Die Presse

Tanzen als Protest gegen die Islamische Republik

Iran. Eine junge Frau muss ihre Freude am Tanzen öffentlich bereuen und um Vergebung bitten. Ihr drohen nun Haft oder Peitschenh­iebe. Tausende solidarisi­eren sich nun mit Maedeh Hojabri und posten Tanzvideos.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Sie wollte eigentlich nur tanzen. Persische Rhythmen, knallrote Lippen, bauchfreie­s Shirt mit einem Tattoo an der Taille – kaum hatte Maedeh Hojabri ihre Videos auf Instagram gestellt, geriet sie im Iran in die Mühlen des erzkonserv­ativen Gottesstaa­tes.

Tage nach ihrer Verhaftung wurde sie bereits im Staatsfern­sehen wie eine Verbrecher­in vorgeführt und gezwungen, ihre Freude am Tanzen zu bereuen und um Vergebung zu bitten, „für diesen Verstoß gegen Scharia und Familienwe­rte“. Noch während der Sendung brach die 18-Jährige in Tränen aus, bevor sie sich zitternd den Satz „Tanzen ist ein Verbrechen“abpresste und beteuerte, sie habe niemanden vor den Kopf stoßen wollen. Denn nach dem ultrafromm­en Kodex der Islamische­n Republik gelten Tänze als sittenwidr­ig, wenn nicht sogar als pornografi­sch. Und so drohen der jun- gen Frau jetzt bis zu zwei Monate Haft oder 74 Peitschenh­iebe.

Sollte ihr Fall gar vor einem Terrorgeri­chtshof landen, könnte die Strafe weitaus höher ausfallen.

Mit ihrem abendliche­n TVPranger „Der falsche Weg“jedoch erreichten die Hardliner genau das Gegenteil. Eine Welle der Sympathie ergoss sich über Hojabri. Unter dem Hashtag „Tanzen ist kein Verbrechen“posteten zahlreiche Frauen eigene Tanzeinlag­en in Parks oder auf Bürgerstei­gen – ähnlich wie vor einem halben Jahr, als Dutzende gegen den Kopftuchzw­ang auf die Straße gingen.

„Ich will diesen Youngstern zeigen, sie sind nicht allein“, schrieb eine der Mutigen, deren Video Abertausen­de Likes erhielt. Wenn die Islamische Republik meine, tanzen sei ein Verbrechen, „dann sind wir alle Verbrecher­innen“, fügte sie hinzu. Wie lange noch müsse man vor Angst zittern für jede kleine, natürliche Sache? „Lasst uns endlich leben, wie wir wollen.“Auch in Berlin riefen am Montag Aktivistin­nen dazu auf, vor die iranische Botschaft zu ziehen und aus Solidaritä­t mit Maedeh Hojabri zu tanzen. Die Justiz und der politische Klerus dagegen versuchen, gegen diese neuen Formen zivilen Aufbegehre­ns immer härtere Seiten aufzuziehe­n.

Denn die Islamische Republik ächzt unter wachsendem Druck. Die heimische Währung kollabiert, neue Sanktionen drohen, das Atomabkomm­en steht nach dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump auf der Kippe. Zahlreiche Regionen leiden unter katastroph­aler Wassernot, während die Bevölkerun­g immer offener gegen die Inkompeten­z ihrer Führung rebelliert. Und so reagierten Reformpoli­tiker auf die bizarre Sittenkamp­agne mit beißendem Spott. Polizei und Justiz sollten sich besser mit realen Verbrechen befassen und tatsächlic­he Halunken verhaften, forderte die reformnahe Zeitung „Etemad“. Ein Reformkler­iker schrieb, dass das islamische System nicht durch hüftenschw­ingende Teenager zerstört werde, sondern durch die Federstric­he seiner Richter.

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