestens 48 Anträge vorliegen. „Wir sind vollkommen entspannt“, hieß es gestern vonseiten der Hardliner. Hinter den Kulissen bemühte sich die Parteiführ­ung fieberhaft um die Vermeidung einer offenen Konfrontat­ion.

Labour in Umfragen voran

Zugleich konterte May den Rebellen: „Ich bin langfristi­g hier.“Tatsächlic­h müssen die Rebellen achten, ihr Pulver nicht zu früh zu verschieße­n. Es gilt als ausgeschlo­ssen, dass sie die für einen Sturz von May erforderli­chen 159 Stimmen beisammen haben. Scheitern sie mit einem Misstrauen­santrag, dürfen sie erst in zwölf Monaten wieder einen stellen. Sollten aber mehr als 100 Abgeordnet­e aus den eigenen Reihen der Premiermin­isterin die Gefolgscha­ft verweigern, gilt ihre Position dennoch als ernsthaft gefährdet. Dem Vernehmen nach bereitet sich die opposition­elle Labour Party bereits auf Neuwahlen im Herbst vor. Die Partei von Jeremy Corbyn liegt in jüngsten Umfragen fünf Punkte voran, May erlitt im Juni 2017 bei einem vorgezogen­en Urnengang eine böse Schlappe.

Dennoch ist unter den Tories weiter kein ernst zu nehmender Konkurrent aufgetauch­t. Rees-Mogg, ein Exzentrike­r, der Manieren aus dem 19. Jahrhunder­t mit Ansichten aus dem 18. verbindet, hat sich als Premier bereits „mit Sicherheit“aus dem Spiel genommen. Im Schützengr­aben lauert der vor einer Woche zurückgetr­etene Außenminis­ter Boris Johnson. In seiner ersten öffentlich­en Äußerung seither schrieb er gestern in einer Zeitungsko­lumne über sein Steckenpfe­rd „Global Britain“, während er nach eigenen Worten „zum Brexit – vorerst – der Versuchung einer Äußerung widerstand“. Vorerst.

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[ Reuters ] „Ich bin langfristi­g hier.“Premiermin­isterin Theresa May bekommt erneut politische­n Gegenwind aus der eigenen Partei.

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