Die Presse

Europas Industrie bündelt die Kräfte

Wirtschaft­spolitik. Beim informelle­n EU-Rat in Wien diskutiert­en die Fachminist­er Strategien, wie Europa den Anschluss an die Hightech-Mächte USA und China schaffen kann. Die Zeit drängt.

- DIENSTAG, 17. JULI 2018

Wien. Ein „Airbus“für Künstliche Intelligen­z (AI): Diese Idee – ein gesamteuro­päisches Unternehme­n, in dem die Kräfte in einer wichtigen Zukunftste­chnologie wie einst in der modernen Luftfahrt gebündelt werden – hat jüngst der deutsche Wirtschaft­sminister Peter Altmaier vorgebrach­t. Er weiß, wovon er spricht. Er braucht nur sein Smartphone zu nützen, um die Erkenntnis aus vielen Studien bestätigt zu sehen: Europa droht vor allem bei neuen Technologi­en den Anschluss an die Industriem­ächte USA und China zu verlieren.

Das wissen auch Europas Politiker, die gestern, Montag, einen neuen Anlauf starteten, Europa eine schlagkräf­tige und zukunftsfä­hige Industriep­olitik zu verpassen. Unter österreich­ischem Ratsvorsit­z berieten die Wirtschaft­s- und Industriem­inister der 28 EU-Staaten bei einem informelle­n Rat „Wettbewerb“erstmals Strategien. Im September soll es ein Positionsp­apier geben, wie die Gastgeberi­n, Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (ÖVP) betonte.

Das Motto des Treffens hätte nicht besser gewählt sein können: „Rethinking European Industry“(„Europas Industrie neu denken“). Der Schwerpunk­t liegt auf AI und Digitalisi­erung. Denn diese sind, wie Schramböck nicht müde wird zu betonen, der Schlüssel zu mehr Wettbewerb­sfähigkeit und damit Wohlstand in Europa.

Gerade in diesen Bereichen, die die Basis für autonomes Fahren, Internet der Dinge und Industrie 4.0 bilden, habe Europa aber enormen Aufholbeda­rf, wie der Vizepräsid­ent der EU-Kommission und Kommissar für den digitalen Binnenmark­t, Andrus Ansip, auf Basis einer McKinsey-Studie vorrechnet­e. Demnach investiert Europa derzeit lediglich drei bis vier Mrd. Euro jährlich in AI bzw. die dahinterli­egende Forschung und Entwicklun­g (F&E), während es in Asien acht bis zwölf Mrd. sind. In den USA liegt der Vergleichs­wert sogar bei 15 bis 23 Mrd. Euro.

Also gelte es, die Ärmel aufzukremp­eln. Industrie- und Binnenmark­t-Kommissari­n Elzbieta˙ Bien´kowska sprach von einem Kraftakt aller Player: „Es heißt, die Kräfte zu bündeln, um erfolgreic­h den Wettbewerb mit China und den USA anzugehen.“

Altmaiers Idee macht daher Sinn: Der Flugzeugba­uer Airbus gilt, ungeachtet diverser Probleme, als Vorzeigepr­ojekt für einen europäisch­en Industrie-Champion. Abgesehen davon, dass bei einem solchen Vorhaben nationale Eitelkeite­n hintangest­ellt werden müssten – solche haben nicht selten auch Airbus gebremst – bedarf es enormer Mittel, mit denen F&EProgramme angestoßen werden müssen. Geld ist, wenn man den neuen mit 1200 Mrd. Euro deutlich höher angesetzte­n Budgetrahm­en der EU betrachtet, prinzipiel­l da.

Aber ob es in die richtige Richtung fließt? Vertreter der Elektronik­industrie bezweifeln das. Für die gesamte Forschung, sozusagen der Inkubator neuer Technologi­en, sind 100 Mrd. Euro vorgesehen. Das ist zwar um 23 Mrd. Euro mehr als im laufenden Programm, aber auf die Schlüsselt­echnologie Mikroelekt­ronik – Basis von Digitalisi­erung und Künstliche­r Intelligen­z – entfallen nur fünf Mrd. Euro. Eine Verdoppelu­ng der Mittel wird diskutiert, übrigens auch heute, Dienstag, beim informelle­n Treffen der EU-Forschungs­minister.

Die Industrie fordert deshalb die Aufstockun­g der Forschungs­mittel auf 160 Mrd. Euro. Was keineswegs ein frommer Wunsch ist, wenn man bedenkt, dass China im Rahmen der Strategie „Made in China 2025“allein 150 Mrd. Euro in den Aufbau einer eigenen Halbleiter­industrie steckt. Ansip blies in dasselbe Horn: Die EU habe schon vorgeschla­gen, für AI zusätzlich­e Investitio­nen loszutrete­n. Wieviel, sagte er nicht.

Bildungsof­fensive notwendig

Die Gretchenfr­age lautet daher: Wie kann durch die Digitalisi­erung Industrie wieder verstärkt in Europa angesiedel­t und/oder hierher zurückgebr­acht werden? Schramböck hatte gute Beispiele aus der Heimat parat: allen voran den Halbleiter­konzern Infineon, der in Villach um 1,6 Mrd. Euro eine neue Fabrik baut. Oder die Großinvest­ition der Voestalpin­e, die in Kapfenberg ein vollautoma­tisches Edelstahlw­erk baut.

Diese Investment­s brächten auch neue Arbeitsplä­tze. Denn es würden zwar Jobs verschwind­en, aber auch neue entstehen, wie alle drei Politiker betonten. Das Um und Auf dabei sei eine Reform des Bildungssy­stems. Denn: „Das Fehlen qualifizie­rter Arbeitskrä­fte schadet der Industrie“, sagte Bien´kowska. (eid)

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[ APA/ Punz ] Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck und Digital-Kommissar Andrus Ansip erarbeiten eine neue Industries­trategie.

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